DIOXINGEFAHR: Unsichtbares Gift

Die Empfehlung, kein Blattgemüse in der Gegend um die Elektrostahlwerke anzubauen, sorgt für Aufregung. AnwohnerInnen fordern schärfere Kontrollen für die Arcelor.

„Wenn es nach verbrannt stinkt, ist es die Arcelor. Wenn es faulig riecht, dann kommt’s von der Kronospan“, sagt Jean-Marc Calderoni. „Und ein Geruch von faulen Eiern, das ist die Papierfabrik in Virton“, fügt sein Nachbar Jean Bour hinzu. Doch es ist nicht der Gestank, der den beiden Differdinger Einwohnern am meisten Sorgen bereitet. Über Reihenhäuser und Gärten hinweg blicken sie auf die rauchenden Schlote der Arcelor, nur ein paar Hundert Meter von ihren Wohnungen entfernt. Anfang des Monats haben Gesundheits- und Umweltministerium empfohlen, in den Gärten rund um die Stahlwerke kein Blattgemüse mehr anzubauen. Der Grund: die hohe Belastung mit Dioxinen und Schwermetallen, die höchstwahrscheinlich von der Arcelor stammen.

„Wenn das Gemüse verseucht ist, was ist dann mit den Menschen“, fragt Calderoni. Niemand wisse, was die Arcelor-Schornsteine alles in die Luft blasen. Im November habe man auch vor dem Verzehr von Eiern aus der Gegend gewarnt. Sein Nachbar Bour zeigt auf das Dach seines Autos. „Diese kleinen Punkte im Lack, die kommen vom Metallstaub, der sich hier absetzt.“ Bei dem Wagen, den er vorher besaß, hätten sich die Partikel regelrecht eingefressen und den Lack ruiniert. Der aufgebrachte Nachbar will sogar Leute kennen, bei denen die Inox-Türgriffe angerostet sind.

Probleme mit der Umweltbelastung hat es in Differdingen schon immer gegeben. „Früher hat die Hadir so viel Staub ausgestoßen, dass die Autos ihre Scheinwerfer mitten am Tag anhatten“, erinnert sich Bour. „Hadir“ war die zweitgrößte Stahlfirma Luxemburgs, bis sie 1967 mit Arbed – Vorgängerin der Arcelor – fusionierte. Damals gab es eine Erste-Hilfe-Station speziell für die von dem Stahlwerk verursachten Gesundheitsprobleme. „Ich habe als Kind einen Metallsplitter ins Auge bekommen, das ist nie richtig verheilt“, erzählt Calderoni. Aber das sei nur Staub gewesen. Heute komme Gift aus den Kaminen.

Staub für immer

Die Angst und die Wut der AnwohnerInnen rund um die drei Stahlwerke Schifflingen, Esch-Belval und Differdingen rührt daher, dass sie sich nicht ernst genommen fühlen. Die Informationspolitik von Arcelor zeichnet sich nicht durch Transparenz aus. Dass vor Jahren eine Ladung radioaktiv verstrahlten Schrotts im Stahlwerk angekommen war, wurde nur bekannt, weil ein Arbeiter es weitererzählt hatte. Auch bei der Bürgerversammlung Ende vergangenen Jahres, kurz nachdem die Messwerte für Gemüse und Eier bekannt geworden waren, erklärte der Arcelor-Vertreter, die Firma halte ihre Grenzwerte ein. Das Problem müsse also woanders liegen. Damals habe ein Anwesender versichert, die Arcelor baue die Filter nur ein, wenn Kaminmessungen stattfänden, berichtet Calderoni.

„Zum Ein- und Ausbau der Filter sage ich nichts, so lange es keine Beweise gibt. Das einzige Handfeste, was wir haben, sind die Messwerte beim Gemüse“, so Christiane Leclerc-Emering, Präsidentin der Bürgerinitiative „Stopp Dioxin“. Es war ihre Organisation, die Ende der 90er Jahre errreichte, dass überhaupt moderne Filter in den Elektrostahlwerke eingesetzt wurden. Die Umstellung von klassischen Hochöfen auf Elektrostahlöfen werde die Umweltbelastung im Süden des Landes drastisch senken, hatte die Arbed damals versprochen. In der Tat ging unter anderem der CO2-Ausstoß massiv zurück.

Stopp Dioxin

Doch neue Probleme traten auf: Beim Elektrostahlverfahren kommt als Rohstoff Eisenschrott zum Einsatz, der häufig verunreinigt ist. Organische Bestandteile wie Kunststoff und Farbstoffe verwandeln sich bei hohen Temperaturen in Dioxine. Dabei handelt es sich um langlebige organische Schadstoffe, die sich in den Böden, aber auch in den Lebewesen anreichern und als krebserregend gelten. Dass Dioxinmessungen am Gemüse vorgenommen werden und nicht an Bodenproben, liegt daran, dass diese Substanzen in geringen Quantitäten schwer nachweisbar sind. In Blattgemüsen mit einer großen Kontaktoberfläche wie dem Grünkohl reichern sie sich dagegen schnell an.

Bevor moderne Aktivkohlefilter in den drei Elektrostahlwerken eingesetzt wurden, wurden die Grenzwerte beim Blattgemüse meist überschritten. Ende 1999 verkündete die Arcelor, die Feineinstellungen an der neuen Filtertechnik seien abgeschlossen. Doch auch in den darauffolgenden Jahren lagen die Werte häufig zu hoch. Weil aber die Auswertung der Gemüseproben viel Zeit in Anspruch nahm, wurden die AnwohnerInnen erst über die zu hohe Belastung informiert, wenn das Gemüse längst verzehrt war. Daher die Empfehlung der Ministerien an die KleingärtnerInnen, den Anbau von Blattgemüse bis auf Weiteres ganz zu unterlassen.

„Das ist ein Teilerfolg für uns“, so die Einschätzung von Leclerc. Endlich sei offiziell, dass die Grenzwerte nicht zuverlässig eingehalten werden. Aber es dürfe nicht dabei bleiben, dass die Arcelor dauerhaft ihre Auflagen nicht einhalte. „Wenn mein Auto bei der technischen Kontrolle zu viel Schadstoffe ausstößt, wird es aus dem Verkehr gezogen, bis der Missstand behoben ist“, empört sich Leclerc. Für die Arcelor dürfe keine Ausnahme gemacht werden.

Problematisch ist, dass an den Gemüseproben nur Immissionen gemessen werden – also das, was an Schadstoffen im Gemüse „ankommt“. Theoretisch könnten diese Dioxine auch aus anderen Quellen als den Stahlwerken stammen, zum Beispiel der Sidor-Müllverbrennungsanlage.

„Wir setzen Spitzentechnologien ein, um die Luftbelastung zu minimieren“, versichert Luc Scheer, ein Arcelor-Pressesprecher. Was ein Arcelor-Ofen genau ausstößt – die Emissionen – lässt sich durch eine Kaminmessung feststellen. Solche Messungen sind sehr aufwändig und werden nur zweimal im Jahr durchgeführt. Dabei würden die in der Betriebsgenehmigung vorgeschriebenen Dioxin-Grenzwerte – die strengsten Europas – problemlos eingehalten, versichert Scheer.

Mehr Messungen

Der Haken: Die Kontrollen werden vorher angemeldet, damit die Installation der Messgeräte reibungslos erfolgen kann. Das nährt den Verdacht, die Arcelor frisiere ihren Elektroofen, um gute Messwerte zu erreichen. Scheer weist das weit von sich: Sein Unternehmen sei durchgehend bemüht, die Grenzwerte einzuhalten, und trickse nicht mit den Filtern. Die Initiative Stopp Dioxin dagegen verlangt häufigere Kontrollen – „wenn möglich unangemeldete“. Neben den Dioxinmessungen schlägt sie vor, die Reinheit des eingesetzten Schrotts zu überprüfen. Oder gar den gesamten Produktionsprozess durch eine unabhängige Kontrollinstanz untersuchen zu lassen.

Außerdem fordert die Bürgerinitiative mehr Transparenz bei den Messungen. Manchmal seien negative Ergebnisse zurückgehalten worden, um erst eine Gegenprobe zu machen. Besonders stört sich Präsidentin Leclerc-Emering daran, dass Warnungen erst Monate, nachdem das Gemüse geerntet wurde, veröffentlicht wurden. Die Panikstimmung, die die vergangenen Warnungen und Entwarnungen hervorgerufen haben, teilt die gelernte Chemikerin indes nicht: „Dioxine werden nur durch die Nahrung aufgenommen, nicht durch die Luft.“ Ob für den Menschen gefährliche Konzentrationen erreicht werden, hänge von vielen Umständen ab. „Das Anbauverbot gilt nur für bestimmte Straßenzüge und bestimmte Gemüsesorten.“

Verharmlosen will die Stopp-Dioxin-Präsidentin auch nicht. Sie habe nie angefangen in ihrem Schifflinger Garten Gemüse anzubauen, früher nicht wegen den anderen Belastungen und danach nicht wegen den Dioxinen. „Wer bisher Kohl angebaut hat oder Futter für die Hühner, für den ist es bitter“, sagt Leclerc. Außerdem verlören die Häuser und Ländereien durch die Umweltbelastung an Wert.

Die Sorgen der Betroffenen nehme er sehr ernst, so Umweltminister Lucien Lux gegenüber der woxx. Deswegen hätten er und Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo dieses Dossier zur Chefsache erklärt. Auch Lux scheint Zweifel an der Zuverlässigkeit der Kaminmessungen zu haben: „Wenn die vorgeschriebenen Werte wirklich eingehalten würden, hätten wir das Dioxin-Problem nicht.“ Er will nun die Möglichkeiten prüfen, unangemeldete Kontrollen durchzuführen.

Im Vorfeld der Gemeindewahlen liegt es im Interesse des Ministers, das Problem zu entschärfen. Der Sanemer Gemeinderat Léon Kunnert (Déi Lénk) hat bereits eine Anfrage an das Schöffenkollegium gerichtet. Auch der grüne Escher Umweltschöffe Felix Braz und der Differdinger Bürgermeister Claude Meisch (DP) dürften sich bereit halten, aus der Dioxinbelastung ein Wahlkampfthema zu machen. Der Minister gibt sich kämpferisch. So wie das Ministerium gegenüber jedem Kleinunternehmen das Gesetz durchsetze, werde es das auch gegenüber der Arcelor tun. „Wir haben Transparenz für die betroffenen Anwohner herbeigeführt. Nun befassen wir uns mit dem Verursacher.“


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