ASYLRECHT: Free at last?

Die Freilassung von Zübeyde Ersöz ging fast so klammheimlich vonstatten wie ihre Festnahme.

Der Tag der Befreiung. Zübeyde Ersöz in Begleitung ihrer Anwälte. (Foto: Comité Ersöz)

Manchmal müssen auch woxx-RedakteurInnen der Aktualität ihren Tribut zahlen und einen bereits fertigen Artikel aus der laufenden Ausgabe kippen. Vergangene Woche wollten wir unserer LeserInnenschaft übermitteln, dass die Freilassung der kurdischen Journalistin Zübeyde Ersöz aus der Auslieferungshaft nur noch eine Sache von Tagen sein könnte, weil ruchbar geworden war, dass die Chambre du Conseil des Luxemburger Bezirksgerichts dem Auslieferungsbegehren der Türkei nicht zustimmen werde.

Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Am Donnerstag vergangener Woche hieß es auf einmal, der Generalstaatsanwalt habe die Freilassung „binnen der nächsten Stunden“ veranlasst. Das negative Gutachten der Ratskammer war demnach bereits an den Justizminister überstellt worden. Nach monatelangem Tauziehen hatte die zuständige Instanz also weniger als zwei Tage gebraucht um nach der eigentlichen Anhörung zu schlussfolgern, was die Anwälte der Betroffenen, aber auch das Solidaritätskomitee, Teile der Presse und über Tausend Petitionsunterschreiber seit Monaten immer wieder beteuert hatten: Die Türkei konnte keinerlei Belege anführen, die Zübeyde Ersöz auch nur ansatzweise als gefährliche Terroristin erscheinen lassen.

Doch diese Information war nicht etwa Inhalt einer offiziellen Pressemitteilung oder gar einer reuigen Stellungnahme des Justiz- beziehungsweise Außenministers. Sie wurde von den ebenso überraschten Komitee-Mitgliedern an die Presse übermittelt, bevor die sich kurzfristig vor dem Hauptportal des Schrassiger Gefängnisses einfanden. Dass es dann doch noch eine etwas längere Hängepartie bei nasskaltem Regen gab, hing vor allem daran, dass die unvorbereiteten Behörden Zübeyde Ersöz erst noch provisorische Papiere ausstellen mussten, damit sie sich fortan „legal“ in Luxemburg aufhalten konnte.

Auch wenn der Wortlaut des Gutachtens nicht vorliegt, so dürfte klar sein, dass die Hauptargumentation der Richter auf das schwache Dossier der türkischen Behörden verweist. Selbst eine von Luxemburger Seite
aus angemahnte Nachbesserung brachte keinerlei neue Erkenntnisse. Im Gegenteil, denn sogar die Staatsanwaltschaft sprach von einem „Affront“.

Entschuldigung blieb aus

Es gab keine neuen Belege zu den im Interpol-Haftbefehl aufgeführten Straftaten von Anfang der 90er Jahre. Es blieb bei zwei, zu einem späteren Zeitpunkt allerdings widerrufenen, Zeugenaussagen. Und auch den Wink mit dem Zaunpfahl seitens der Luxemburger Richterschaft, nicht ausgerechnet den Artikel 125 des türkischen Strafrechts als Auslieferungsgrund anzuführen, schienen die türkischen Justizbeamten nicht mitbekommen zu haben. Die Türkei verlangte die Auslieferung von Zübeyde Ersöz, vor allem weil sie als aktive kurdische Militantin die Integrität des türkischen Staatsgebietes gefährdet haben soll. Aus türkischer Sicht beileibe kein Kavaliersdelikt, denn als Höchststrafe ist lebenslängliche Haft vorgesehen. Eine politisch begründete Anklage, die allein schon ausreichen würde, der Auslieferung nicht zuzustimmen. Bittere Ironie: Die Kurdin müsste sich eigentlich bei den türkischen Behörden bedanken, denn selten gibt es einen solch offiziellen Beleg dafür, dass jemand politischer Verfolgung ausgesetzt ist.

Der Justizminister der auch für die Haftbedingungen von Zübeyde Ersöz verantwortlich zeichnete, fand bislang keine Worte der Entschuldigung und bekannte nur knapp, er nehme die Entscheidung zur Kenntnis und werde Zübeyde Ersöz nicht ausliefern. Der Frust mag wohl auch davon kommen, dass das Gesetz ihm überhaupt keine andere Wahl lässt. Lediglich im Falle eines positiven Gutachtens der Ratskammer hätte der Justizminister sich der Entscheidung entgegen stellen können und – im Sinne der Angeklagten – von einer Auslieferung absehen können.

Dafür entdeckte Luc Frieden für sich eine Kompetenz wieder, die er eigentlich beim letzten Regierungswechsel abgegeben hatte: Er sinnierte über die Möglichkeit zu erkunden, inwieweit Frau Ersöz überhaupt Anspruch auf Asyl in Luxemburg hat, weil sie ja eventuell zuvor ein anderes Land aufgesucht hatte.

Und auch der Außenminister, der ja mehrfach darauf hingedeutet hatte, dass eine Entscheidung der Justiz zugunsten der Kurdin, deren Asylantrag unter anderem Licht erscheinen lasse, gab sich dann doch wieder zugeknöpft. Es müsse nun einmal die normale Prozedur ablaufen, in deren Verlauf die üblichen Fragen zu klären seien. Die Hoffnung, die lange Haft in Schrassig könnte zumindest durch eine etwas flottere Gangart beim Asylverfahren kompensiert werden, war also verfrüht.

Nicht zu früh ist es Bilanz zu ziehen über den Ablauf der Geschehnisse um Zübeyde Ersöz von dem Moment an, wo sie Luxemburger Boden betreten hat. Das Land, das sie aufgesucht hatte, weil es nach ihrer Information in der Kurdenfrage korrekte Positionen bezogen hatte und nicht – wie etwa unsere Nachbarländer – den türkischen Polizei- und Militärapparat mit Waffen ausstattet, hat als Rechtsstaat eine ziemliche Delle davongetragen.

Einerseits blieb der Kurdin in den wichtigen ersten Stunden ein Rechtsbeistand versagt. Sie konnte nicht nachvollziehen, wie ihr geschah, als sie noch während ihrer Antragstellung im Außenministerium plötzlich als Topterroristin in Gewahrsam genommen wurde. Musste sie das Gefängnis für einen Gerichtstermin verlassen, wurde sie an Händen und Füßen gefesselt, wobei ihr auch der Kopf verhüllt wurde. Einmal entstand so bei ihr der Eindruck, kurz vor ihrer Abschiebung in die Türkei zu stehen. Dass es allein wegen der Sprache Kommunikationsprobleme gegeben hat, bewahrt die hiesigen Behörden nicht vor dem Verdacht hier eine Art Psychoterror veranstaltet zu haben. Die verschärften Haftbedingungen – einer der Beweggründe für den zweiwöchigen Hungerstreik von Zübeyde Ersöz – wurden erst gelockert, als der Vorsitzende der hiesigen Menschenrechts-Kommission die Betroffene im Gefängnis aufgesucht hatte und bei den zuständigen Ministern intervenierte. Und als dann auch noch das UN-Flüchtlingskommissariat einige Grundprinzipien des Asylrechtes in Erinnerung rief, wurde die gleich am ersten Tag abgewürgte Asylprozedur wieder aufgenommen.

Doch unabhängig vom individuellen Schicksal Ersöz‘ bleibt eine Frage unbeantwortet: Wie ist es möglich, dass Luxemburg – aufgrund seiner europäischen Verpflichtungen – ein Auslieferungsabkommen unterzeichnet hat, das von einem absoluten Vertrauen in den türkischen Justizapparat ausgeht. Solange ein solcher Antrag in der Schwebe ist, werden die zur Auslieferung anstehenden Personen quasi stellvertretend für die Türkei in Gewahrsam genommen. Der Anwalt von Zübeyde Ersöz, Marc Elvinger, hat angedeutet die Konsequenzen dieses Abkommens genau bilanzieren zu wollen – doch zunächst gilt es den Asylantrag der Kurdin durchzubringen.


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