KINDERSCHUTZ: Wenn der Vater hinter Gittern sitzt

Kinder mit ihren Eltern zusammenführen, in Konfliktsituationen oder gar im Gefängnis – das hat sich die Institution „Treff-Punkt“ zur Aufgabe gemacht.

Zur Person:
Marie-Jeanne Schmitt ist Vorsitzende und Mitbegründerin des Service „Treff-Punkt“. Sie ist Sozialarbeiterin. Vor ihrer Tätigkeit beim Service „Treff-Punkt“ hat sie zwanzig Jahre lang in staatlichen Kinderheimen gearbeitet, wo sie vor allem für die Zusammenführung von Kindern und ihren Eltern zuständig war.

woxx: Wann wurde der Service „Treff-Punkt“ gegründet?

Marie-Jeanne Schmitt: Der Dienst wurde 1997 gegründet. Ausgangspunkt waren die staatlichen Kinderheime. Hier waren die Konflikte zwischen den Erziehern und den Eltern der betreuten Kinder manchmal so groß, dass diesen das Besuchsrecht entzogen wurde. In dieser Situation entstand die Idee, dass die Kinder unabhängig von diesen Konflikten Kontakt zu ihren Eltern halten sollen. Wir haben uns über Angebote im Ausland informiert und unser eigenes Projekt auf die Beine gestellt. Ein Haus in Düdelingen dient als Ort der Zusammenführung.

An wen wendet sich der Service „Treff-Punkt“?

Neben Scheidungs- und Trennungskonstellationen haben wir noch immer mit Situationen aus dem Heimwesen zu tun: Hier ist es oft so, dass Eltern ihre Kinder nicht zuhause treffen dürfen oder dass man nicht von der „famille d’accueil“ erwarten kann, die biologischen Eltern bei sich im Wohnzimmer zu empfangen. Im Laufe der Zeit fragten uns Richter, ob wir unser Angebot nicht auch aufs Gefängnis ausweiten könnten, weil hier insbesondere Väter inhaftiert sind, die ein Recht haben, ihre Kinder zu sehen, dieses jedoch nicht wahrnehmen können. Denn ein Kind muss immer von einem Erwachsenen ins Gefängnis begleitet werden. Jedoch möchte eine Exfrau nicht unbedingt dem Vater des Kindes gegenübertreten. Deshalb haben wir außerhalb des Düdelinger „Treff-Punkt“ ein Projekt mit dem Gefängnis auf die Beine gestellt. Wenn der Elternteil, der über das Aufsichtsrecht verfügt, einen Besuch des Kindes beim Lebenspartner ablehnt, dann intervenieren die Gerichte und bestimmen, ob das Besuchsrecht über den Service „Treff-Punkt“ zu laufen hat.

Übernimmt der Service „Treff-Punkt“ also eine Art Mediationsfunktion?

Ich will nicht von Mediation reden, weil der Begriff so oft missbraucht wurde. Ich sehe Mediation eher im familiären Rahmen. Im Gegensatz zu unserer Arbeit, werden etwa bei der „médiation familiale“ zwei Erwachsene zusammengesetzt, um einen Kompromiss auszuarbeiten. Beim Service „Treff-Punkt“ geht es darum, dass ein Kind, unabhängig von den Konflikten zwischen den Erwachsenen, ein Recht darauf hat, beide Elternteile zu sehen. Ein Besuchsrecht wird institutionalisiert, auch wenn zwei Erwachsene nicht miteinander zurecht kommen, indem wir eine Übereinkunft zuerst mit dem einen, dann mit dem anderen Elternteil vereinbaren. Auch das Kind selbst kommt zu Wort. Die Kinder befinden sich oft in einem Loyalitätskonflikt. Im Rahmen des Service „Treff-Punkt“ in Düdelingen hat das Kind die Möglichkeit, seine Eltern in einem geschützten Raum zu sehen. Ziel ist letztlich, dass Vater oder Mutter ihr Kind wieder im Rahmen eines normalen Besuchsrechts sehen können. Konkret sieht das so aus, dass eine Koordination die Vor- und Bilanzgespräche übernimmt. Ein Team aus Psychologen, Sozialarbeitern und Erziehern empfängt den jeweiligen Elternteil sowie die Kinder und führt sie in Spielräume, wo auch Tische und Stühle stehen. Maximal verbringen die Eltern jeweils zwei Stunden im Service „Treff-Punkt“. Jedes Elternteil sollte sich zu seinem Kind an einen Tisch setzen und sich mit ihm beschäftigen. Die Betreuer helfen den Kindern, über Spiele Kontakt zu Vater oder Mutter aufzubauen. Bei den Besuchen bleiben die Türen der Spielräume prinzipiell offen, auch um zu verhindern, dass Eltern ihr Kind für bestehende Konflikte instrumentalisieren.

Wie oft finden solche „kontrollierten Besuche“ statt?

Wir bieten alle 14 Tage dienstags und samstags Besuchszeit in Düdelingen an. Samstags haben wir bis zu 25 Besuche von morgens zehn bis abends sechs Uhr. Wenn Probleme auftreten, schlagen wir Gespräche mit dem einen oder anderen Elternteil vor. Jedoch stellen wir kein Zeugnis für eine gute Mutter- oder Vaterschaft aus und bieten keine Therapie an. Aber wir schreiben dem Richter, wie viele Besuche stattgefunden haben und ob ein Kind in die elterlichen Konflikte hineingezogen wurde. Dies sind Aussagen, die dem Richter Einblick in die Kooperationswilligkeit der Eltern geben.

Es geht darum, dass ein Kind, unabhängig von den Konflikten zwischen den Erwachsenen, ein Recht darauf hat, beide Elternteile zu sehen.

Seit wann gehen Sie auch ins Gefängnis?

Seit 2003. Zuerst sind wir nur mit je einem Kind während der normalen Besuchszeiten hingegangen. Doch seit 2005 haben wir am Samstag den Besuchsraum für uns alleine, wo wir einmal im Monat eine Stunde mit einer Gruppe von rund 15 Kindern verbringen. Die Kinder werden von einem Elternteil oder einer Aufsichtsperson vor das Gefängnis gebracht, und wir gehen mit den Kindern hinein. Wir haben eine Kiste mit Gesellschaftsspielen und Bastelsachen dabei, so dass jeder Inhaftierte sich im Besuchsraum mit seinem Kind beschäftigen kann.

Inwiefern reden Sie vorher mit den Kindern über das Gefängnis?

Zuerst bereiten wir das Kind in einem Gespräch auf den Besuch im Gefängnis vor. Falls das Kind noch nie dort war, machen wir einen ersten Besuch mit dem Kind alleine. Das Kind weiß dann ganz genau, dass der Vater oder die Mutter Sachen gemacht hat, die nicht in Ordnung waren und vom Gesetz mit einer Gefängnisstrafe sanktioniert wurden. Ich glaube, dass es für das Kind viel schädlicher ist, während dieser Trennungsphase überhaupt keinen Kontakt zum jeweiligen Elternteil zu haben, als regelmäßig ins Gefängnis zu gehen. Das Wichtigste für die Kinder ist ja nicht das Drumherum, sondern die Beziehung zum Gegenüber. Man sollte das Trauma der Trennung nicht verschlimmern. Schon Verhaftungen können extrem dramatisch ablaufen. Die Gefängnisstrafe führt zu finanziellen Einbussen für die Familien. Häufig ist der auf sich allein gestellte Elternteil extrem wütend. Die Kinder verstehen dann gar nicht, was los ist.

Mit welchen Problemen werden Sie noch konfrontiert?

Problematisch ist, dass im Gefängnis Leute sind, die teils recht jung und instabil sind. Die denken, der Service „Treff-Punkt“ sei eine Vereinigung, die ihnen das Kind auf dem Silbertablett bringt, auch wenn sie sich im Vorfeld kaum gekümmert haben. Diese Väter weisen wir explizit darauf hin, dass unser Engagement auch ein Engagement ihrerseits voraussetzt, und zwar auf längere Zeit.

Gibt es auch Fälle, wo ein Richter das Besuchsrecht untersagt?

Oft hängt das von der Straftat ab. Wir gehen auch nicht mit jedem Kind ins Gefängnis. Wenn ein Vater sein Kind missbraucht hat, oder, im schlimmsten Fall, der Vater die Mutter umgebracht hat, geht man in so eine Situation nicht blind hinein. Dann ist es wichtig, dass auch im Umfeld gearbeitet und die Frage gestellt wird, ob ein Besuch für die Kinder überhaupt wünschenswert ist.

Geschieht es nur aus Personalmangel, dass Sie so selten und mit größeren Gruppen ins Gefängnis gehen?

Ich glaube, das kann für die Kinder von Vorteil sein. Die großen Kinder passen auf die kleinen auf und nehmen sie an der Hand. So entsteht unter den Kindern eine gewisse Solidarität. Oft gehen wir über einen längeren Zeitraum hinweg mit den selben Kindern zu den Besuchen, so dass diese sich kennen. Dennoch reicht ein Besuch im Monat eigentlich nicht aus. Mehr Engagement bedeutet jedoch auch mehr Kosten. Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolges. Leider haben wir nur zwei feste Halbtagsstellen. Unser Budget ist recht beschränkt. Rund 1.000 Besuche finden jährlich im Service „Treff-Punkt“ statt. Dazu kommen die Besuche im Gefängnis.

Es wird viel von Reformen im Strafvollzug geredet – ein überfülltes Gefängnis, kaum Resozialisierungsangebote?

Wir sehen den Kontakt mit den Kindern absolut als Resozialisierungsinitiative. Wir hoffen, dass der Elternteil, der auf diese Weise Kontakt zur Familie hat, weniger rückfallgefährdet ist.

Was fehlt im Gefängnis?

Das Gefängnis muss Platz schaffen für die Familie, für die Kinder. Hierzu müssen räumliche Möglichkeiten geschaffen werden. Wünschenswert wäre eine Art „accueil“, ein gemütlicher Raum, wo man sich hinsetzen, eine Tasse Kaffee trinken kann. Denn im Moment gibt es nur eine Art größeres Wartezimmer. Die Sanitäranlagen sind in einem unmöglichen Zustand. Es sind keine Vorrichtungen für Kinder dort, es gibt keinen Wickeltisch. Und der Weg zur Toilette liegt weit entfernt vom Besuchsraum. Insgesamt sind die materiellen Bedingungen im Gefängnis eher schlecht. Auch existieren kaum Busverbindungen nach Schrassig. Falls eine neue Gefängnisinfrastruktur geplant wird, dann erscheint es mir absolut wichtig, dass Familien von Anfang an einen Platz im Gefängnis erhalten.

Gibt es Beispiele im Ausland für die Familienintegration?

Es gibt viele verschiedene Initiativen. In England kümmern sich Erzieher im Gefängnis um die Kinder. Es herrscht ein Kommen und Gehen zwischen der Spielecke, der inhaftierten Mutter oder dem Vater. In Belgien gibt es das „tris-lieu“: Eine Kuschelecke mit Matratzen und Kissen, eine Ecke, wo die Kinder sich austoben können und eine Bastelecke. In Frankreich haben sie die „relais-enfant-parent“: Freiwillige begleiten Kinder ins Gefängnis. Dann gibt es Container im Gefängnistrakt, wo die Gefangenen ein Wochenende mit ihrer Familie verbringen können. In Holland existiert ein Gefängnis mit einem großen internen Freigebiet mit Schwimmbad und Ballspielplatz. Es wäre schon hilfreich, wenn in Luxemburg ähnliche Strukturen bestehen würden.


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