KLIMASCHUTZ: Der April-Plan

Wie der luxemburgische CO2-Ausstoß um 28 Prozent sinken soll, wurde in einem öffentlichen Hearing vorgestellt: Fünf Prozentpunkte aus eigener Kraft, der Rest auf Kosten anderer.

Hearing kommt von hören. Beim Kyoto-Hearing am vergangenen Mittwoch in der Chamber mussten die VertreterInnen der Zivilgesellschaft während anderthalb Stunden den Ausführungen von Professor Dieter Ewringmann zuhören, bevor sie ihrerseits angehört wurden. Hätte der CO2-Allokationsplan den TeilnehmerInnen im Vorfeld bereits zur Verfügung gestanden, so hätte man sich das Eingangsreferat sparen können – vielleicht hätte auch die Diskussion zwischen NGO-VertreterInnen, PolitikerInnen und Fachleuten stattgefunden, zu der es aus Zeitgründen nicht mehr kam. Vielleicht aber war eine solche Diskussion ja gar nicht erwünscht.

„Wir werden in dieser Debatte nur der Form halber einbezogen“, machte Pascal Husting von Greenpeace Luxemburg seinem Unmut Luft. Der CO2-Allokationsplan, der festlegt, welche Sektoren und Anlagen künftig wie viel CO2 ausstoßen dürfen, wurde vorige Woche von Gewerkschaften und Arbeitgebern in der Tripartite abgesegnet. Einen Tag bevor die Endfassung des Plans fristgerecht zum 1. April bei der EU-Kommission eingereicht wurde, hakte man noch den Punkt „Einbeziehung der Öffentlichkeit“ ab, indem man unter anderem VertreterInnen von Umwelt-NGOs und Abgeordnete zu eben jenem öffentlichen Hearing bestellte.

Alibi-Hearing

Dabei geht es bei der Verteilung der CO2-Emissionsrechte nicht nur um Wirtschaftsfragen. Zwar konzentriert sich die dem Plan zu Grunde liegende EU-Direktive auf besonders CO2-intensive industrielle Anlagen, für die handelbare Emissionszertifikate ausgegeben werden. Die Mitgliedstaaten müssen die CO2-Zertifikate für ihre Industrie aber so berechnen, dass sie kompatibel mit der Erfüllung der in Kyoto beschlossenen CO2-Reduktionen sind. Beispiel Luxemburg: Werden den betroffenen Industrieanlagen die von ihnen verlangten Emissionsrechte von mehr als drei Millionen Tonnen zugestanden, so müssen die Sektoren Privathaushalte und Verkehr ihren CO2-Ausstoß bis 2010 kräftig senken, damit Luxemburg sein Kyoto-Ziel von -28 Prozent gegenüber 1990 noch einhalten kann.

Dies ist seit Jahren bekannt. Die im Mai 2000 vorgelegte nationale Strategie zur Reduktion der Treibhausgase rechnete vor, wie der CO2-Ausstoß in einem Interventionsszenario in den Griff zu bekommen wäre. Schon damals ging die Rechnung nur knapp auf. Das Problem: Die vorgesehenen Interventionen wurden nicht durchgeführt. Der einzige Bereich, in dem die Regierung mit Klimaschutzmaßnahmen glänzen kann, die Förderung erneuerbarer Energien, schlägt sich kaum in der Luxemburger Kyoto-Bilanz nieder. Denn der Solar- und Windstrom ersetzt CO2-behafteten Importstrom, dessen Emissionen sowieso dort angerechnet werden, wo er erzeugt wird.

Dass es durchaus Handlungsspielräume zum Einsparen gibt, belegte Paul Ruppert vom Klimabündnis während des Hearings. Stieg der CO2- Ausstoß im Bereich Gebäude landesweit um 30 Prozent zwischen 1991 und 2001, so konnte diese Entwicklung in fünf Klimabündnisgemeinden auf 6,2 Prozent begrenzt werden. Auf nationaler Ebene lassen demgegenüber Maßnahmen wie ein Altbausanierungs-Programm und eine neue Wärmeschutzverordnung weiter auf sich warten. Warum das so ist, lässt sich wohl daran ablesen, welche PolitikerInnen zum Hearing erschienen: die Abgeordneten der Umweltkommission, der Umweltminister und sein Staatssekretär. Die Minister für Wohnen, für Transport und für Budgetfragen (Stichwort Tanktourismus) glänzten ebenso wie der Premier durch Abwesenheit.

Politischer Bankrott

Was am vergangenen Mittwoch nicht zustande kam, nämlich eine Diskussion und eine Beschlussfassung, hat unter Ausschluss der Öffentlichkeit dennoch in den vergangenen Monaten stattgefunden. Welche Entscheidungen im Regierungsrat und in der Tripartite getroffen wurden, läßt sich anhand der Vorstudie von Oktober 2003 nachvollziehen, in der Dieter Ewringmann die CO2-Allokations-Problematik ergebnisoffen darlegte. Damals lag das Hauptgewicht auf der Frage, wie man wie viel Emissionsfreiräume für die Industrie schaffen könnte. Es sei notwendig, die übrigen Sektoren, vor allem Verkehr, Haushalte und Treibstoffexport zu substanziellen Beiträgen zu veranlassen, hieß es.

Diese Frage mutierte im Laufe der Zeit – Dieter Ewringmann sprach von vier Zwischenberichten – zur Frage, ob solche Reduktionen möglich und wünschenswert seien. Am Ende stand die Antwort: Nein! Brav schreibt denn auch der deutsche Experte in seinem jüngsten Papier: „Die dargestellten Wachstums- und Entwicklungstendenzen lassen in Verbindung mit den ausschöpfbaren Minderungspotenzialen eine Erreichung des nationalen Minderungszieles allein und ausschließlich durch Maßnahmen im nationalen Kontext nicht zu.“ Im Klartext heißt das, dass Luxemburg statt -28 Prozent bestenfalls -5 Prozent CO2-Ausstoß bis 2010 erreichen wird. Für den Fehlbetrag soll auf die „flexiblen Mechanismen“ – unter anderem Einkauf von Zertifikaten und Anlage von so genannten CO2-Senken in der Dritten Welt – zurückgegriffen werden.

Diese Möglichkeit hatte Umweltminister Charles Goerens bereits vor vier Jahren ins Auge gefasst, allerdings immer nur als Notlösung. Aus der Not scheint für manche eine Tugend geworden zu sein. In ihrem Vorschlagspapier an die Tripartite hat die Regierung sämtliche CO2- Sparmaßnahmen auf ihre Kosteneffektivität überprüft und mit den CO2-Tonnen-Preisen der flexiblen Mechanismen verglichen. Fazit: Die Kosten für CO2-Einsparungen sind in Luxemburg besonders hoch. Angesichts der günstigeren CO2-Marktpreise ist es unabdingbar, auf die flexiblen Mechanismen zurückzugreifen.

CO2-lonialismus

Diese Entscheidung bedeutet eine 180-Grad-Wendung in der offiziellen luxemburgischen Klimapolitik, denn noch vor kurzem versicherteJean-Claude Juncker, es werde keine Klimapolitik mit dem Scheckheft geben. Und es bestätigt die schlimmsten Befürchtungen der GegnerInnen der flexiblen Mechanismen. Wenn CO2 zur Ware wird, so geht dies auf Kosten von Klimaschutz und Gerechtigkeit. In den Ländern des Nordens, die fast ausschließlich für das Entstehen des Treibhauseffektes verantwortlich sind, wird nur wenig unternommen, weil die Maßnahmen relativ teuer und politisch schwer durchsetzbar sind. Dafür enstehen in den Entwicklungsländern unsinnige „Hilfsprojekte“ wie Baumplantagen, die CO2 binden mögen, aber keineswegs der wirtschaftlichen Entwicklung dienen.

Beim Hearing plädierte Dietmar Mierkes von der Action solidarité Tiers monde für eine Klimapolitik, die den Pro-Kopf-CO2-Ausstoß aller Erdbewohner auf niedrigem Niveau angleiche. Das Recht, CO2 zu emittieren, und der damit verbundene Lebensstandard steht allen gleichermaßen zu. Für die Klimastabilität liegt der Pro-Kopf-Wert bei höchstens 2,5 Tonnen jährlich. Derzeit stoßen die BewohnerInnen in den Industrieländern aber über 10 Tonnen pro Kopf aus, und in Luxemburg gar 19 Tonnen. Solche Überlegungen mögen den Tripartite-Partnern gleichgültig sein. Wozu dann aber überhaupt debattieren? Um festzustellen, Luxemburg könne nichts tun, müsse sich sowieso freikaufen und habe damit die Möglichkeit, der Industrie alle gewünschten Emissionsspielräume zu lassen? Einen solchen Allokationsplan hätte man bereits vor fünf Jahren aus dem Stegreif erstellen können.

Am Ende steht Charles Goerens als der große Verlierer da. Mehrfach hatte er orakelt, wenn erst die Kosten eines CO2-Überschusses den sozialen Akteuren bewusst würden, werde es endlich möglich, Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen. Der Schuss ging nach hinten los: Gewerkschaften wie Arbeitgeber sind angesichts der Zahlen in der Tripartite auf die Linie von Wirtschaftsminister Grethen eingeschwenkt, der schon immer fand, Luxemburg könne sich das 28-Prozent-Ziel nicht leisten.


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