GEMEINWOHL-ÖKONOMIE: Pragmatisch aber radikal

Das Wirtschaftssystem umkrempeln, ohne dogmatisch vorzugehen, dafür steht Christian Felber. Der Autor von Büchern zu Gemeinwohl und Geldordnung kommt demnächst nach Luxemburg.

Bei aller Lust am Theorisieren legt Christian Felber großen Wert auf die demokratische Umsetzung: Seine Ideen sollen nicht von einer politischen Elite übernommen und umgesetzt werden, sondern durch Konvente, in denen die BürgerInnen über eine neue Wirtschaftsordnung befinden.

Christian Felber, ein Kommunist? Das behaupten manche seiner Gegner. Es stimmt, der österreichische Autor ist seit langem ein scharfer Kritiker des kapitalistischen Systems, entwickelt seit Jahren die Idee einer Gemeinwohl-Ökonomie, würde am liebsten Geld zu einem öffentlichen Gut machen und dabei die Zinsen abschaffen. Andererseits hat Felber das Konzept seines 2010 erschienen Buches „Die Gemeinwohl-Ökonomie? mit der Attac-UnternehmerInnen-Gruppe erarbeitet – die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel ist dabei kein Programmpunkt. Und obwohl er die Einkommensunterschiede reduzieren will, schwebt ihm eine Obergrenze von mindestens dem Zehnfachen des Mindestlohns vor – Original-Ton Felber: „Wer fleißig ist und viel leistet, der soll auch ein entsprechend höheres Einkommen erzielen dürfen.“

Für die einen wirken diese scheinbaren Widersprüche abschreckend, für andere machen gerade sie Christian Felber interessant. Am kommenden Donnerstag, dem 8. Mai, wird er seine Ideen in Luxemburg vorstellen – das Internationale Klimabündnis hat ihn zu seiner Jahresversammlung eingeladen. Inwiefern die Gemeinwohlökonomie auch ein Modell für Städte und Gemeinden sein kann, darüber wird er mit ExpertInnen und PolitikerInnen debattieren.

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine ethische Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geld-kapital ist, sondern das gute Leben für alle.

Anders als viele linke Denker legt Felber bei aller Lust am Theoretisieren großen Wert auf die demokratische Umsetzung der Alternativen. Die Veränderung soll nicht dadurch erfolgen, dass seine Ideen von der politischen Elite – oder einer bestimmten Partei – übernommen und umgesetzt werden, sondern durch Wirtschaftskonvente, in denen die BürgerInnen über eine neue Wirtschaftsordnung befinden. Derzeit bereiten mehrere Kommunen und Regionen solche Projekte vor. Außerdem bekennen sich 1.570 Unternehmen weltweit zu den Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie, wie man aus dem vergangene Woche veröffentlichten ersten internationalen Jahresbericht erfährt.

Was ist neu an der Gemeinwohl-Ökonomie? Die Anhänger der Idee verweisen auf ihre lange Tradition: Von Aristoteles über Thomas von Aquin und Jean-Jacques Rousseau bis hin zu John Rawls wurde immer wieder auf das Gemeinwohl als Gegenpol zum ungehemmten Gewinnstreben verwiesen. Die Idee geht auch weiter als die traditionellen Forderungen nach ethischem Wirtschaften oder „corporate social responsibility“, Vorstellungen, bei denen es darum geht, die Profitmaximierung durch bestimmte soziale und ökologische Anforderungen zu beschränken. Demgegenüber hat die Gemeinwohl-Ökonomie eine „ethische Marktwirtschaft“ im Blick, „deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle“. Anders als für viele Linke spielen für die Anhänger des Modells Unternehmen eine besondere Rolle, denn bei ihnen findet man, so die Überzeugung, „den größten Hebel für Veränderung“. Zentral ist dabei folgendes Prinzip: „Unternehmensgewinne dienen der Stärkung der Unternehmen sowie der Einkommenserzielung und der Alterssicherung der UnternehmerInnen und der Beschäftigten, nicht aber der Vermögensvermehrung externer KapitalgeberInnen.“

Vergesellschaftung, Selbstverwaltung, Zinsverbot und Grundeinkommen sind kein Selbstzweck, sondern Instrumente einer besseren Gesellschafts- und Wirtschaftsform.

Christian Felbers Herkunftsland Österreich hat auf EU-Ebene gemeinsam mit Luxemburg sein Bankgeheimnis verteidigt. Anders als das Großherzogtum ist die Alpenrepublik aber ein „richtiges Land“. Deshalb gibt es dort ein sehr aktives Attac-Netzwerk und eine Reihe von NGOs, welche die Probleme der Steuerflucht thematisieren. Und Felber schreckte nicht vor dem Vorschlag zurück, die EU solle Österreich vom freien Kapitalverkehr ausschließen. Der sei schließlich kein Naturrecht, sondern eine Vertrauensleistung, die voraussetze, dass man sich an die Regeln hält. „Dann würde Österreich binnen 24 Stunden sein Bankgeheimnis lüften“, so Felber im vergangenen Jahr. Man darf gespannt sein, ob das Thema am Donnerstag auch in der Steueroase Luxemburg zur Sprache kommt.

Finanzsystem und Geldordnung waren auch der Stoff für Felbers jüngstes, im März erschienenes Buch „Geld – Die neuen Spielregeln“. Felber will zwar nicht das Geld abschaffen, die Investmentbanken und Finanzmärkte aber schon. Als erstes soll die Geldschöpfung nicht mehr durch Privatbanken, sondern nur noch durch die Zentralbank erfolgen können. Sodann sollen alle Banken zu gemeinwohlorientierten Unternehmen werden, also das Kreditwesen kostendeckend betreiben, ohne Gewinne auszuschütten, und zusätzlich alle Kreditvergaben auf ihre Gemeinnützigkeit prüfen. Das hieran angelehnte Projekt einer „Demokratischen Bank“ wird demnächst in Österreich umgesetzt. Schließlich fordert Felber den „Ausstieg aus dem Zinssystem“, denn: „Es soll überhaupt keine Kapitaleinkommen mehr geben, es soll Einkommen nur gegen Arbeitsleistung geben“. Das würde seiner Ansicht nach dazu führen, dass Sparer auf der Suche nach „Sinn“ bereitwillig kostenloses Eigenkapital für „sinnvolle“ Unternehmen zur Verfügung stellen.

Eine Utopie? In gewisser Weise schon, doch es geht Felber darum, die Dinge in Bewegung zu bringen, und nicht, das perfekte System zu erdenken oder den einen Punkt zu finden, mit dem man die Welt aus den Angeln heben kann. Seit seinem „Schwarzbuch Privatisierung“, das er 2004 in Luxemburg vorstellte (woxx 738), hat der linke Theoretiker immer den Zweck der angestrebten Veränderung im Blick gehabt. Worüber auch immer er referiert – Vergesellschaftung, Selbstverwaltung, Zinsverbot oder Grundeinkommen – es wird nicht verabsolutiert, sondern zum Zwecke einer besseren Gesellschafts- und Wirtschaftsform instrumentalisiert. Was die angestrebte Veränderung angeht, ist Felber aber durchaus radikal. So heben sich seine Vorschläge für lokale Gemeinwohlbilanzen und eine neue Geldordnung wohltuend ab von Projekten, dem Schönrechnen von Gemeinden-CO2-Bilanzen oder einem systemkompatiblen Green New Deal. Wer Felbers Ausführungen ernst nimmt, muss mehr anstreben, als nur kleine „Good Life“-Brötchen in den Öfen des Großkapitals zu backen.

http://www.christian-felber.at
http://www.gemeinwohl-oekonomie.org

Details zur Jahresversammlung des Internationalen Klimabündnisses in Luxemburg: www.climatealliance.org


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