Cash gegen Migrationskontrolle: Dreckige Deals

Die Deals mit Drittstaaten zur Flüchtlingsabwehr zeigen Wirkung, legt eine neue Statistik der EU-Grenzschutzagentur Frontex nahe – und verschweigt, wie erpressbar man sich dadurch macht.

Migranten aus der Subsahara-Region Anfang Mai in einem Flüchtlingscamp im tunesischen Jebeniana. (Foto: EPA-EFE/MOHAMED MESSARA)

Frontex hat in der vorigen Woche jene Art Vollzugsmeldung geliefert, wie man sie sich wohl in den meisten Mitgliedsstaaten der EU von deren Grenzschutzagentur erwünscht. Auf der Zentralen Mittelmeerroute sei in den vergangenen Monaten ein deutlicher Rückgang von Flüchtlingen zu verzeichnen gewesen, die über diese Strecke nach Europa gelangen. „Von Januar bis Juli sank die Zahl der Überfahrten auf dieser Route um 64 Prozent auf 32.200“, so die Mitteilung. Auch den Grund für den Abwärtstrend blieb die Agentur nicht schuldig: „Der diesjährige Rückgang ist vor allem auf die Präventivmaßnahmen der tunesischen und libyschen Behörden zur Unterbindung der Aktivitäten von Schleusern zurückzuführen.“

Die Message ist klar: Das Geld, das die EU in Deals mit den betreffenden Ländern gesteckt hat, sei gut investiert. Zwar hat die EU anders als mit Tunesien, das rund eine Milliarde Euro erhält, mit Libyen kein offizielles „Cash gegen Migrationskontrolle“-Abkommen geschlossen. Als „Küstenwache“ deklarierte libysche Banden werden aber schon seit 2017 über Budgets wie den „European Union Emergency Trust Fund for Africa“ (EUTF for Africa) finanziell sowie mit bereitgestellten Booten und Ausrüstung unterstützt („Bündnis mit den Banden“ in woxx 1685); das Personal wird von Frontex geschult.

95 Prozent aller auf der zentralen Mittelmeerroute gemeldeten Migrant*innen kommen aus diesen beiden Ländern, wie die Grenzschützer wissen lassen. Alle EU-Außengrenzen zusammengenommen, verzeichnete man in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 einen Rückgang der „irregulären Grenzübertritte“ um 36 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Solche „Erfolgsmeldungen“ wird man auch in Tunesien sowie Ägypten und Mauretanien, die ähnliche Abkommen mit der EU abgeschlossen haben, gerne hören. Tunesiens Premierminister Ahmed Hachani forderte während einer Konferenz des „Trans-Mediterranen Migrationsforums“ (TMMF) Mitte Juli in der libyschen Hauptstadt Tripolis weitere Gelder von der EU, um Fluchtbewegungen und Migration aus den subsaharischen Ländern erfolgreich einzudämmen. „Die geleistete Hilfe reicht nicht aus, um das Problem zu lösen.“

Im Beisein seiner italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni lieferte Libyens Premierminister Abdelhamid Dbeibah die rhetorische Beteuerung, man könne „die Migrationskrise nur an der Wurzel, in den Herkunftsländern, lösen“. Hierbei ist die EU-Migrationspolitik weniger engagiert. In der vor drei Monaten verabschiedeten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) werden stattdessen Abschreckungs- und Abschottungsmaßnahmen, eine Stärkung von Frontex sowie weitere Abkommen nach dem tunesischen Vorbild favorisiert („Politik folgt Praxis“ in woxx 1782).

Beispiel Belarus

Zu welchem nicht nur monetären Preis derlei Deals kommen, bleibt unerwähnt. Tunesien etwa wird eine rassistische Behandlung subsaharischer Flüchtlinge vorgeworfen, von Menschenrechtsgruppen werden regelmäßig willkürliche Verhaftungen und Internierungen dokumentiert. Vor einem Jahr hatten tunesische Behörden mehrere hundert Flüchtlinge ohne Wasser und Nahrungsmittel in der Wüste an der tunesisch-libyschen Grenze ausgesetzt. In Libyen werden Flüchtlinge in großem Stil von kriminellen Banden ausgebeutet, misshandelt und ermordet, wie eine im vergangenen Monat von den Vereinten Nationen veröffentlichte Studie über die Gefahren auf der Zentralen Mittelmeerroute erneut belegt („Beute der Banden“ in woxx 1795). Die Täter seien „staatliche und nichtstaatliche Akteure, die oft in Zusammenarbeit handeln“, so Volker Türk, der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte.

Es liegt auf der Hand, wie erpressbar sich die Europäische Union durch die Zusammenarbeit mit solchen „Akteuren“ macht, die die migrationspolitische Drecksarbeit für sie übernehmen. Darüber gibt die Frontex-Statistik allerdings nur indirekt Auskunft. Über die „östliche Landgrenze“, damit ist die Grenze von Belarus mit Litauen und Polen gemeint, sei zwischen Januar und Juli 2024 ein Zuwachs „irregulärer Grenzübertritte“ von 195 Prozent verzeichnet worden.

In einem Interview mit einem russischen Medium versicherte der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko am vergangenen Montag, dass sich an diesem Trend angesichts der von der EU verhängten Sanktionen gegen sein Land nichts ändern wird: „Ihr habt mir eine Schlinge in Form von Sanktionen um den Hals gelegt und verlangt, dass ich die Europäische Union vor dem Zustrom dieser Migranten schütze“, sagt er und stellte klar: „So wird es nicht sein.“ Seit Jahren wirft die EU Lukaschenko vor, Flüchtlinge für „hybride Angriffe“ zu nützen („Arsenal des Zynismus“ in woxx 1659).


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