STRAFVOLLZUG: Fesselnde Ideen

Die elektronische Fessel will Luxemburg in einem Modellversuch testen. Ihre Aufgaben: statt Knast elektronische Überwachung und Resozialisierung.

Bei Verstoß Alarm-SMS aufs Handy – die elektronische Fußfessel ermöglicht Überwachung rund um die Uhr. (Foto: Archiv)

„Was hast’n du da am Fuß?“ Die Frage eines Trainingskollegen im Fitness-Center bringt Jean-Pierre mehr ins Schwitzen als die 20-Kilo-Hantel, die er gerade stemmt. „Einen elektronischen Pulsmesser“, antwortet er schnell und versucht, den Blick des Kumpels vom Kunststoffkästchen an seinem rechten Knöchel abzulenken. Denn Jean-Pierre ist eigentlich ein Häftling – und trotzdem frei. Seine Freiheit verdankt er dem unscheinbaren Gerät, das der Kollege so neugierig mustert.

Die Szene ist fiktiv. Sie könnte aber schon bald Wirklichkeit werden, denn im nächsten Jahr soll in Luxemburg ein bislang einmaliger Modellversuch starten: der Hausarrest mit der elektronischen Fessel.

„Die Sache läuft“, sagt Luc Reding aus dem Justizministerium, der das Pilotprojekt betreut. Man habe sich bereits verschiedene Modelle angesehen, bestellt sei bisher aber noch nichts. Das Luxemburger Wort hatte dies vergangene Woche fälschlicherweise gemeldet. Klar ist nur: Die elektronischen Fesseln, die hier zu Lande zur Anwendung kommen werden, gehören zur ersten Generation. Anders als das satellitengesteuerte GPS-System, das jederzeit den genauen Aufenthalt seines Trägers feststellen kann, kontrollieren sie lediglich die Anwesenheit an bestimmten Orten.

Das funktioniert so: Das schwarze Kunststoffband mit Minisender, von der Größe einer klotzigen Digitalarmbanduhr etwa, das am Fuß- oder Handgelenk des Gefangenen befestigt wird, ist mit einer an das Telefon angeschlossenen Data-Box verbunden. Sie signalisiert jede unerlaubte Entfernung des Probanden aus seiner Wohnung. Zusätzlich zum Gerät bekommt der Gefesselte einen strengen Tagesrhythmus auferlegt. Ein Wochenplan regelt aufs Genauste, wann der/die Gefangene zur Arbeit gehen darf und wann er oder sie wieder daheim zu sein hat. Bei Verstößen schlägt der Kasten per Telefon in der Datenzentrale Alarm. Die Zentrale soll laut Justizministerium im Schrassiger Gefängnis installiert werden. Die Überwachung des Bewegungsablaufes übernehmen MitarbeiterInnen des Service central d’assistance sociale (Scas).

Prinzip Freiwilligkeit

„Das wird in einer ersten Phase sicherlich Mehrarbeit bedeuten“, sagt Scas-Leiter François Kimmel. Schließlich müssten die Bewährungshelfer auf Verstöße sofort reagieren. Per SMS erfahren sie vom Fehltritt ihres Zöglings. Dann heißt es: Anrufen, den Ertappten zur Rede stellen, neue Lösungen finden – Präsenzpflicht rund um die Uhr also. Die Folgen der Allround-Kontrolle: Gefangene lernen Tugenden wie Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Disziplin – mittels forcierter Verhaltenstherapie. Zugleich wird auch die Arbeit der Bewährungshelfer reglementierter.

„Das mag nicht jedem gefallen“, räumt Kimmel ein. Er gehört gleichwohl zu den Befürwortern der Fußfessel. Mehr noch, Kimmel selbst hat das Projekt maßgeblich initiiert. „Jede Maßnahme, die einen Gefängnisaufenthalt verhindert, ist gut“, begründet er sein jahrelanges Engagement in Sachen elektronischer Überwachung.

Unterstützt wird Kimmel von der Gefangenen-Hilfsorganisation Info Prison. Dessen Vorsitzender Jeannot Schmitz sprach sich vergangene Woche ebenfalls für die Fessel aus, allerdings mit einer Einschränkung: „Die Fessel sollte als letztes Mittel angewendet werden“, betont Schmitz gegenüber der woxx. Zuerst sollten die Gerichte „die anderen Strafmaßnahmen“ anwenden: Bewährung, Bewährung mit Auflagen, gemeinnützige Arbeit, beschränkte Entlassung. Zudem müsse der Gefangene einverstanden sein. „Die Maßnahme muss natürlich freiwillig sein, denn sie ist für die Betroffenen eine gewisse Belastung“, sagt auch Kimmel.

Die Freiwilligkeit hat Methode – in allen EU-Ländern, welche die Fußfessel bisher anwenden (u.a. Schweden, Großbritannien, Belgien, Frankreich, Deutschland). Für den seit 2000 laufenden Modellversuch in Hessen etwa kommen nur Leute in Frage, die einen festen Wohnsitz und ein Telefon haben sowie einer „sinnvollen Tagesbeschäftigung“ nachgehen. Sie dürfen nicht drogenabhängig sein, müssen sich als einigermaßen ehrlich erwiesen haben, und die MitbewohnerInnen zu Hause müssen der Kontrolle zustimmen. Denn die leben ebenfalls mit dem rigiden Tagesablauf ihres Partners/ihrer Partnerin.

„Nicht jeder ist geeignet“, sagt Luc Reding. Gewaltverbrecher und Sexualtäter seien von vornherein vom Hausarrest ausgeschlossen. Anders als in Deutschland, wo auch Untersuchungshäftlinge einbezogen werden, beschränkt sich das hiesige Projekt auf StraftäterInnen, die wiederholt gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben oder in der Bewährung erneut straffällig geworden sind – und solche, deren Entlassung bevorsteht und die allmählich an die neue Freiheit herangeführt werden sollen. „Auf keinen Fall kommen Personen frei, welche die öffentliche Sicherheit gefährden“, verspricht Reding.

Staatsanwaltschaft und Bewährungsdienst gemeinsam sollen geeignete ProbandInnen aussuchen. „Die kennen ihre Leute schließlich am besten“, sagt Reding, der davon ausgeht, dass der Testlauf, ähnlich wie in Belgien, zunächst mit ein oder zwei Personen starten wird. Zwei Jahre soll der Versuch dauern. „Dann werten wir das Ganze aus und sehen weiter“, so Reding. Für den „Follow-up“ sei der Scas zuständig.

Big-Brother-Zukunft

Doch während in Luxemburg die Maßnahme offenbar von allen Seiten begrüßt wird, ist die Methode im Ausland keineswegs unumstritten. In Hessen etwa warnte der Verband der Strafverteidiger vor dem vermeintlichen Haftvermeidungsprogramm als weiteren Schritt in den Überwachungsstaat. Nach Ansicht der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft hessischer Bewährungshelfer, Sigrid Engelhard, würden für den Versuch nur Leute ausgewählt, „bei denen eigentlich nichts schief gehen kann“. Statt viel Geld in die elektronische Überwachung zu stecken, verlangen die Bewährungshelfer mehr Mittel und Personal.

Die französische Gefangenenzeitung Envolée sieht im „bracelet électronique“ eine Verschärfung der Strafe. Straftäter mit langjährigen Haftstrafen, die früher von der Regelung der „libération conditionnelle“ profitiert hätten, sich also „nur“ regelmäßig bei der Polizei oder einem Sozialarbeiter melden mussten, würden nun rund um die Uhr bewacht. Und weil die elektronisch Gefesselten Telefon, eine Wohnung und eine Arbeit vorweisen müssen, lästert Envolée zudem: „C’est du pain béni pour les VIP délinquants.“

Die Frage, ob mit der Fußfessel ein so genannter net- widening-Effekt einher geht, ist bisher kaum beantwortet. Der Begriff kommt aus der Kriminologie und beschreibt einen Sogeffekt: Denkbar wäre, dass RichterInnen durch die „elektronische Fußfessel“ härter sanktionieren als notwendig. Fälle, die vorher mit Geld- oder Freiheitsstrafe auf Bewährung geahndet wurden, könnten nunmehr mit der Sanktion „elektronische Fußfessel“ belegt werden.

Der Pressesprecher des hessischen Justizministeriums, Stefan Fuhrmann, beteuert zwar, die Gerichte wendeten die Fessel lediglich als „letztes Mittel“ an. Es handele sich bei den Teilnehmern eben nicht „um normale Bewährungsprobanden“. Doch im ersten Zwischenbericht des Max-Planck-Instituts*, das dem Elektro-Experiment grundsätzlich gute Noten ausgestellt hat, wurde die Frage des Sogeffektes gar nicht näher untersucht.

Eine ausführlichere Studie aus Kanada** zum „Electronic Monitoring“ (EM) kommt derweil zum Schluss: „(…) there is evidence suggesting that many programs widen the correctional net.“ Und weiter: „That is, they target relatively low risk offenders who could function well without the additional controls imposed by EM.“

Das hat Folgen für das von PolitikerInnen gerne ins Feld geführte Kostenargument. Eine realistische Einschätzung der Kostenersparnisse durch EM sei schwierig, so die kanadischen WissenschaftlerInnen: Sie würden teilweise durch den net-widening-Effekt wieder aufgezehrt. Wegen unterschiedlicher Rechtssysteme sind diese Ergebnisse allerdings nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragbar.

In den USA, wo der elektronisch überwachte Hausarrest Anfang der 80er Jahre entwickelt und bald darauf flächendeckend eingeführt wurde, müssen sich Probanden an den Kosten beteiligen – ein weiterer Hinweis darauf, dass es mit den Einsparungen nicht ganz weit her sein kann.

In Luxemburg ziehen Sparargumente ohnehin nicht: Dafür ist die für den Versuch in Frage kommende Personengruppe einfach zu klein.

Dass die elektronische Überwachung durchaus wachsame und kritische BeobachterInnen verdient, zeigen zwei Beispiele: In Großbritannien, neben Schweden europäisches Vorreiterland in Sachen EM, werden nach erfolgreichen Tests der ersten Generation von Fußfesseln neuerdings auch Pädophile probeweise per GPS überwacht. Gleiches gilt für abgelehnte AsylbewerberInnen, die in einem sechsmonatigen Testlauf elektronisch überwacht werden. Der britische „Joint Council for the Welfare of Immigrants“ (JWCI) hat die Pläne der Regierung scharf kritisiert: als „Eingriff in die Privatsphäre“ und als „Stigmatisierung“.

* www.iuscrim.mpg.de/ verlag/Forschaktuell/ FA-Mayer.pdf

** www.psepc-sppcc.gc.ca/ publications/corrections/pdf/ em_e.pdf


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