STROMVERSORGUNG: Im Liberalisierungs-Wirbel

Verhindern, dass der Strom teurer und die Ausfälle häufiger werden, darum geht es bei der Diskussion um das neue Stromgesetz. Die Auswirkungen der Liberalisierung auf die Umwelt werden dabei vernachlässigt.

Ab dem 1. Juli 2007 sind wir alle gleich. Bisher ist es Menschen wie Arbed-Generaldirektoren vorbehalten, frei zu wählen, woher sie den Strom für ihre Elektrostahlwerke beziehen. Doch in weniger als einem Jahr haben auch Jenny und Menni die freie Wahl, ob sie Glühbirnen und Fernseher mit Cattenom- oder Nova-Naturstrom betreiben. Wie viel von dieser Freiheit in zehn Jahren noch übrig ist, bleibt dagegen unklar. Die EU-weite, schrittweise Liberalisierung des Strom- und Energiesektors beruht zwar auf dem Prinzip der Wahlfreiheit, hat aber in der Praxis die großen Konzerne gestärkt. Das diesjährige Gutachten des Wirtschafts- und Sozialrats meint, die Entstehung eines „système oligopolistique au niveau de l’UE“ zu erkennen, und erinnert an das eigentliche Ziel der Liberalisierung: „un remplacement des anciens systèmes monopolistiques par un système nettement plus concurrentiel au profit des consommateurs“.

Enttäuschte Erwartungen gibt es nicht nur in Sachen Wahlfreiheit. Als Jeannot Krecké am vergangenen Dienstag den Gesetzentwurf zum Strommarkt vorstellte – neben Regelungen zum Gasmarkt und zur Wärmedämmung -, bezog sich ein Großteil der Fragen von PressevertreterInnen auf die Preisentwicklung. „Ich hoffe, dass eines Tages die Strompreise wieder nach unten gehen“, so der für die Energiepolitik zuständige Wirtschaftsminister. Weltweit gebe es eine Explosion des Energieverbrauchs, der die Preise von Energieträgern wie Öl und Gas in die Höhe treibe und sich auch auf den Elektrizitätssektor auswirke. Er werde allerdings „nervös“, wenn parallel zu den Preisen auch die Gewinne steigen, so Krecké. „Da kommt der Punkt, wo’s kracht.“

Strömende Profite

Die seinerzeit von den Propheten der EU-Stromliberalisierung versprochene Verbilligung dürfte also auf sich warten lassen. Dass die Konzerne die Möglichkeiten, die sich durch Liberalisierung und Deregulierung bieten, auch nutzen, scheint den LSAP-Minister zu überraschen. Bedauernd stellt er fest: „Wir haben keinen Hebel, um den Strommarkt zu lenken, nur kleine Schrauben, an denen wir drehen können.“ Die ihm verbleibenden Möglichkeiten nutze er, versichert Krecké. Das neue Gesetz soll im Bereich der Netznutzung und der Durchleitung für mehr Effizienz sorgen. Auch sein „droit de regard“ auf die Tarifgestaltung der Stromanbieter werde er voll ausschöpfen.

Ein erstes Zeichen in diesem Sinne hat der Minister schon gesetzt. Der zurzeit gültige staatliche Tarifvertrag mit der Cegedel hätte voraussichtlich ab 1. Januar 2007 zu einer Preiserhöhung von 20 Prozent für Haushaltskunden geführt. Weil aber die Gestehungskosten für die Cegedel nicht in diesem Maße gestiegen sind, hat Jeannot Krecké den Vertrag aufgekündigt und wird die Preise für das erste Halbjahr 2007 neu verhandeln. Danach gelten dann erst einmal Wahlfreiheit und Marktgesetze.

Auch in Sachen Versorgungssicherheit wurden große Erwartungen an die Liberalisierung geknüpft. Im Sinne eines EU-weiten Strommarktes werden Querverbindungen zwischen den Stromnetzen geschaffen, die theoretisch die Ausfallsicherheit erhöhen. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass der Zusammenbruch eines Netzes nicht unbedingt von den Nachbarnetzen aufgefangen wird, sondern ebenso gut diese lahmlegen kann. Außerdem begünstigt die Liberalisierung große, zentrale Anlagen und eine effiziente, also knappe Bemessung der Reservekapazitäten – beides Faktoren, die das System anfälliger machen. Schließlich gefährdet auch der länderübergreifende Rückgriff auf Atomstrom, von manchen als Allheilmittel angepriesen, die Versorgungssicherheit. So könnte eine Hitzewelle in Frankreich in den nächsten Jahren ein europaweites Blackout hervorrufen.

Solche Probleme strategischer Natur werden im luxemburgischen Gesetzentwurf kaum angesprochen. Immerhin ist die Möglichkeit vorgesehen, per öffentlicher Ausschreibung neue Produktionsanlagen in Auftrag zu geben, falls dies für die Versorgungssicherheit nötig ist. Neue Vorschriften gibt es auch zur Absicherung der Qualität der Leitungsnetze. Langfristig will Krecké die Netze in einer einzigen, öffentlich kontrollierten Gesellschaft zusammenschließen.

„Zur Kontrolle der Leitungsnetze gibt es keine konkrete Aussagen“, bemängelt der grüne Europaabgeordnete und Energieexperte Claude Turmes gegenüber der woxx. Im Juli 2005 hatte er im Auftrag des Ministers den Bericht „Energie fir d’Zukunft“ vorgelegt. Darin plädierte er dafür, ähnlich wie in Dänemark per Gesetz das gesamte Transportnetz in ein staatliches Unternehmen zu überführen. Wenn nichts gegen die Zersplitterung der luxemburgischen Stromnetze unternommen werde, so befürchtet er, würden ausländische Konzerne die Kontrolle über Teile davon erlangen.

Gut versorgt

Jeannot Krecké widerspricht den Vorwürfen energisch: „Wir versuchen, genau das zu verhindern. Aber ich kann die doch nicht enteignen.“ Der Staat verhandle über einen Zusammenschluss der beiden größten Netze und sei bestrebt, seinen Anteil im Cegedel-Kapital zu erhöhen. Bei der von der EU vorgeschriebenen Aufspaltung der Cegedel in Netzbetreiber und Stromlieferant biete sich laut Krecké die Möglichkeit, die staatliche Kontrolle über das Netz zu etablieren.

Ein weiterer Dorn im Auge des Europaabgeordneten sind die Bestimmungen zum „service universel“. Wer künftig seine Rechnungen nicht bezahlt, kann einen „compteur à prépaiement“ installiert bekommen, der nur noch so viel Strom zur Verfügung stellt, wie im Voraus bezahlt wurde. Claude Turmes ist entrüstet: „In Großbritannien hat man damit sehr negative Erfahrungen gemacht. Viele Betroffene werden dadurch de facto vom Strom abgeschnitten, und in allen Fällen entstehen Sonderkosten, die den sozial Schwachen dann zusätzlich aufgebürdet werden.“ Jeannot Krecké bleibt hart: „Diese Kritik ist lächerlich. Wir schaffen endlich die Garantie dafür, dass man einen Stromanschluss erhält.“ Die Installation von „compteurs à prépaiement“ sei recht und billig. „Was soll man sonst mit denen tun, die nicht zahlen?“

Rot-grüne Resignation

Überraschend ist, dass die großen Divergenzen zwischen rotem Minister und grünem Europaabgeordneten außerhalb des Umweltbereichs angesiedelt sind. Beide scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass die Liberalisierung hier kaum noch Spielraum lässt. Krecké weist darauf hin, dass demnächst jeder Konsument entscheiden kann, ob er Ökostrom beziehen will. Und Turmes vermisst im Gesetzentwurf die Detailregelung, mit der die Herkunft des Stroms für Endverbraucher transparent gemacht werden soll.

Dass durch die Liberalisierung mittlerweile sogar Strom aus Drittstaaten – zum Beispiel aus maroden Atomkraftwerken – problemlos EU-weit angeboten werden kann, taucht in der Diskussion nicht auf, obwohl beide Politiker der Atomkraft kritisch gegenüber stehen. Auch die Direktanbindung Luxemburgs an das französische Stromnetz ist kein Thema mehr. „Die Tripartite hat sich ja dafür entschieden“, meint der Minister lapidar. Und auf grüner Seite hat man wohl eingesehen, dass sich der Import von Cattenom-Strom im großen Strommarkt sowieso nicht verhindern lässt.

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Wohnen in der C-Klasse
Neben den Gesetzentwürfen zur Liberalisierung stellte Jeannot Krecké auch ein Règlement grand-ducal über die Energieeffizienz in Wohngebäuden vor. Die Anpassung der Vorschriften für die Wärmedämmung war überfällig – und war von der Vorgängerregierung bereits mehrfach angekündigt worden. Der Energieminister erinnerte daran, warum diese Maßnahme bei vielen PolitikerInnen hoch im Kurs steht: Zum einen hilft eine Senkung des Heizöl- und Gasverbrauchs, die CO2-Bilanz Luxemburgs zu verbessern ohne den Tanktourismus zu berühren. Zum andern entstehen durch die zusätzlichen baulichen Maßnahmen neue Arbeitsplätze in der Baubranche. „Gegen Konkurrenz aus Indien ist dieser Sektor gefeit – jener aus der Großregion muss er sich allerdings stellen“, so Krecké.

Die neue Regelung schreibt vor, wie die Energieeffizienz von Gebäuden gemessen wird. Neu ist, dass neben der Prüfung der Gebäudehülle auch technische Installationen wie Heizung und Klimaanlage in die Bewertung einfließen. Ähnlich wie Kühlschränke erhalten Häuser künftig ein Energieeffizienz-Label. Wurde bisher bei Neubauten die Klasse G vorgeschrieben, so müssen ab 1. Juni 2007 Auflagen eingehalten werden, die in etwa den Klassen C bis D entsprechen, so Tom Eischen, der zuständige Beamte im Energieministerium. „Wir haben nicht gleich den Niedrigenergie-Level eingeführt, damit die traditionelle Massivbauweise weiterhin möglich bleibt.“ Eischen versichert aber, der neue luxemburgische Standard sei ähnlich streng wie die deutschen Vorschriften.

Arbeitsplatzintensiv ist vor allem die Altbausanierung. Doch in diesem Bereich gibt die neue Regelung keine Standards vor. Immerhin muss für jedes Gebäude ein Energiepass erstellt werden, sobald es die Besitzerin oder den Mieter wechselt. Die Autoren des Gesetzestextes setzen darauf, dass auf dem Mietmarkt eine größere Nachfrage für energieeffiziente Wohnungen entsteht. Dann würde es sich für HausbesitzerInnen lohnen, in Wärmeschutzmaßnahmen zu investieren, so die Hoffnung.


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