Backcover: „Comics haben die wunderbare Eigenschaft, Brücken zu schlagen“

Véro Mischitz ist Biologin und begeisterte Geschichtenerzählerin. Beides bringt sie in ihren Comics zusammen. Für die woxx hat die Zeichnerin eine neue, düstere Geschichte geschaffen.

Mischitz vermittelt mit liebevollen Figuren und Geschichten komplexe wissenschaftliche Themen. (Illustration: Véro Mischitz)

Woxx: Véro, wie sind Sie darauf gekommen, Ihre Liebe für Naturwissenschaften mit Ihrer Leidenschaft für Comics zu verbinden?

Véro Mischitz: Meine Liebe für das Lernen und meine Neugierde haben mich dazu gebracht, Biologie an der Universität zu studieren. Ich habe es sehr genossen, mich mit allem zu beschäftigen, was lebt – im Kleinen und im Großen. Als es dann aber auf das Ende meines Studiums zuging, wurde immer klarer, dass das hochkompetitive akademische Arbeitsumfeld mit enormem Leistungsdruck bei mangelnder Planbarkeit nicht gut zu mir passt. Gleichzeitig hat mir das Geschichtenerzählen gefehlt. Zu dem Zeitpunkt habe ich bereits nebenbei Comics gezeichnet. Eines Tages meinte einer meiner Zeichenkollegen: „Warum machst du dich eigentlich nicht selbstständig und verbindest beide Dinge?“ Das habe ich dann umgesetzt und einige Jahre lang hauptsächlich Illustrationen, etwa im Schulbuchbereich, gemacht. Der Switch zu der reinen Wissenschaftskommunikation kam 2014: Die [deutsche Forschungsorganisation, Anm. der Red.] Helmholtz-Gemeinschaft hat eine Stelle ausgeschrieben, um einen monatlich erscheinenden Wissenschaftscomic herauszubringen. Diesen Comic durfte ich sieben Jahre lang erdenken und umsetzen.

Wie war diese Erfahrung für Sie? Dieser Job bedarf sicherlich einer ganz anderen Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Themen.

Auf jeden Fall. Die Themen waren weit gestreut. Wir haben in den einzelnen Episoden sowohl wissenschaftliche Grundlagen erklärt, als auch aktuelle Themen aus Forschung und Wissenschaft aufgegriffen – das alles für eine breite, und vor allem erwachsene, Zielgruppe. Hierbei konnte ich viel lernen. Zudem haben sich viele Möglichkeiten zum Austausch und Vernetzen in der deutschen Wissenschaftskommunikationsszene ergeben. Auf der anderen Seite war es natürlich auch eine logistische Herausforderung, jeden Monat eine komplette Geschichte zu produzieren.

Wieso können gerade durch Comics wissenschaftliche Themen besonders gut aufbereitet werden?

Das Schöne an diesem interaktiven Medium ist, dass es Leser*innen mit einbezieht. Klar kann man auch anhand von Büchern oder Videos über Wissenschaft kommunizieren: Bei Büchern findet die Geschichte hauptsächlich im Kopf der Lesenden statt. Sie eignen sich deshalb gut, um die emotionale Welt der Protagonist*innen detailliert darzustellen und die Lesenden so mitzunehmen. Andererseits können sie Sachverhalte nicht unbedingt auf anschauliche und schnell verständliche Weise vermitteln. Videoclips können ihrerseits Dinge tatsächlich sofort begreifbar machen. Ihre Grenzen sind jedoch dann erreicht, wenn es darum geht, Wissen nachhaltig zu vermitteln, weil die Zuschauer*innen eher passiv bleiben. Für mich liegen Comics irgendwo dazwischen, weil sie diese großartige Eigenschaft haben, Brücken zu schlagen. Ich habe die Verbindung zwischen Wort und Bild. Ich habe die Möglichkeit, die Leser*innen mit einzubinden, weil sie automatisch die Geschichte zwischen den einzelnen Panels ergänzen. Gleichzeitig bestimmen die Lesenden selbst die Geschwindigkeit, mit der sie sich durch die Geschichte bewegen. Bei Comics ist die Hemmschwelle niedriger als etwa bei einem Buch über ein wissenschaftliches Spezialthema. Das macht sie in meinen Augen zu einem ganz wunderbaren Medium, um komplexe Inhalte zu vermitteln.

Sie schreiben Comics, illustrieren aber auch Sachbücher. Mögen Sie lieber fiktive Geschichten oder Sachbücher?

Beides! Wenn ich ein Sachbuch fertig geschrieben habe, will ich eigentlich nie wieder eines schreiben, und umgekehrt genauso. Ich finde es gut, wenn sich beides abwechselt. So starte ich immer mit frischen Ideen in ein neues Projekt. In all meinen Büchern finden sich meine Gedanken wieder, scheinen meine Empfindungen zwischen den Zeilen und Sachinformationen hindurch.

„Mich treibt diese Hoffnung an, und wenn ich sie auf die eine oder andere Leserin übertragen kann, dann habe ich schon ein kleines Ziel erreicht.“

Was ich an meinem Comic für die woxx so spannend finde: Ich durfte die Geschichte völlig frei gestalten – unabhängig von dem Druck gute Verkaufszahlen zu generieren oder in der nächsten Evaluationsrunde wieder Fördergelder einbringen zu müssen. Das hat dazu geführt, dass ich mir deutlich drastischere Töne erlaubt habe, ohne die Hoffnung aus den Augen zu verlieren. Das war ein schöner Prozess.

Welche Idee steckt denn hinter den woxx-Backcover?

Witzigerweise hatte ich noch während unseres ersten Briefings zwei fertige Figuren im Kopf: Loulou und Papi. Zu dem Zeitpunkt steckte ich mitten in der Recherche zu meinem Buch „Pilze für Ahnungslose“, in deren Verlauf mir immer wieder vor Augen geführt wurde, wie unfassbar groß und differenziert und größtenteils unbekannt das Pilzreich doch ist. Pilze sprechen viele Facetten an: das Spirituelle, weil sie uns Menschen schon lange als Wegweiser begleiten, aber auch die Nahrungskette und ihre vielseitigen Rollen in Ökosystemen, die uns oft verborgen bleiben. Das finde ich faszinierend. Zeitgleich habe ich das Buch „Der Pilz am Ende der Welt“ [von Anna Lowenhaupt Tsing, Anm. d. Red.] gelesen. In diesem Buch geht es um den Matsutake-Pilz, der dafür bekannt ist, gerade dort zu erscheinen, wo andere Dinge nur schwer wieder Fuß fassen können. Pilze sind bemerkenswert, weil sie Fadenwesen sind. Mit ihrem Geflecht verbinden und stabilisieren sie wortwörtlich und im übertragenen Sinne unterschiedliche Teile der Natur miteinander. Die Autorin des Buchs geht philosophischen Überlegungen nach, schlägt dabei durchaus hoffnungsvolle Töne an. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Deshalb habe ich für die woxx eine Geschichte über diesen Pilz geschrieben. Sie ist in einer zerstörten Welt angesiedelt, in der zwei Figuren ihren Platz und vielleicht auch einen Sinn suchen.

Wieso haben Sie sich dafür entschieden, eine postapokalyptischen Welt zu entwerfen, anstatt den eigentlichen Zerstörungsprozess zu thematisieren?

Zum einen, weil wir in diesem Prozess von Zerstörung und Verlust schon mittendrin stecken, es interessiert uns nur nicht (genug). Zum anderen weil ich denke, dass wir doch als Menschheit immer nur dann etwas lernen können, wenn das Schlimmste schon eingetreten ist. Deswegen habe ich beschlossen, die Uhr ein bisschen vorzudrehen und die Protagonisten wissen zu lassen, dass sie etwas sehr Wichtiges verloren haben.

Was sollen Leser*innen von der Geschichte mitnehmen?

In ihrem aktuellen Zustand lässt die Welt einen oft verzweifeln, Man kommt sich hilflos vor und hat das Gefühl, nichts tun zu können, um die anrollende Lawine aufzuhalten. Das ist einerseits richtig, weil die Verantwortung für die Klima- und Biodiversitätskrise nicht allein dem Individuum aufgebürdet werden kann. Wir brauchen gemeinschaftliche Anstrengungen von Entscheidungsträger*innen in der Politik und in der Wirtschaft. Andererseits haben wir alle eine Stimme, und die gilt es zu nutzen. Mich treibt diese Hoffnung an, und wenn ich sie auf die eine oder andere Leserin übertragen kann, dann habe ich schon ein kleines Ziel erreicht. Die Geschichte darf ein bisschen nachwirken, hat aber nicht unbedingt ein konkretes Kommunikationsziel. Damit hebt sie sich von dem ab, was ich normalerweise mache. Deshalb bin ich mir sicher, dass sie auf Seite der Lesenden auch ganz unterschiedliche Reaktionen, Emotionen und Schlussfolgerungen hervorrufen wird.

(Copyright: Véro Mischitz)

Über die Künstlerin

Véro Mischitz arbeitet seit 2008 als freischaffende Comiczeichnerin und Autorin. „Ich liebe es, Geschichten zu erzählen, meistens in Bildern. Das mache ich schon seit ich denken kann“, erzählt die Biologin. Mit ihrem Schwerpunkt auf Wissenschaftskommunikation arbeitete sie sieben Jahre lang für die wissenschaftliche Forschungsorganisation Helmholtz-Gemeinschaft und schrieb jeden Monat einen neuen Comic für die Klar Soweit?-Reihe. Nebenher hat sie mehr als ein Dutzend Bücher und Geschichten veröffentlicht. Sie unterrichtet als Dozentin am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation in Karlsruhe und an der Uni Luxemburg. Mehr Informationen auf Instagram: @verocomics.


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