Im Streit um das neue kommmunale Raumplanungsgesetz will Innenminister Halsdorf nun endlich Änderungsvorschläge vorlegen. Doch längst ist aus der technischen eine politische Debatte geworden.
Um die fünfzig Briefe habe er mittlerweile unterschrieben, so Paul Helminger am Dienstag beim „City Breakfast“, um Betroffene zu unterrichten, dass ihre Anfragen für eine Baugenehmigung einstweilen „en suspens“ gehalten würden. Grund: die Interpretationsschwierigkeiten, die nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes zum „aménagement communal“ aufgetaucht sind. Dabei hatte Innenminister Jean-Marie Halsdorf noch im Mai als CSV-Abgeordneter im Parlament vorausgesagt, dass das neue Gesetz „wäert säi Wee sëcher a gutt maachen“. Eventuelle Probleme solle man „herno léisen“.
„Herno“ war schon im Herbst, als bei den ersten Informationsversammlungen für Gemeindebedienstete immer mehr Klärungsbedarf deutlich wurde. Die staatliche Informationspolitik litt unter der Tatsache, dass die UrheberInnen des Gesetzes nicht mehr präsent waren: Michel Wolter (CSV) wechselte vom Stuhl des Innenministers auf den des CSV-Fraktionschefs, und die einstige Direktorin für Landesplanung und Stadtentwicklung, Maryse Scholtes, aus deren Feder es maßgeblich stammt, ist mittlerweile erste Regierungsrätin im Bautenministerium.
Aufwändige Autonomie
Im September kündigte der neue Innenminister Halsdorf eine „circulaire“ an, die verschiedene Auslegungsprobleme geradebiegen sollte. Doch immer noch hat der Innenminister nichts Schriftliches präsentiert. Parteikollege und Stadtschöffe Laurent Mosar beschwichtigte am Dienstag: „Et soll ee bei sou Saachen net aus der Hëft schéissen.“
Um vier Aspekte geht es bei dem Streit übers neue Raumplanungsgesetz im wesentlichen: Der erste davon ist der „Ausnahme“-Artikel 27, der festlegt, wann ein „Plan d’aménagement particulier“ (PAP) nicht erforderlich ist. Philosophie des neuen Gesetzes ist nämlich, dass der allgemeine Bebauungsplan einer Gemeinde, der „Plan d’aménagement général“ (PAG) nur die Basis für den PAP liefert, das im Detail regeln soll, welche Formen ein bestimmtes Bauprojekt annimmt. Der PAP ist also nicht mehr, wie im alten Gesetz, eine Sonderregelung, sondern der Normalfall. Das gibt den Gemeinden mehr Spielraum, doch auch mehr Verantwortung beim Bearbeiten der Anträge und bei der Planung neuer Bebauungspläne. Über den neuen Aufwand für die Gemeinden sind nicht alle begeistert. Paul Helminger moniert: „Laut neuem Gesetz müssten wir die Hälfte unserer Genehmigungen über ein PAP abwickeln. Das würden wir physisch gar nicht schaffen.“ Würden die im Artikel 27 vorgesehenen Ausnahmen aber weniger streng definiert, wäre damit der Kern des Gesetzes ausgehebelt.
Zweiter Stein des Anstoßes ist der Artikel 108 mit den Übergangsbestimmungen, der klärt, wie und in welchem Zeitraum die Gemeinden die neuen Bestimmungen zu PAG und PAP anwenden müssen. Problematisch, so die Architektin Marie-Hélène Lucas, sei daran, dass „die ganze Logik des neuen Gesetzes von heute auf morgen umgesetzt werden muss“.
Doch vor allem der dritte Punkt, Artikel 7 über die Kompetenzen der „qualifizierten Personen“, die einen PAG oder PAP ausarbeiten dürfen, sorgt für viel Aufregung im Architektur-Milieu: Sie müssen über gewisse raumplanerische Qualifikationen verfügen. Die Liste steht immer noch aus – einer der Hauptgründe, weshalb das Gesetz bislang nicht angewandt werden kann.
Ein weiteres Thema, das für viel Gesprächsstoff sorgt, ist die 25-Prozentklausel: Beim PAP konnten auch laut altem Gesetz schon die Gemeinden 25 Prozent des Terrains abverlangen – für öffentliche Infrastrukturen, Kinderspielplätze usw. Nun ist aus der Kann- eine Mussbestimmung geworden, aber immer noch nur im Fall, wo Infrastrukturen im öffentlichen Interesse notwendig sind. Gerechter gegenüber den Promotoren, die nun gleichbehandelt werden, findet der grüne Bürgermeister Camille Gira. Andere befürchten allerdings, dass dies die Baupreise in die Höhe treiben könnte.
Kuhhandel?
Eine Reform sei notwendig gewesen, findet auch Marie-Hélène Lucas. Es sei sinnvoll, auf Landesebene eine minimale Harmonisierung der Struktur der Bebauungspläne anzustreben. Sie findet es auch „nur richtig“, dass das PAP eine neue Bedeutung gewinnt, das früher vor allem dazu diente, unerwünschte Bestimmungen eines PAG auszuschalten. Dagegen bedauert die Architektin den Mangel an Diskussionsbereitschaft des damaligen Ministers und seiner ersten Mitarbeiterin und die Weigerung der Parlamentsmehrheit, den Text noch einmal zu überarbeiten. Und Blanche Weber vom „Mouvement écologique“ wittert gar einen Kuhhandel zwischen den Regierungsparteien: „Die CSV ließ sich von der DP das Raumordnungsgesetz, die DP sich von der CSV das Gesetz zum Öffentlichen Transport absegnen.“
Das sieht Gira ganz anders. Dass sich seine Partei, die im Frühjahr das Gesetz mitgetragen hatte, bislang zum Streit nicht geäußert hat, erklärt er folgendermaßen: „Es ist nicht unsere Rolle, uns vor den Innenminister zu stellen.“ Doch er bleibt dabei: Es sei ausgiebig diskutiert worden, und herausgekommen sei ein gutes Gesetz, am Prinzip gebe es nichts zu rütteln.
Vieles, so Gira, sei sogar gegenüber dem alten Gesetz im Sinne der Gemeinden vereinfacht worden: So kann ein PAP, der dem Bebauungsplan entspricht, nun ohne den Umweg über die staatliche „commission d’aménagement“ abgesegnet werden. Dies wiederum ruft allerdings Giras vermeintliche Alliierte, die UmweltschützerInnen, auf den Plan: Der Fall Meysemburg habe gezeigt, dass ein Gemeinderat nicht immer mit seiner Autonomie sinnvoll umgehe, und die „commission d’aménagement“ habe in diesem spezifischen Fall ein wegweisendes Gutachten abgegeben.
Wundern tut sich Gira über eine DP, die während der Ausarbeitung des Gesetzes kaum einen Mucks gemacht habe, jetzt aber großes Geschütz auffahre. Helminger, so Camille Gira, „liegt total daneben“, wenn er jetzt Genehmigungen verweigere. Er selbst habe auf jeden Fall kein Problem mit der Auslegung des Gesetzes.
Michel Wolter, voriger Innenminister und heute CSV-Fraktionschef, sieht hinter den Kritiken die Lobbys am Werk: „Die Promotoren, die nicht mehr über die Köpfe der Gemeinden hinweg agieren können, die Architekten, die ihr Brot verteidigen, und gewisse Politiker, denn wir haben ja ein Wahljahr.“ Die Entscheidung Paul Helmingers, eine Reihe von Dossiers in der Schwebe zu halten, hält er sogar für juristisch unhaltbar: „Ein Bürgermeister muss seine Genehmigung geben. Ich warte darauf, dass der Bürgermeister vom ersten Promotor verklagt wird.“
Auch Wolter hält das Gesetz, das unter seiner politischen Verantwortung entstand, weiterhin für „gut und applikabel“. Es komme dem Ziel einer rationellen Raumnutzung entgegen und bedeute eine Kräfteverschiebung zu Gunsten der Gemeinden und auf Kosten der Promotoren“. Es stecke allerdings nun klare planungspolitische Ziele. „Vielleicht“, gibt Wolter zu, „ist das Gesetz zu modern für die Strukturen, in denen es angewandt werden muss. Aber mit dem Vorwurf kann ich leben.“
Dritter Anlauf
Bleibt die Frage, weshalb Innenminister Halsdorf – zu seinem eigenen Schaden – sich so viel Zeit gelassen hat, das Gesetz umzuändern. Halsdorf sei nicht fest im Sattel, munkeln böse Zungen, er lasse sich von der Promotoren-Lobby unter Druck setzen. Dass vor allem die DP und das ADR Sturm laufen und Gesetzvorschläge einreichen, komme nicht von ungefähr. Aus der technischen ist längst eine politische Debatte geworden.
Jean-Marie Halsdorf selbst erklärt sein langes Abwarten damit, dass er am heutigen Freitag nun schon zum dritten Mal mit einem Vorschlag vor den Regierungsrat trete – diesmal, so hofft er, mit Erfolg. Die Mehrheitsfraktionen zumindest scheinen schon positiv reagiert zu haben. Daraufhin wird ein Gesetzesvorschlag eingereicht, mit Bestimmungen, die es laut Halsdorf besser erlauben, den Übergang zwischen altem und neuem Gesetz zu organisieren, aber nicht „die Philosophie des Gesetzes in Frage stellen“. Dementsprechend muss dann ein PAP zwar nach den Regeln des neuen Gesetzes gemacht werden, doch ob überhaupt einer notwendig ist, wird nach den Spielregeln des alten Gesetzes entschieden. Das bedeutet, dass der Artikel 27 solange nicht angewandt werden braucht, bis eine Gemeinde einen neuen Bebauungsplan hat. Dafür hat sie laut Gesetz bis 2010 Zeit. Den PAP als Regelfall gibt es also einstweilen nicht mehr.
Auch was die Liste der qualifizierten Personen betrifft, so zeigt sich der Innenminister nun tatkräftig: „Sobald ich die Zustimmung der Regierung habe, kommt sofort die „circulaire“ und die Liste.“ Die gilt dann nur noch für die Bebauungspläne, nicht mehr für den PAP, zur Freude der ArchitektInnen.
Gespannt darf man also nun sein, wie die Fraktionen mit Halsdorfs Vorschlag umgehen. Ob etwa CSV-Fraktionschef Michel Wolter den Geist „seines“ Gesetzes darin noch wieder findet, ob die Grünen dann noch einmal mit der CSV stimmen. Und vor allem, wie sich der Koalitionspartner LSAP verhalten wird, der bislang vor allem als Interessensvertretung einer weiteren Lobby aufgetreten ist: die des Syvicol, der dem Gesetz bislang wenig abgewinnen konnte.