Bodycams für Polizist*innen
: Ungleiches Machtverhältnis

Trotz viel Kritik tritt das Bodycam-Gesetz in Kraft. Weder die Polizei, noch Menschenrechtler*innen sind zufrieden.

Mit dem Bodycam-Gesetz ist fast niemand außer der Regierung zufrieden. (Quelle: Sanderflight/wikimedia commons)

Mit 31 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen und 27 Enthaltungen wurde am Dienstag in der Chamber das Bodycam-Gesetz angenommen. Insgesamt 1.682 Polizist*innen sollen demgemäß mit den kleinen, am Oberkörper befestigten Kameras ausgestattet werden. Das Gesetz sieht vor, dass die Kameras, die von den Polizeibeamt*innen stets sichtbar getragen werden müssen, ständig im Aufnahmemodus sind. Alle 30 Sekunden wird die Aufnahme – sowohl Ton als auch Bild – überspielt, es sei denn, der*die Polizist*in drückt den Aufnahmeknopf. In diesem Fall wird das Gefilmte abgespeichert, bis der Aufnahmeknopf deaktiviert wird. Der Beginn einer Aufnahme ist an einem Piepton und einem Leuchtsignal erkennbar. Das Videomaterial kann dann 28 Tage aufbewahrt werden, es sei denn, es gilt als Beweismittel im Rahmen einer Voruntersuchung oder eines Strafverfahrens.

Der Abstimmung ging eine lange Phase der Kritikäußerungen (woxx 1720) voraus. Abgeschlossen ist diese kaum, zweifeln doch sowohl CSV, ADR als auch die Piratepartei an der Umsetzbarkeit des vorliegenden Textes. Erstere reichten am Dienstag denn auch eine Motion ein, um das Gesetz in zwei Jahren einer Evaluierung zu unterziehen. Die Motion wurde allerdings abgelehnt.

Von Beginn an ging der Gesetzentwurf 8065 den Christdemokrat*innen nicht weit genug. Was ihnen vorschwebt, lässt sich in ihrer Pressemitteilung „Kriminalitéitsbekämpfung amplaz Kuschelpolitik“ von 2021 nachlesen, in welcher die CSV Bodycams als Maßnahme zum Schutz von Polizist*innen kategorisiert. Die Heran-
gehensweise der Regierung – so will es zumindest das Exposé des motifs glauben machen – ist nuancierter. So seien Bodycams ein Mittel „à charge et à décharge, il s’agit d’un outil « à double sens », autant au service de la police que de la population“.

Wie mehrere Gutachter*innen, allen voran die beratende Menschenrechtskommission (CCDH), jedoch angemerkt haben, wird der Text diesem Anspruch nicht gerecht. Tatsächlich kann einzig die Polizei entscheiden, ob und wann eine Aufnahme durch besagte Kameras erfolgt. Dadurch, dass die Bodycams am Körper der Polizist*innen befestigt sind, wird der Ausschnitt zudem maßgeblich durch diese bestimmt. Auch der Zugang zur gespeicherten Aufnahme fällt zugunsten der Polizei aus: Einzig der*die Autor*in des Videos hat uneingeschränkten Zugang zu dieser.

„Kee Kapp a kee Schwanz“

Das klingt zunächst ganz im Sinne der CSV. Wie der Abgeordnete Léon Gloden am Dienstag im Rahmen der entsprechenden Chamberdebatte jedoch betonte, habe der finale Gesetzestext weder Hand noch Fuß. Mit Bezug auf den Platzverweis äußerte er zunächst eine generelle Kritik am Polizeiministerium: Die Ideen seien gut, würden aber nur halbherzig umgesetzt, „wat dozou féiert, dass d’Beamten um Terrain méi onsécher ginn, wéi sécher“.

Konkret stört sich die CSV an zwei Modalitäten. Das ist einmal die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Raum. Ursprünglich hatte es im Gesetzentwurf geheißen: „Dans l’exercice de ses missions de police judiciaire et de police administrative, la Police peut procéder en tous lieux, au moyen de caméras fournies au titre de l’équipement, à un enregistrement audiovisuel de ses interventions lorsque se produit ou est susceptible de se produire un incident, eu égard aux circonstances de l’intervention ou au comportement des personnes concernées“. Sowohl der Staatsrat als auch die Datenschutzkommission CNPD übten Kritik an der Formulierung „en tous lieux“. Erstere argumentierte, es handele sich bei einer solchen Maßnahme um „une intrusion très grave dans la vie privée d’une personne et porte atteinte au droit au respect de la vie privée et à l’inviolabilité du domicile, cela d’autant plus que le consentement de la personne concernée n’est pas formellement requis“.

In Reaktion darauf hatte die zuständige Kommission die entsprechende Stelle umformuliert. Demnach darf die Polizei uneingeschränkt an öffentlich zugänglichen Orten filmen, an privaten jedoch nur in Fällen von häuslicher Gewalt, Delikten und Verbrechen auf frischer Tat oder bei Indizien, die auf ein Verbrechen oder ein Delikt schließen lassen. Mit Verweis auf die französische Rechtslage verwies Gloden am Dienstag auf den Wunsch von sowohl CSV als auch Polizeigewerkschaft, die entsprechende Textstelle in ihrer ursprünglichen Fassung zu belassen.

Des Weiteren sind den Christ-
demokrat*innen die Modalitäten zum Zugang zu den Aufnahmen ein Dorn im Auge. Über einen solchen verfügt laut Gesetzestext einzig der*die Polizist*in, der*die den Aufnahmeknopf gedrückt hat. Alle anderen müssen dazu eine Erlaubnis der Polizeigeneraldirektion beantragen – laut CSV eine zu hohe administrative Hürde.

Die Kritik der ADR geht in die gleiche Richtung wie die der CSV: „D’Ëmsetzung ass net bis zum Enn geduecht, se kann der Police eng ganz Rei Problemer schafen an der Ausübung vun hiren Aufgaben“, erklärte Fernand Kartheiser in seiner Rede. Die Rechte der Gemeinden, die Aufbewahrungsfrist des Videomaterials, der Zugriff auf dieses, die teils schwierige Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Raum, „zumools wann eng Continuitéit an engem Asaz ass“, das Tonsignal beim Starten einer Aufnahme, inwiefern Bürger*innen darüber informiert werden müssen, dass sie gefilmt werden – alles Aspekte, die Kartheiser zufolge nicht ausreichend diskutiert worden sind.

Allgemeine Infragestellung

„Mir gesi verschidde Kritiken als iwwerzunn.“ Mit dieser Aussage bezog sich der rechtsextreme Abgeordnete auf eine Beanstandung, die in mehreren Gutachten zum Ausdruck gebracht worden war: Dem Ziel, Bürger*innen vor Polizeigewalt zu schützen, werde nicht annähernd so viel Rechnung getragen, wie demjenigen, Gewalt gegen Polizist*innen zu verhindern. Die CCDH etwa weist darauf hin, dass Bodycams ursprünglich mit dem Ziel, vor Polizeigewalt zu schützen, geschaffen wurden. „D’un point de vue des droits humains, il est donc interpellant de constater que ces dernières années il semble y avoir une tendance émergente à inverser ce principe.“ Kartheiser hat für solche Sorgen wenig Verständnis. Das Gesetz vermittle den Eindruck, dass nicht versucht wurde, ein Gleichgewicht zwischen den Anliegen der Polizei und denen der Bürger*innen zu finden, sondern zugunsten der Bürger*innen. „Déi Grondhaltung, déi mir hunn, ass op jiddefall déi vun engem Vertrauen an d’Aarbecht vun der Police, an net déi vun engem Mësstrauen. An dowéinst gesi mer verschidde Kritiken, déi formuléiert goufen, als iwwerzunn.“

(Foto: Pixabay)

Die Bedenken von CSV, 
Polizeigewerkschaft und ADR werden zum Teil auch von andere Instanzen geteilt – nur aus anderen Gründen. So hatte die CCDH in ihrem Gutachten die Notwendigkeit von Bodycams insgesamt infrage gestellt. Im Gegensatz zu den anderen Gutachter*innen, stellt sie die Datenlage, auf welche die Verfasser*innen des Gesetzentwurfs sich beziehen, infrage. Im Exposé des motifs des Gesetzentwurfs wird sich auf „positive Erfahrungen“ im Ausland bezogen. Dieser Umstand wird herangezogen, um zu rechtfertigen, dass der Einführung von Bodycams keine Pilotphase vorausgegangen ist. Der CCDH zufolge bestehe in puncto Bodycams jedoch nicht nur kein wissenschaftlicher Konsens: Was in einem Land funktioniere, tue das nicht zwangsläufig in einem anderen. Der Kommission zufolge wäre es wichtig zu untersuchen, ob die vom Gesetzentwurf angestrebten Ziele nicht auch mit weniger intrusiven Mitteln oder Vorgehensweisen erreicht werden könnten.

In ihrer Rede bezog sich Nathalie Oberweis (Déi Lénk) zwar auf das Gutachten der CCDH, in ihrer Kritik sind Déi Lénk allerdings zurückhaltender. Bodycams, so Oberweis, hätten Nachteile, aber auch Vorteile. Was ihrer Partei weniger zusagt: Dass Beamt*innen einen Knopf drücken müssen, damit eine Aufnahme gespeichert wird. Ein solch „proaktiver Schritt“ erfordere Abstand, den die betroffene Person nicht notwendigerweise habe, gibt Oberweis zu bedenken. „Et kann ee sech virstellen, dass an enger Stresssituatioun, déi grad amgaangen ass ze eskaléieren, de Polizist deen Ament grad net dee Recul huet, fir d’Kamera unzeman an d’Eskalatioun ze briechen deen Ament.“ Kritisch sehen déi Lénk zudem den Umstand, dass es der Einschätzung der Polizei allein überlassen bleibt, wann eine Situation die Speicherung einer Aufnahme erfordert. „Wat sinn dann déi konkret, objektiv Critèren fir en Enregistrement ze declenchéieren? Dat ass jo eng Aschätzung, déi awer och subjektiv ass.“ Déi Lénk plädieren deshalb dafür, dass Bodycams ununterbrochen Aufnahmen aufzeichnen.

Wenn die Aufnahme aber schon ausgelöst werden solle, so Oberweis weiter, müssten zumindest auch Bürger*innen das Recht haben, diese zu veranlassen. Andernfalls entstehe ein ungleiches Machtverhältnis zwischen Polizist*innen und Bürger*innen. Mit Verweis auf die CCDH stellt Oberweis die Vorstellung infrage, dass, wie im Gesetzentwurf formuliert, Bodycams eine „objektive Sicht des Tatbestands“ lieferten. So fange eine solche Kamera Dinge ein, die der*die filmende Polizist*in nicht sehe – und umgekehrt. Obwohl Déi Lénk, so Oberweis’ abschließende Worte, auch das Positive an diesem Gesetz sähen, würden sie, aus oben genannten Gründen, gegen den Text stimmen: „Et deet mer e bësselche leed.“

Bevor das Gesetz in Kraft tritt, erfolgt noch eine Ausschreibung des Bodycam-Materials. Geplant ist zudem die Weiterbildung aller Polizeibeamt*innen. Bis das Gesetz umgesetzt wird, erklärte der zuständige Minister Henri Kox (Déi Gréng), werde es wohl noch zwei Jahre dauern.

Die Bedenken von CSV, Polizeigewerkschaft und ADR werden zum Teil auch von anderen Instanzen geteilt – 
nur aus anderen Gründen.


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