Zeinab Badawis Buch über die Geschichte Afrikas ist ein wichtiges und längst überfälliges Werk zum Verständnis der afrikanischen Gegenwart, das den eurozentrischen Blick auf den Kontinent korrigiert.
Die Wahl von Bassirou Diomaye Faye zum Präsidenten des Senegal im vergangenen März ist ein Lichtblick nicht nur für das westafrikanische Land, sondern für die gesamte Region. Die Befürchtung war groß, der Senegal könnte eine ähnliche Entwicklung nehmen wie jüngst einige Staaten der Sahelzone, wo es in den vergangenen Jahren zu Militärputschen gekommen war: 2020 in Mali, 2021 in Guinea, 2022 in Burkina Faso und 2023 im Niger. Doch der Sieg von Fayes vor allem unter jungen Senegalesen populären „Patriotes africains du Sénégal pour le travail, l’éthique et la fraternité“ (Pastef) bei den Parlamentswahlen verschafft dem jungen Staatschef, der bisher nicht über eine Mehrheit im Parlament verfügte, eine Basis dafür, die Armut zu bekämpfen und politische Reformen durchzuführen, die als „links-panafrikanisch“ bezeichnet werden und eine „systemische Transformation“ des Senegal beinhalten. Dazu zählen stärkere Eingriffe der Regierung in den Fischerei-, Gas- und Ölsektor, aber auch institutionelle Reformen wie die Schaffung eines Verfassungsgerichts, die Beschränkung der Macht des Präsidenten und die Reform des patriarchalischen Familiengesetzes.
Nicht zuletzt sollen die Beziehungen zu Frankreich neu ausgerichtet werden. Noch im November 2020 glaubte der französische Präsident Emmanuel Macron an eine besondere Rolle seines Landes, als er im Interview mit der Zeitschrift „Jeune Afrique“ von einer Liebesbeziehung zwischen Frankreich und Afrika sprach. Drei Jahre später trugen die Demonstranten beim Putsch in Niger bereits Schilder, auf denen „Nieder mit Frankreich!“ zu lesen stand.
In seiner Schrift „Pour un panafricanisme revolutionnaire“ datiert der Soziologe Saïd Bouamama die Entstehung des Panafrikanismus auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Dies allerdings in Amerika, so etwa mit den Schriften des US-Historiker W.E.B. Du Bois und des jamaikanischen Aktivisten Marcus Garvey. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen Befreiungsbewegungen in Afrika den Begriff im Kampf gegen den Imperialismus. Eine der bekanntesten Führungsfiguren war Kwame Nkrumah aus Ghana. Auch dieses Land gilt als stabil, in Ghana vollzieht sich derzeit ein friedlicher Machtwechsel. Ein weiterer Hoffnungsschimmer, im Kontrast zu von Kriegen zerrissenen Ländern wie dem Sudan.
Dort wurde 1959 Zeinab Badawi geboren, die im Alter von drei Jahren nach England kam, in London aufwuchs und in Oxford Politikwissenschaft, Philosophie und Wirtschaft studierte. Nach ersten Erfahrungen im Journalismus ging sie 1998 zum britischen Rundfunksender BBC. 2009 wurde sie als „Internationale TV-Persönlichkeit des Jahres“ ausgezeichnet. Ihre BBC-Serie „History of Africa“ (2017) wurde Grundlage des Buchs, das nun auf Deutsch erschienen ist: „Eine afrikanische Geschichte Afrikas“.
Nach wie vor wird der afrikanische Kontinent vorwiegend als Exporteur von Rohstoffen ausgebeutet und Badawis Optimismus längst nicht von allen geteilt.
Der westliche Blick auf diesen Kontinent ist bis heute von Vorurteilen und Ignoranz geprägt. Viele meinten, dessen Geschichte habe erst mit der Ankunft der Europäer begonnen, schreibt Zeinab Badawi: „In dieser Erzählung dominieren die Themen Sklaverei, Imperialismus und Kolonialismus, und ihre Verfasser waren meist westliche Historiker, Missionare und Entdecker.“ Badawi will zeigen, wie begrenzt diese Perspektive ist. Für die Recherchen zu ihrem Buch bereiste sie sieben Jahre lang mehr als 30 afrikanische Länder.
Das erzählerisch spannende und gut strukturierte Buch gestattet einen Blick auf die afrikanische Geschichte aus der Perspektive von Afrikanerinnen und Afrikanern – und reicht vom Ursprung der Menschheit in Afrika bis zur Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten. Badawi erinnert daran, dass alle Menschen ihre Vorfahren in Afrika haben und nichts anderes sind als eine afrikanische Diaspora. Denn längst ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Homo sapiens aus Afrika stammt. Badawis Hauptaugenmerk liegt auf der vorkolonialen Geschichte, vom alten Ägypten, dem am besten untersuchten Abschnitt der afrikanischen Vergangenheit, über die weniger bekannte antike Geschichte des Sudan sowie Eritreas und Äthiopiens. Das Thema Sklaverei erörtert sie vor allem hinsichtlich deren Auswirkungen auf die Afrikaner selbst und ihren Kontinent.
Als „Inspirationsquelle und Kompass“ diente der britischen Autorin die „General History of Africa“, ein Projekt zur Geschichte Afrikas aus der Feder afrikanischer Historiker, begonnen in den 1960er-Jahren. Badawis Ziel war es, die Vorurteile der Menschen im Denken über Afrika zu erschüttern – „und zwar nicht mit Märchen, sondern mit Fakten“. Sie weist darauf hin, dass Geschichtsunterricht und -studium zu den genannten Themen zunehmend auf die Sichtweise der Afrikaner eingehen. Die „Entkolonialisierung“ der Geschichtslehrpläne habe durch die „Rhodes Must Fall“-Bewegung von Studentinnen und Studenten in Südafrika Auftrieb bekommen. Auch Badawi setzt auf die junge Generation, die sich weniger an ethnische Zugehörigkeiten gebunden sieht. Diese werde ein neues Afrika erschaffen.
Die Journalistin ist sich der postkolonialen Realitäten bewusst: Nach wie vor wird der Kontinent vorwiegend als Exporteur von Rohstoffen ausgebeutet und ihr Optimismus längst nicht von allen geteilt: „In Afrika leben mehr Menschen in Armut als im gesamten Rest der Welt. Jahrzehntelange Misswirtschaft und unzureichende Staatsführung haben den Kontinent ausgebremst. (…) Doch sollte man den Kontinent nicht nur über seine Probleme definieren.“
Badawi weist darauf hin, dass in jüngster Zeit mehr und mehr Bürger sich gegen die Manipulation von Wahlen wehren: „Die Zahl der Massendemonstrationen in Afrika hat sich in den letzten zehn Jahren versiebenfacht, und sie wurden überwiegend von Jugendlichen getragen.“ Auch haben viele afrikanische Wirtschaften in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen rasanten Aufschwung erlebt. Die Aurorin bezeichnet Afrika als einen „schlafenden Riesen aus 54 Ländern“, der erwacht sei. Allerdings werde der Weg in die Zukunft für jedes Land anders verlaufen.
„Die afrikanische Geschichte Afrikas“ richtet sich vor allem an jene, die „die Kurzsichtigkeit der postimperialen Bildung hinter sich lassen wollen, und besonders junge Menschen mit afrikanischen Wurzeln, die mehr über ihre Geschichte erfahren wollen“. Wichtig ist das Buch für alle, die über den europäischen Tellerrand der überwiegend von Weißen geschriebenen Geschichte hinausblicken wollen.