Auf arte.tv: „Chinas ungeliebte Frauen“

Die Dokumentation „Chinas ungeliebte Frauen“ ist ergreifend: Sie porträtiert junge Frauen und Männer, die von der verzweifelten Suche nach Ehepartner*innen getrieben sind.

Die Doku „Chinas ungeliebte Frauen“ offenbart, welch hohen Stellenwert Heirat für manche chinesische Familien hat. Auf ledigen Frauen und Männern lastet ein hoher Druck, der einen als Zuschauer*in mitnimmt. (Fotos: Arte)

Qiu Huamei, Mitte dreißig und ledig, sitzt einer Partnervermittlerin gegenüber. Sie beschreibt selbstbewusst, was ihr in einer Beziehung wichtig ist: Der Mann soll die Frau respektieren und sich an der Hausarbeit beteiligen. Die Partnervermittlerin hakt ungeniert nach, ob Huamei ihren letzten Partner zur Hausarbeit gezwungen habe. Huamei lächelt und sagt „Ja“. „Entschuldigen Sie, wenn ich so direkt bin, aber Sie sind nicht das, was man traditionell eine Schönheit nennt“, antwortet die Partnervermittlerin. „Sie glauben wirklich, Ihr Alter wäre auf dem Heiratsmarkt noch gefragt? Sie wollen kinderlos bleiben? Sie erwarten von einem Mann, dass er das akzeptiert?“

Bereits nach der ersten Szene der Doku „Chinas ungeliebte Frauen“, die die Stigmatisierung lediger Frauen in China thematisiert, will man auf den Bildschirm spucken. Man kocht vor Wut auf traditionelle Rollenzuschreibungen, Sexismus und die Unterdrückung des freien Willens. Der Brechreiz und die Wut haben nichts mit der Qualität der Doku der israelischen Regisseurinnen Shosh Shlam und Hilla Medalia zu tun – denn sie ist großartig. Shlam und Medalia begleiten drei Frauen auf ihrem Weg durch das eng gewobene Netz familiärer und gesellschaftlicher Erwartungen. Der Film macht den Druck spürbar, der auf den Frauen und Männern lastet. Heiraten wird, das legt die Doku nahe, von vielen als Maß aller Dinge angesehen. Wer mit Ende zwanzig noch nicht unter der Haube ist, gilt als schwer vermittelbar. Fast so, wie ein alter Hund im Tierheim. Das trifft besonders auf Frauen zu. Männer kommen besser weg. Eltern bieten ihre erwachsenen Kinder wie Ware auf Heiratsmärkten an. Allein bei der Betrachtung vom heimischen Sofa aus schnürt einem das die Kehle zu.

Die Schicksale der drei Frauen sind unterschiedlich. Da gibt es die 28-jährige Xu Min, deren Mutter sich bei jeder Beziehung querstellt. Xu Min besucht Kuppelshows, die Fernsehformaten wie „Der Bachelor“ oder „Die Bachelorette“ in nichts nachstehen. Anstelle der roten Rose bekommt die Auserwählte eine Plüschfigur in die Hand gedrückt. Xu Min hinterfragt den irrsinnigen Drang nach der ewigen Bindung kaum. Ihr Heiratswille scheitert an der Ungenügsamkeit ihrer Mutter, mit der sie heftig aneinandergerät. Die Hochschuldozentin Gai Qi reagiert mit Ende dreißig anders auf den Heiratswahn: Sie gründet im Schnellverfahren eine Familie mit einem jüngeren Mann. Der Altersunterschied wird nach Möglichkeit vertuscht. Qi bezeichnet ihre Schwangerschaft vor Student*innen als Kompromiss. Es fällt schwer, ihr abzukaufen, dass ihr Glück in der Ehe liegt, wie sie ihren Student*innen zu verstehen gibt.

Am packendsten ist die Geschichte von Huamei. Die Rechtsanwältin, deren Kurzhaarschnitt ihr übrigens umwerfend steht (das sei der Partnervermittlerin zum Trotz erwähnt!), kämpft – gegen ihre Familie und gegen sich selbst. Es ist mitreißend, wie sie immer wieder versucht, sich dem Willen der Familie zu beugen und sich um einen Partner zu bemühen, doch letztlich ihren Prinzipien treu bleibt. In einer ergreifenden Szene, in der sie sich mit ihrer Familie streitet, fragt sie weinend: „Ist es verboten, nicht zu heiraten?“ „Es sollte verboten sein“, entgegnet eine ihrer Schwestern. „Wer ledig ist, kann nicht glücklich sein, auch wenn du das glaubst.“

Die Regisseurinnen lassen einen mit den Frauen alleine. Die Bildkompositionen sind ausdrucksstark, kommen mit wenig Schnickschnack aus. Es gibt kaum eine Kontextualisierung, keine Interviews. Der anfängliche Brechreiz weicht irgendwann, so pathetisch es auch klingen mag, Tränen. Es tut nämlich weh, wenn Huamei ihre Eltern auf dem Land besucht und für ihre Lebensentscheidung geächtet wird. Es trifft einen, wenn sie zu ihrem Therapeuten sagt: „Ich fühle mich ständig unter großem Druck. Es ist, als ob ich mitten in einem Ozean treibe, kurz vor dem Untergehen. Und dann zerreißt es fast mein Herz, dann steigt Panik in mir auf.“ Man fühlt mit, wenn sie kurz vor Ende nochmal aus dem Taxi steigt und ihren Vater fest umarmt. Die Doku sagt unheimlich viel, auch ohne Worte. Sie prangert patriarchale Strukturen an, kommentiert Chinas Politik mit subtilen Bildern und macht Frauen wie Huamei sichtbar, die sich gegen festgefahrene Lebensvorstellungen wehren.

Chinas ungeliebte Frauen, 
auf Chinesisch mit englischer Übersetzung, in der Arte-Mediathek. 
Verfügbar bis zum 7. September 2020.

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