ABHOLZUNG: Die Diktatur der Autofahrer

Vor kurzem kündete Minister Claude Wiseler an, dass aus Sicherheitsgründen ganze Baumalleen beseitigt werden sollen. Das Problem sind jedoch nicht die Bäume, sondern die Autofahrer.

In Deutschland, im Jahre 1939, vor dem Hintergrund der Einführung des Volkswagens, legte die „Reichs-Garagenordnung“ fest, dass bei jedem Wohnhaus Fahrzeugstellplätze zur Verfügung gestellt werden müssten; in Luxemburg bestimmt Artikel 19 der Gesetzgebung noch heute, dass beim Neubau eines Gebäudes Garagen vorzusehen seien. „Warum sind nicht stattdessen Kinderzimmer vorgeschrieben?“, fragte Hermann Knoflacher, Professor der TU Wien letzte Woche die GemeindevertreterInnen des Syvicol herausfordernd. An diesem Punkt müsse man ansetzen: Keine Garagen mehr vorschreiben, Sammelparkplätze in größerer Entfernung zum Wohnraum anlegen, den öffentlichen Transport mit seinen Halteplätzen ausbauen und die riesigen Gratisparkplätze der suburbanen Shoppingcenter massiv besteuern – dann würden sich wieder mehr Geschäfte im Zentrum ansiedeln, die Zahl der lokalen Arbeitsplätze würde wachsen, der Autofahrbedarf sinken und die Lebensqualität einer Stadt sich verbessern.

Doch anstatt das System nachhaltig zu ändern, bewilligten EU-Staaten riesige Fördermaßnahmen, um alte durch neue Autos zu ersetzen. Der aber mache die Landschaften unattraktiver, schädige die Umwelt und begünstige die Auflösung von Sozialstrukturen.

Früher seien die Gemeinden so konzipiert worden, dass die Nahversorgung per Fuß gewährleistet war, so Knoflacher. Seit der Erfindung des Autos hätten sich jedoch die Einrichtungen dieser Versorgung nach außerhalb verlagert. Dabei habe aber das viel gepriesene, schnelle Auto nicht dazu beigetragen, Zeit zu gewinnen – im Gegenteil, es müssten immer größere Distanzen überbrückt werden, um die im wesentlichen unveränderten Grundbedürfnisse zu befriedigen. Und je weiter die Menschen fahren müssten, desto mehr Energie sei erforderlich – eine angesichts des Peak-oil desaströse Verschwendung. „Das Auto ergreift vom Menschen Besitz – da der Autofahrer die Mobilität nicht mehr mit seiner eigenen Körperenergie bewältigen muss“, erklärte der Verkehrswissenschaftler. „Wir haben den Eindruck, wahnsinnig schnell und mächtig zu sein.“ Das Auto verändere die Wahrnehmung, das Verhalten und das Wertesystem. So habe dem Fußgänger früher stets die gesamte Straßenfläche zur Verfügung gestanden – mit der Erfindung des Autos sei er jedoch auf schmale Gehwege verbannt worden. „Wir haben nicht mehr Strukturen für die Lebensqualität der Menschen gebaut, sondern solche, die die Menschen zum Autofahren zwingen!“ Autos dürften die Umwelt straflos mit Lärm erfüllen und verunreinigen. Täglich würden Menschen im Verkehr sterben.

Statt jedoch die ausufernde Mobilität zu kritisieren, wird heute meist nur verbesserte Abgastechnik gefordert. Oder es werden ganze Baumalleen gerodet. So hat Minister Claude Wiseler, unterstützt von der „Association nationale des victimes de la route“ (AVR), kürzlich angekündigt, aus Sicherheitsgründen Straßenbäume – zum Teil ganze Alleen – auf den Strecken Saeul-Brouch, Éiter-Bous und im Mamerdall abholzen zu lassen. Aber nicht nur, dass die Lindenallee zwischen Saeul und Brouch auf der Liste der „Arbres remarquables“ steht – diese Politik ist grundsätzlich kontraproduktiv: Dadurch, dass den AutofahrerInnen immer mehr Raum überlassen wird, die Beseitigung von Hindernissen sie zu noch schnellerem Fahren stimuliert, werden die Unfallzahlen sicher nicht gesenkt werden. Absurd erscheint hier der Vorschlag des AVR, den Baumkahlschlag durch das Anpflanzen von neuen Bäumen um das „Monument du souvenir des victimes de la route“ zu kompensieren. Welch eine Niederlage! Noch mehr Bäume und weniger Verkehr, mehr Nahversorgung und weniger Stress – das ist die einzige Strategie, die zu mehr Sicherheit führt. Üben lässt sich dieses «Weniger» wie jedes Jahr zwischen dem 4. März und 1. April, beim traditionellen Autofasten.

http://www.erwuessebildung.lu/
http://www.autofasten.de/


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