GESUNDHEIT: Dauerpatient Psychiatrie

Die Psychiatriereform kommt in Gang. Weil das Ettelbrücker CHNP Betten abbauen muss, fürchtet dessen Personal Entlassungen. Die sind bisher aber nicht in Sicht.

Wenn die Psyche verrückt spielte, blieb früher oft nur das CHNP in Ettelbrück. Künftig soll die akute Behandlung absoluten Vorrang haben. (Foto: AdH)

Angst, Unsicherheit und Misstrauen. So beschrieben MitarbeiterInnen des „Centre hospitalier neuro-psychiatrique“ (CHNP) ihre Gefühle in einer Petition, die sie Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo (LSAP) im Dezember überreicht hatten. Hintergrund der Aufregung: die geplante Reform der Luxemburger Psychiatrie.

Deren grobe Marschrichtung ist längst bekannt. Schon 1991 hatte Psychiatrie-Professor Heinz Häfner in seiner gleichnamigen Studie die Dezentralisierung der Luxemburger Psychiatrie dringend empfohlen. Erst im Spitalplan von 2001 wurden konkrete Schritte vorgeschrieben. Bis Anfang 2005 sollte das CHNP seine Bettenzahl von damals weit über 300 auf 237 reduzieren. Für die Betreuung akuter Fälle und Zwangseinweisungen würden künftig die vier großen regionalen Krankenhäuser in Esch/Alzette, Ettelbrück (St. Louis) und Luxemburg-Stadt (Centre hospitalier und Krankenhaus Kirchberg) allein zuständig sein. Während die Akutstrukturen in den Krankenhäusern mittlerweile im Aufbau oder schon umgesetzt sind, ist die Zukunft des CHNP aber noch weitgehend unklar. Ein Projet de loi von 1998 sah zwar vor, dass sich die Ettelbrücker Klinik auf schwierige und chronische Fälle, vor allem aber auf die Rehabilitation spezialisieren sollte. Der Entwurf blieb in einem ersten Anlauf jedoch auf dem Instanzenweg stecken.

An diesem Donnerstag hat die parlamentarische Gesundheitskommission nun eine überarbeitete Version des alten Textes angenommen. Sollte das Parlament dem zustimmen, wird das CHNP künftig aus drei Einheiten bestehen: eine Fachklinik für schwerwiegende und chronische psychiatrische Fälle, spezialisierte Dienste für ältere Menschen und solche für geistig Behinderte.

Doch auch wenn viele dem neuen Gesundheitsminister Tatendrang und guten Willen attestieren – viel klarer sehen die Beschäftigten des CHNP nicht. „Wie soll die Umstrukturierung konkret ablaufen?“, möchte Simone Peters, Vorsitzende der Personalvertretung der PrivatbeamtInnen, wissen. Insgesamt arbeiten im CHNP (inklusive dem Manternacher und Useldinger Therapiezentren für Drogen- bzw. Alkoholkranke und der Schrassiger Psychiatriestation) derzeit 626 Beschäftigte. Wegen der reduzierten Bettenzahl werden nicht mehr alle gebraucht. „Wo aber kommen die Betroffenen dann unter?“, lautet die bange Frage. In der Petition ist von einem „unvermeidbaren Abbau von Arbeitsstellen in allernächster Zukunft“ die Rede. Peters verweist auf noch laufende Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2004 mit den Krankenkassen: „Deren Berechnungen haben einen Überschuss an Personal ergeben.“

Angstszenario Arbeitslosigkeit

Tatsächlich beschäftigt die Ettelbrücker Einrichtung laut aktuellem Personalschlüssel 29 Personen zu viel. Das bestätigte der zuständige Sachbearbeiter Jean-Paul Juchem von der Krankenkassenunion (UCM) auf Nachfrage der woxx. Die Aufregung über mögliche Entlassungen hält Juchem für übertrieben. Bisher seien durch den Bettenabbau im CHNP keine Arbeitsplätze gestrichen worden. „Die UCM erwartet eine Verlagerung der Arbeitsplätze in andere Krankenhäuser und Einrichtungen“, meint der Krankenkassen-Spezialist, und er fügt optimistisch hinzu: Mittel- und langfristig würden die Umstrukturierungen „eher mehr Posten“ schaffen. Roger Consbrück, im Gesundheitsministerium zuständig für die Umsetzung des Krankenhausplans, sieht das ähnlich; konkrete Zahlen über neu zu schaffende Arbeitsstellen nannte der Beamte aber nicht.

In der Tat spricht einiges dafür, dass die Umstrukturierungen auf lange Sicht mehr Arbeitsplätze im Gesundheitssektor schaffen dürften. Schon jetzt gibt es einen Mangel an Plätzen für ältere Menschen mit mentalen Problemen. Die bestehende Auffangstrukturen und Therapieangebote für Drogenkranke reichen nicht und müssten dringend ausgebaut werden. Organisationen wie „Réseau psy“, das psychisch Kranke außerhalb der Krankenhäuser im Osten und Süden des Landes betreut, klagen ebenfalls seit Jahren über Personalmangel. Die Forensik, für psychisch kranke StraftäterInnen, ist hier zu Lande unterentwickelt. Arbeit ist also genug da.

Ob CHNP-Direktor Jean-Marie Spautz sein Versprechen, es werde keine Entlassungen geben, einhalten kann, wird vor allem davon abhängen, wie viel die LSAP-CSV-Regierung bereit ist, in den Gesundheitssektor zu investieren. In Zeiten von Krankenkassendefiziten, sinkenden Staatseinnahmen und dem Druck zur Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen auf EU-Ebene dürfte der finanzielle Handlungsspielraum des Gesundheitsminister eher enger werden. „Es gibt noch viel Einsparungspotenzial“, hatte Bartolomeo bei der Quadripartite vor gut einer Woche gesagt, und Krankenhäuser, Ärzte wie Patienten zu einem „verantwortungsvollen Verhalten“ aufgerufen. Das eingesparte Geld, so versprach der Minister immerhin, sei für Investitionen in den medizinischen Fortschritt.

Aber auch die Pflege bestehender Strukturen ist teuer. Für die Instandsetzung der vernachlässigten und mittlerweile maroden CHNP-Gebäuden fallen rund elf Millionen Euro an. Die „Inspection du travail et des mines“ hat gravierende Sicherheitsmängel wie fehlende Rauchmelder und Feuertüren, aber auch Hygienemängel festgestellt. Die Renovierungskosten kann die Klinik allein nicht finanzieren. 80 Prozent davon, so steht es im Bericht der Gesundheitskommission, soll deshalb der Staat übernehmen.

Noch etwas sieht das überarbeitete 1998er-Gesetz vor: Der Verwaltungsrat des CHNP soll von acht Personen auf zehn erweitert werden. Neben dem Gesundheitsministerium werden auch das Budget- und das Familienministerium künftig beim CHNP mitentscheiden. Berichterstatter Romain Schneider (LSAP) begründet dies mit eben jenen finanziellen Verpflichtungen und neuen Zuständigkeiten. So hat das Familienministerium mit dem CHNP eine Konvention über die Betreuung von Alten und geistig Behinderten abgeschlossen.

Staat verstärkt Kontrolle

So verständlich der Wunsch nach mehr Kontrolle ist, an Fachkompetenz in Sachen Psychiatrie gewinnt der neue Verwaltungsrat aber nicht. Obwohl das CHNP von den politisch Verantwortlichen zunehmend zum Bindeglied zwischen Spitälern und außer-klinischen Einrichtungen umfunktioniert, bleiben Fachleute anderer Sektionen weiterhin außen vor.

„Das ist eine der größten Ungereimtheiten“, kritisiert Marc Graas, Leiter der psychiatrischen Abteilung im Kirchberger Krankenhaus, die fachferne Zusammensetzung des Gremiums.

Die mangelnde Zusammenarbeit zwischen CHNP und den anderen Einrichtungen sorgt seit vielen Jahren für Streit. „Die Zusammenarbeit mit den Spitälern, und besonders mit dem CHNP, ist nicht einfach“, klagte Erik Ceuster, Psychiater vom ambulant arbeitenden „Réseau psy“, noch im Sommer vergangenen Jahres im Gespräch mit der woxx. Statt im Sinne einer bestmöglichen Betreuung für den Patienten eine Vernetzung aller psychiatrischen Dienste anzustreben, gebe es Konkurrenz und Abschottung, so die Kritik der Asbl.

Neu ist diese freilich nicht. Intransparenz und eine schlechte Informationspolitik wurden dem CHNP schon oft vorgehalten – und dies nicht nur von der Presse. Manch einer munkelt hinter vorgehaltener Hand, der erweiterte Verwaltungsrat diene vor allem der Regierung dazu, einer bremsenden, ungeschickt agierenden Direktion stärker auf die Finger zu schauen – damit die Restrukturierung endlich vorwärts kommt. Gerade die braucht aber die Begleitung durch ExpertInnen aus der Praxis.

„Die Kritik ist sicher berechtigt“, sagt Roger Consbruck. Das Ministerium plant einen wissenschaftlichen Beirat, ähnlich wie ihn das deutsche Psychotherapeutengesetz kennt, „mit direktem Draht zu den Extrastationären“. Der soll dann Verwaltungsrat und Krankenhausleitung künftig fachkundig beraten.

Dass Expertenmeinung (wieder) zählt, zeigt auch der Auftrag des Zürichers Wulf Rössler. Der Spezialist für Sozialpsychiatrie macht derzeit eine genaue Bestandsaufnahme der psychiatrischen Infrastruktur. Die Studie, deren Veröffentlichung für den April angekündigt ist, soll als Grundlage dienen für detaillierte Schritte in Sachen Psychiatriereform. Entlang der Ergebnisse will das Ministerium den künftigen Bedarf an Infrastrukturen und Personalressourcen genau bestimmen.

Von der Überprüfung ist auch der umstrittene Bau der dem CHNP unterstellten Rehabilitationsklinik in Niederkorn nicht ausgenommen. Dessen Baupläne liegen derzeit auf Eis und sollen nach Auskunft von Direktor Spautz, wenn überhaupt, dann „nur im Konsens“ mit der Dezentralisierung umgesetzt werden. Das werde nicht „vor dem Sommer“ sein.

So lange werden sich die Beschäftigten des CHNP also noch mindestens gedulden müssen, bevor sie Konkreteres über ihre Zukunft erfahren. Immerhin haben sich – auch auf Betreiben des Ministers – Direktion, Verwaltungsrat und Personalvertretung wieder an einen Tisch gesetzt. Direktor Spautz hat bereits Besserung bezüglich seiner Informationspolitik versprochen. Auf die Frage der woxx, ob er das Personal über bevorstehende Änderungen rechtzeitig informieren werde, antwortete Spautz: „Selbstverständlich“.

Sogar die Kritik der Grünen, die unter Berufung auf Expertengutachten im Frühjahr 2004 Unklarheiten bei der Fixierung und Zwangseinweisung von Patienten beanstandet hatten, hat der Direktor offenbar nicht auf die leichte Schulter genommen. Nach eigenen Angaben traf er sich im Herbst zum Gespräch mit der Luxemburger Menschenrechtskommission und hat zudem die Anwendung der Fixierung und der Zwangseinweisung intern überprüfen lassen.


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