Nicht nur konventionelle Lebensmittel standen in den vergangenen Tagen in der Kritik, auch bei Bio gab es Probleme. Ein Grund mehr, Fragen zu stellen – auch anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der organisierten Biolandwirtschaft in Luxemburg.
Woxx: Nach dem Pferdefleisch-Skandal gibt es jetzt auch Täuschungen bei der Etikettierung von Bio-Eiern. Wie steht es um die Landwirtschaft?
Daniela Noesen: Nach dem Krieg bestand die Notwendigkeit, billige Lebensmittel zu produzieren, und nach diesem Prinzip sollten sich die Betriebe aufstellen. Im Laufe dieses Prozesses haben wir jedoch immer mehr den Bezug zur Landwirtschaft verloren. Die Landwirtschaft hat eine Wendung zur Industrialisierung genommen – auch durch die unumgängliche Technisierung. Und dort, wo Geld verdient wird, wird auch versucht, Extraprofit zu machen. Das haben wir auch beim Pferdefleischskandal gesehen. In Luxemburg haben wir den Vorteil, dass wir ein kleines Land sind. Als Verband haben wir einen engen Kontakt mit unseren Mitgliedsbetrieben, und hier finden auch regelmäßig Kontrollen statt. Jeder Biobetrieb wird mindestens einmal im Jahr kontrolliert, das sieht auch die EU-Richtlinie so vor. Dazu kommen jene Richtlinien und Kontrollen, denen sich die Bauern von Bio-Label und Demeter zusätzlich unterwerfen. Auch wurden nach früheren Skandalen im Biobereich die Betriebe neu katalogisiert. In Risikobetrieben werden z.B. Stichprobenkontrollen durchgeführt. Es wurde ein ziemlich engmaschiges Netz errichtet. Jeder Mitgliedsbetrieb von Bio-Lëtzebuerg muss komplett auf biologische Landwirtschaft umstellen. Wir sind der Meinung, dass man Bio nur im ganzen Betrieb machen kann und nicht nur in einem Teil davon. Das vereinfacht auch die Kontrollen und bedeutet mehr Transparenz für den Kunden.
Sind die Kontrollen dem Bio-Gedanken wirklich noch angemessen, oder wurden sie aufgeweicht?
Die EU-Richtlinie wurde für 27 Mitgliedsländer ausgestellt, das heißt sie gilt genauso für Dänemark wie für Italien, was dazu geführt hat, dass oft ein breiter Konsens notwendig ist. Allerdings muss ich auch sagen, dass die Kontrollen – in Luxemburg werden wir vornehmlich von einem französischen und zwei deutschen Vereinen kontrolliert – schon sehr streng sind. Das Vorgehen ist so, dass wenn ein Betrieb auf Bio umstellen will, er erstens eine Umstellungszeit hat und sich selbst verpflichtet, indem er einen Vertrag mit einer Kontrollstelle abschließt. In Luxemburg übernimmt der Staat, auch um den Biolandbau zu unterstützen, die Kosten der Standardkontrollen. Damit weiß unsere Verwaltung auch, welcher Betrieb welche Verträge abgeschlossen hat. Bei den Betrieben, die sich zusätzlich zur EU-Richtlinie auch unseren Richtlinien angepasst haben, stellen wir nach entsprechender Nachprüfung die Zusatzzertifikate für Demeter oder Bio-Label aus.
Luxemburg importiert einen guten Teil seiner Produkte; wie sollen diese überprüft werden?
Die Märkte sind offen, das war schon immer auch ein Problem. Wir haben große Warenströme, und selbstverständlich muss man sich auf die Zertifikate verlassen können. Und natürlich brauchen wir deshalb auch allgemeine Zertifikate, die vergleichbar sind – daraus sind das EU-Label und die EU-Richtlinien entstanden. Zudem haben wir das Problem, dass die Produktion in Luxemburg ziemlich klein ist, bei Orangen, Bananen oder Zitronen müssen wir passen. Wir können mit Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Fleisch und Milch dienen – auch beim Gemüse sind wir mittlerweile recht interessant aufgestellt. Wer ganz sicher gehen will, der kauft seine Produkte saisonal direkt vom Hof.
Einerseits wird kritisiert, Bio sei nur Wohlhabenden zugänglich. Andererseits droht Bio in die Discountecke abzurutschen. Wie ist dieser Schritt zum Billigen hin vertretbar – ohne die eigenen Ideale zu verraten?
Der Wunsch, Bioprodukte für jedermann zugänglich zu machen, ist ein großes Problem. Damit das möglich ist, wird vom Handel ein enormer Druck weitergegeben. Der Bauer steht da immer an letzter Stelle in der Kette. Wenn sein Milchtank voll ist, dann ist er froh, wenn die Milch abgenommen wird, denn sonst wird sie schlecht. Damit hat die Abnehmerseite – also der Handel – immer auch ein Druckmittel an der Hand. Das behindert den Solidaritätsgedanken, besonders, wenn vom Landwirt obendrein noch erwartet wird, dass er alles 100-prozentig macht und bis zum letzten I-Tüpfelchen dokumentiert. Und dann finden sich immer schwarze Schafe, Betriebe, die nur darüber nachdenken, wie sie sich bereichern können. Die Industrialisierung hat auch relativ große Betriebe möglich gemacht – hier müsste es Änderungen geben. Es gibt immer zwei Seiten: Auf der einen ist es toll, wenn wir Bio Zuwächse bekommen – auf der anderen zieht das jene an, die nur Profit machen wollen. Hier sehen wir nach 25 Jahren Biolandbau Luxemburg auch unsere Aufgabe: In verschiedenen Betrieben wollen wir Biolandbau erklären und mit interessierten Besuchern in den Dialog treten und uns die Produktion anschauen. Denn man muss informieren, eine Sensibilisierung für die Produkte des regionalen Bioanbaus ist wichtig – gerade heute, wo die Distanz zur Landwirtschaft immer größer wird.
Geht Bio mit Convenience-Food nicht immer stärker den konventionellen Weg? Muss Bio hier mitmachen?
Ich denke, was generell nicht passieren darf, ist, dass ein konventioneller Betrieb ausschließlich aus finanziellen Erwägungen Bio macht und seine jetzige Produktion einfach gegen Biobetriebsmittel austauscht – das funktioniert sicherlich nicht. Ein gedanklicher Wandel muss stattfinden, um sich von diesem konventionellen Weg, der ja eigentlich von der Industrie vorgegeben wird, zu lösen. In meinen Augen hat die Landwirtschaft die Möglichkeit, zu handeln und zu sagen, das wollen wir nicht mehr. Irgendwann gibt es kein Erdöl mehr und dann können wir nicht mehr so weiter produzieren. Wenn ich mir etwa den Saatgutbereich anschaue und die Spritzmittel-Lobby, die dahinter steht – es sind wenige, sehr große Firmen, die sich den Weltmarkt aufteilen – dann werden die selbstverständlich den Teufel tun, sich irgendwelche Marktanteile wegnehmen zu lassen. Es sind diese Größenordnungen, die einen Wandel erschweren. Biolandbau beinhaltet jedoch auch die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen – wir müssen auch die sozialen Aspekte berücksichtigen. Deshalb habe ich auch eben von der Solidarität gesprochen, diese Punkte müssen wir im Auge behalten. Der Biolandbau versucht viele Bereiche abzudecken, und wir können uns bestimmt nicht davon freimachen, dass es hier Einzelne gibt, die auf einfachem Weg Geld verdienen wollen. Aber es gibt auch viele Landwirte, die sehr engagiert sind und sich für einzelne Themenbereiche des Biolandbaus, wie z.B. den Wasser- und Naturschutz, einsetzen oder für die Gentechnikfreiheit eintreten. Alle diese Schwerpunkte gehören in den Biolandbau, und das macht die Sache unheimlich komplex und spannend.
Wo sehen Sie auf EU- und nationaler Ebene den größten Handlungsbedarf?
Wir sprechen immer von Förderpaketen, und es wird viel Geld in die Landwirtschaft gesteckt. Ich wäre froh, wenn es ein gestaffeltes System gäbe, bei dem der Biolandbau die Spitze bildet, die mit der höchsten Förderung besetzt ist. Zusatzleistungen müssten sich am Umweltschutz orientieren. Auf EU-Ebene brauchen wir sicherlich diese Prämienforderungen, wie sie die EU-Richtlinien vorschlagen: Ökologische Vorrangflächen bedeuten hier jedoch nicht, dass diese stillgelegt werden, sondern dass sie ökologisch bearbeitet werden sollen. Dann können auch Aspekte wie der Körnerleguminosenanbau miteinfließen. Bis 2020 müssen die vereinbarten Nachhaltigkeitsziele berücksichtigt werden, da reicht ein grünes Mäntelchen nicht mehr. Die Maßnahmen müssen aufeinander aufbauen. Das würden wir uns wünschen, und dass konventionelle Betriebe eine Chance bekommen, sich zum biologischen Landbau hinzubewegen. Es reicht jedoch nicht, sich nur zu ökologisieren – Biolandbau beinhaltet auch ein ganzheitliches Konzept, das wir langfristig für die Umwelt und die Gesellschaft erreichen wollen.
Infos zu den Festlichkeiten: www.bio-letzebuerg.lu / www.ibla.lu
Zur Person:
Daniela Noesen, Direktorin von Bio-Lëtzebuerg seit 2012, hat ursprünglich Agrarwissenschaften in Bingen studiert. Nach diversen Berufserfahrungen mit Schwerpunkt Milchviehhaltung wechselte sie 2006 zur Bioberatung, wo sie sich bevorzugt um Biomilchviehbetriebe kümmert.