Backcover: „Das Ziel, einer engagierten Fotografie“

Der Fotograf Patrick Galbats erforscht mit präzisem Blick sozialkritische Realitäten. Für die April-Backcover der woxx greift er jedoch in sein Archiv zurück und erzählt von persönlichen Erinnerungen rund um Vergänglichkeit und das Gefühl des Sich-Fremdfühlens.

(Copyright: Patrick Galbats.)

woxx: Patrick, inwiefern arbeiten Sie als Pressefotograf anders als bei Ihren persönlichen Fotoprojekten?

Patrick Galbats: Meine Pressearbeit habe ich von Anfang an klar von meinen persönlichen Projekten oder von denen getrennt, die zwar Auftragsprojekte waren, doch eine soziale, statt kommerzielle, Fotografie darstellten. Hier war ich meist niemandem außer mir selbst Rechenschaft schuldig. Die persönlichen Arbeiten nehmen viel mehr Zeit in Anspruch. Einige meiner Projekte haben Jahre gedauert, weil ich mir immer nur sporadisch Zeit für sie nehmen konnte. Meine Fotoserie über meinen Großvater beispielsweise („Hit Me One More Time“, Anm. d. Red.) habe ich zwischen 2015 und 2017 geschossen und bin wieder und wieder für ein paar Wochen durch Ungarn gefahren. Ich baute sie langsam auf. Finanziell ist es ja eher eine schwierigere Angelegenheit, trotz der öffentlichen Fördergelder, wie die Börse vom CNA. Doch bei persönlichen Arbeiten darf man nicht zu sehr auf die Kosten achten, sonst wird einem schwindlig vor Zahlen. Solche Arbeiten nehmen einfach die Zeit in Anspruch, die sie benötigen. Darauf muss man sich einstellen.

Sie haben Ihren Großvater erwähnt. Welchen Einfluss haben persönliche Familiengeschichte und vergangene Erfahrungen auf Ihre Werke?

Indirekt beeinflussen mich Erinnerungen und die Realität, die mich umgibt, eigentlich die ganze Zeit. Ich habe das Ziel, eine „engagierte“ Fotografie zu schaffen. Das heißt aber nicht, dass ich bloß soziale Probleme dokumentiere. Ich finde, dass ein Foto an sich schon „engagiert“ ist, wenn es eine Person in der Gesellschaft anspricht, jemandem aus dem Publikum. Natürlich gibt es einzelne Sachen, die mich prägen und beschäftigen. Das Älterwerden beispielsweise – ich werde gleich 47 und deshalb muss ich in letzter Zeit immer mehr darüber nachdenken, wie schnell das Leben vergeht. Erinnerungen, verpasste Chancen, einzelne Momente, die verschwinden, Spuren, die bleiben, diese Gedankengänge haben wiederum den Grundstein gelegt für eine rezente Fotoserie, „Mémoires de fortune“, die ich zusammen mit meiner Partnerin, der Autorin Camille Moreau in Düdelingen im Centre d’art Dominique Lang ausstelle. Darin geht es um Vergänglichkeit – die einer gedruckten Fotografie als Objekt, aber auch die der fotografierten Objekte. Wir haben alles nach dem Ende eines Flohmarkt in Brüssel, den es seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt, vom Boden aufgesammelt: Briefe, Fotos, Porzellan-Figuren, allerhand Schnickschnack. Die Serie dient dazu, die Gegenstände, die ein oder sogar mehrere Leben hinter sich haben, kurz aus dem Vergessen zu heben. Schließlich gehörten sie meistens einer verstorbenen Person und wurden von uns vor der städtischen Müllabfuhr gerettet.

Was inspiriert sie beim Fotografieren?

Ich interessiere mich sehr für alte Malerei, für griechische Mythologie und die Symbolik in alten Gemälden. Ich würde sehr gerne weiter in diese Richtung vordringen: zeitgenössische Fotografie machen, natürlich, aber dabei mit den Allegorien der Malerei und der Literatur arbeiten.

An welche Symbole denken Sie denn dabei?

An Blumen, zum Beispiel, und die Stillleben mit den wunderschönen Obstkörben, bei deren genauen Betrachtung man auf einmal eine Fliege auf einem Apfel oder einen faulen Fleck auf einer Frucht entdeckt. Die Fliege repräsentiert die Vergänglichkeit, die Not. Natürlich bin ich nicht auf der Suche nach einer Fliege, die ich fotografieren kann, doch ich versuche zwischen meinen Werken und den alten Gemälden eine Verbindung zu schaffen – sei es auch nur mithilfe der Form und Komposition. Das ist die Richtung, die ich momentan versuche, einzuschlagen.

„Was will ich erzählen? Wie geht das, so präzise wie möglich, auf einem Foto?“

Für die woxx haben Sie nun vier Fotografien aus Ihrem Archiv herausgesucht. Zusammen erzählen sie eine neue Geschichte. Inwiefern ist in diesen eine klassische Symbolik vorhanden?

Manchmal ist diese nur subtil da. Bei einem der Backcover-Bilder habe ich mich selbst in Szene gesetzt. Ich stehe vor einer Haustür, mit einem Klappbett unterm Arm und einem Koffer in der Hand. Es sieht so aus, als würde ich das Haus für immer oder für eine sehr weite Reise verlassen. Ich projektiere die Idee des Neuanfangs in dieses Bild hinein.

Es hat etwas Theatralisches.

Ja. Ich bin viel unterwegs und manchmal sehe ich Szenen – auf der Straße oder sonst wo – die mich unglaublich inspirieren und eine ungemeine Ausdrucksstärke haben, doch ich komme nicht dazu, sie zu fotografieren. Oft weil es einfach rechtliche Probleme geben würde. Doch die Bilder bleiben in meinem Kopf und ich erlaube mir auf einige dieser Beobachtungen in späteren Arbeiten zurückzugreifen.

Inwiefern sehen Sie das denn noch als dokumentarische Fotografie?

Bei einem solchen Vorhaben, ist man nicht länger an Konventionen gebunden. Das Wichtigste bleibt: Was will ich erzählen? Wie geht das, so präzise wie möglich, auf einem Foto? Im Falle eines Bildes, das inszeniert wird, greife ich direkt ein, drehe mich in eine bestimmte Richtung, weiß, wie ich aus der Haustür zu gehen habe und welcher Eindruck dabei entstehen soll. Egal, wie realistisch das Foto danach wirkt, es bleibt Teil einer Erzählung. Aber auch bei dokumentarischen Bildern greifen Fotografen in die Komposition ein, treffen Entscheidungen – interagieren mit dem Subjekt oder etwa ob ein Blitz nötig ist oder nicht. Das alles wirkt sich danach auf das fertige Bild aus. Ein Blitz betont oft das Theatralische in einer Fotografie, weil man wie ein Maler, mit der Plastizität des Lichtes spielen kann. Die Grenze zwischen dokumentarischen und persönlichen Arbeiten ist nicht sehr klar. Für meine erste Arbeit etwa, die ich ganz alleine gemacht habe, bin ich nach Lorentzweiler auf die Suche nach interessanten Szenen gegangen. Ich habe reale Momente fotografiert und sie trotz allem präzise herausgesucht. Die Art und Weise, wie ich fotografiere, ist und bleibt jedoch eine dokumentarische.

Was möchten Sie mit Ihrer Backcover-Serie erzählen?

Vor Ewigkeiten, bevor ich mit meiner Arbeit im Land [in der Zeitung Lëtzebuerger Land, Anm. d. Red.] angefangen habe, bin ich morgens oft einfach einen Kaffee trinken gegangen und habe gesehen, wie ein Mann einen Wohnungsblock in der Straßburger Straße verließ. In der einen Hand hielt er ein Klappbett und in der anderen eine Mehrwegtüte mit Kleidung. Ich habe mir gedacht, dass diese Person wahrscheinlich keinen festen Wohnsitz hat und von Bekanntschaft zu Bekanntschaft ziehen muss, was bekanntlich der erste Stadium der Obdachlosigkeit ist. Das ist nun ein Bild, das ich gesehen habe und jetzt erst, nach mehr als zehn Jahren, in Szene gesetzt und fotografiert habe. Dieses Mal bin ich derjenige, der aus dem Haus geht. Die anderen Bilder sind verschiedenen rezenten Arbeiten entnommen – sie alle stehen in Zusammenhang mit diesem Gefühl der Verlassenheit und der Vergänglichkeit.

„Ich versuche, eine gewisse Leichtigkeit in dieser Banalität zu finden – auf den Straßen, in Häusern, in den Landschaften.“

Wie hilft Ihnen Fotografie, Vergangenes neu zu entdecken?

Das Projekt in Lorentzweiler war eine Art Entdeckungsmission. Ich war im Auftrag der Gemeinde dort, doch habe das Projekt so angepackt, als handele es sich um eine Wiederentdeckung einer Welt, die ich vor dreißig Jahren verlassen habe. Was eigentlich auch stimmt. Ich war als Kind und Jugendlicher in den Lorentzweiler Pfadfindern aktiv. Wenn ich nun, da ich in Brüssel lebe, in eine luxemburgische Stadt oder ein Dorf zurückkehre, fühle ich mich wie ein Außenstehender. Eine Situation die ich für meine Fotografien gerne ausnutze.

Einige Motive, die in Ihren Bildern immer wieder vorkommen, sind Landschaften aber auch Häuser, Dächer, Straßenecken. Wieso spielen solche Motive eine zentrale Rolle?

Das ist eine gute Frage. Mir hat mal jemand gesagt, dass ich eine schöne Art und Weise habe, Elend darzustellen. Im Grunde führen wir ein ziemlich armseliges Leben auf dieser Erde. Ich versuche aber, eine gewisse Schönheit oder Leichtigkeit in dieser Banalität zu finden – auf den Straßen, in Häusern, in den Landschaften. Landschaften können auf fabelhafte Art und Weise, von dem Bündnis und der Komplizität des Künstlers mit der Welt bezeugen.

Nach einem Abitur im Arts et Métiers studiert Patrick Galbats Fotografie an der Septantecinq-Schule („Le 75“) in Brüssel. Schon als Student fängt er an, für verschieden Medien zu fotografieren, erst für die Revue, danach auch für andere Institutionen und NGOs wie die ASTM. Nach sechs Jahren als Fotograf für das Lëtzebuerger Land zieht es ihn zurück nach Brüssel. Seitdem pendelt er zwischen Luxemburg und Belgien, arbeitet an persönlichen Arbeiten und Aufträgen und gibt, wenn er Zeit hat, Kurse. Die Weiterbildung jüngerer Generationen liegt ihm am Herzen: „Ich will, dass junge und nicht so junge Leute das Fotografieren lernen, weil sie dann besser verstehen, wie ein Foto entsteht und besser vor Fake News gewappnet sind.“ Aktuell arbeitet et an verschiedenen Projekten, darunter das „Mémoires de fortune“, das er zusammen mit der Autorin und Philosophin Camille Moreau entwickelt hat. Die Ausstellung des Projekts beginnt am 26. April im Centre d’art Dominique Lang und kann bis Mitte Juni besucht werden. Mehr Informationen auf: www.galeries-dudelange.lu und unter www.patrickgalbats.com


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