Déclaration de Liège: Die Klimabewegung passt sich an

Beim Climate-Chance-Gipfel im Februar setzte sich die Klimabewegung mit dem Thema Adaptation auseinander. Es besteht Einigkeit über den Handlungsbedarf, nicht aber über die Radikalität der Forderungen.

Wie können sich Eisbären an die Erderwärmung anpassen? Mit Eiswürfeln natürlich! (Pixabay; cocoparisienne)

„Wir als Klimabewegung müssen das Thema Adaptation aufgreifen – sonst kommen andere und tun es!“ Ronan Dantec, Präsident von „Climate Chance“, legte den Paradigmenwechsel gleich zu Beginn des Climate-Chance-Gipfels in Liège (Lüttich) dar. Über die Anpassung an den Klimawandel zu reden, sei lange Zeit als Ausdruck von Defätismus angesehen worden: Auf Adaptation setzte, wer Notwendigkeit und Möglichkeit der Mitigation (Milderung) des Klimawandels in Frage stellte. Indem sie ihren 2024er-Gipfel ins Zeichen der Adaptation stellte, betrat die vor allem in Europa und Afrika aktive Plattform „Climate Chance“ Neuland. Nicht ohne Grund: In den vergangenen Jahren ist klar geworden, dass auch eine Temperaturerhöhung von unter 2 Grad schon gravierende Auswirkungen hat – die Vorstellung, man müsse sich auf die Mitigation konzentrieren und keine Gedanken an die Adaptation „verschwenden“, wird der erlebten Realität nicht mehr gerecht.

Zu Gast bei der Meuse

Dass die Veranstaltung in Liège stattfand, war in dieser Hinsicht symbolisch: Bei den schweren Überschwemmungen im Juli 2021 in Westeuropa war die Stadt direkt betroffen; mehrere Straßen wurden evakuiert. Am schlimmsten wirkten sich die Unwetter im östlich der Stadt gelegenen Tal der Vesdre (Weser) aus, nach dem Ahrtal die am schlimmsten betroffene Region. Hier kamen auch die meisten der 39 belgischen Opfer ums Leben. Es war die tödlichste Naturkatastrophe in der Geschichte des Königreichs. Trotz der Unsicherheiten bei der Einordnung von Wetterereignissen geht die Attributionsforschung davon aus, dass die damaligen Niederschläge durch den Klimawandel heftiger und vor allem viel wahrscheinlicher wurden. Um sich die Schäden, aber auch die Adaptationsmaßnahmen vor Augen zu führen, konnten die Teilnehmer*innen des Gipfels, neben den thematischen Workshops, auch an Ortsbesichtigungen in Liège und im Vesdre-Tal teilnehmen.

Beim „Climate Chance Europe 2024 Wallonia Summit“ trafen sich nicht nur Vertreter*innen der Plattform „Climate Chance“, auch Netzwerke wie das in Luxemburg aktive Klimabündnis, das eher frankophone Energy Cities oder das Climate Action Network Europe waren präsent. Etwa 1.000 Teilnehmer*innen versammelten sich am 8. und 9. Februar im Palais des Congrès in Liège; auch wallonische und EU-Politiker*innen waren vertreten, denn das Event war Teil der wallonischen Aktivitäten im Rahmen der belgischen EU-Präsidentschaft. Am Ende des zweiten Tages wurde dann durch Akklamation die „Déclaration de Liège“ angenommen, ein vierseitiges Dokument mit Forderungen der Klimabewegung insbesondere im Bereich der Adaptation.

Dass die Anpassung an den Klimawandel ein brennendes Thema werden könnte, war bereits vor zehn Jahren zu erkennen. In seiner online verfügbaren Eröffnungsrede verwies der belgische Klimaforscher Jean-Pascal van Ypersele auf den fünften Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), der kurz vor dem Pariser Gipfel 2015 veröffentlicht wurde: Für den europäischen Kontinent warnte der Bericht vor einem Anstieg der Schäden durch Überschwemmungen – dass das keine Schwarzmalerei war, wurde unter anderem 2021 klar. „Die Meuse stand im Erdgeschoss dieses Gebäudes“, erinnerte van Ypersele, „und nicht weit von hier sind Flüsse bis in die Obergeschosse eingedrungen …“ Der Forscher hielt inne, schluckte. „… in Häusern, die ich gesehen habe, in denen Dutzende von Menschen gestorben sind.“ Und unterstrich, dass, wie beim Nord-Süd-Gefälle, auch hier die Ärmeren, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, am stärksten von seinen Folgen betroffen waren: „die, die unten im Tal wohnten, nicht die auf den Anhöhen …“.

Resilienter Wiederaufbau an der Vesdre

Hätte die Weltgemeinschaft sich damals in Paris nicht nur auf das 1,5-Grad-Ziel verständigt, sondern auch darauf, sofort und konsequent in diesem Sinne zu handeln – wer weiß, wie viele Menschenleben in Nord und Süd hätten gerettet werden können. Die Tragik der Klimakrise liegt darin, dass die Folgen der Passivität sich erst mit Verzögerung einstellen. In den vergangenen zehn Jahren wogen die angekündigten Schrecken der Hochwasser und Hitzewellen nicht schwer genug, um eine Kehrtwende des westlichen Wirtschafts- und Konsummodells zu veranlassen. Ob die seither erlittenen Schäden zu einer angemessenen Reaktion führen, ist zweifelhaft, umso mehr, als die vergangenen Katastrophen nicht die ganze Tragweite dessen aufzeigen, was uns gegebenenfalls erwartet.

Dass es aber Ansätze zum Umdenken gibt, zeigte der Vortrag der italienischen Urbanistin Paola Viganó. Ihr Planungsbüro hat gemeinsam mit der Uni Liège eine Studie zu einem resilienten Wiederaufbau der Täler der Vesdre und ihrer Nebenflüsse ausgearbeitet. Es sei klar, so Viganó, dass Resilienz weniger auf Technik als auf Erkennen der Risiken und Grenzen unseres Wohlstandsmodells beruhe. Und auf Solidarität – sie hob die in Belgien viel beachtete Tatsache hervor, dass die freiwilligen Helfer*innen von 2021 nicht nur aus Wallonien, sondern auch aus Flandern kamen. Bei der Ausarbeitung einer neuen Zukunftsvision „mit dem Fluss“ hat sich laut Viganó aber gezeigt, dass nicht nur die vor Augen geführten Klimarisiken von Gewicht sind, sondern auch die Pläne und Eigentumsrechte von vor dem Hochwasser. Zwar ist klar, dass der Prozess der Bebauung und Versiegelung des Plateaus nördlich der Vesdre ein wichtiger Faktor war, doch ob dieser Entwicklung Einhalt geboten werden kann, ist zweifelhaft. In diesem Sinne hat die Diskussion um den Wiederaufbau im Vesdre-Tal Vorbildfunktion. Findet man hier den Mut, neue Wege zu gehen und kollektive Interessen über private zu stellen, so könnte dies auch andere, noch nicht heimgesuchte Regionen bei der Planung ihrer Entwicklung inspirieren.

Eine solche radikale Infragestellung, die auch in den Dokumenten zu den Workshops auftaucht, findet sich in der Déclaration de Liège allerdings nur in verklausulierter Form. So wird auf die Möglichkeit eines Zusammenbruchs der sozioökonomischen Systeme und die Wichtigkeit einer lokalen Versorgung mit Lebensmitteln, Energie und Medikamenten hingewiesen. Doch bei den Forderungen bleibt unklar, inwiefern eine „grünere und resilientere Ökonomie“ einschneidende Veränderungen beinhaltet, soll sie doch auch eine Gesellschaft schaffen, die „sicherer und wohlhabender [ist] und grünes und soziales Unternehmertum und Innovation begünstigt“. Formulierungen wie diese erinnern stark an das Win-win-Programm, das dem European Green Deal zugrunde liegt. Der mittlerweile von rechten Parteien infrage gestellte Green Deal kommt mehrfach in der Déclaration vor – der Text ist deutlich stärker auf den Erhalt der klimapolitischen Top-down-Errungenschaften der vergangenen fünf Jahre ausgerichtet als auf das Einfordern dessen, was die sich radikalisierende Klimabewegung für notwendig erachtet.

Versicherungsschutz gegen den Brahmaputra?

Gewiss, im Vergleich zu umstrittenen Ansätzen wie dem Adaptation-durch-Austerität-Narrativ des französischen Präsidenten Emmanuel Macron setzt „Climate Chance“ klare Prioritäten und unterstreicht: „Die beste Anpassungspolitik ist eine Politik der Senkung der Emissionen von Treibhausgasen.“ Doch von systemischen und holistischen Ansätzen, die sich in den anderen Gipfeldokumenten wiederfinden, bleibt nur ein „Ausarbeiten von konkreten Vorschlägen, um die Adaptation auf allen Ebenen der ‚gouvernance‘ und der sektoriellen Politiken zu integrieren“. Auch die Einbeziehung der Nord-Süd-Klimagerechtigkeit, eigentlich ein Markenzeichen von „Climate Chance“, wird in der Déclaration vernachlässigt. In Sachen Klimafinanz wird so zwar an einer Stelle das „New collective quantified goal“ für den Green Climate Fund erwähnt, also die Erhöhung der Unterstützung zur Mitigation und Adaptation im globalen Süden. Ansonsten gibt es kaum Aussagen zur globalen Klimagerechtigkeit, insbesondere nicht zum heiklen Thema „Loss and damage“, also zur Anerkennung der Verantwortung des Nordens für die Schäden im Süden.

Für die Klimabewegung stellt das Dokument aber eine Anregung zu weiteren Diskussionen dar. Der Hinweis auf „die Wichtigkeit eines auf Gleichbehandlung beruhenden Versicherungssystems (…) in dem niemand ohne Versicherungsschutz dasteht“ wirft die Frage auf, ob Privatkapital und Finanzmärkte diesen Bedürfnissen gerecht werden können. Dies auf nationaler oder kontinentaler Ebene, aber auch im Kontext der Nord-Süd-Solidarität: Schließlich hätten gerade die Opfer der Auswirkungen des Klimawandels im Süden am meisten Anspruch auf ein faires Versicherungssystem, finanziert von den Ländern, die historisch am meisten zur Erderwärmung beigetragen haben.

Nicht zuletzt wird die Klimabewegung das Thema Maladaptation aufgreifen müssen: Also die Versuche, die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, deren Nebenwirkungen das Problem unterm Strich verschlimmern. Das reicht von der Ausweisung von „Schutzgebieten“ im globalen Süden auf Kosten der Einwohner*innen bis zu scheinbar banalen „Features“ wie dem Einsatz der immer populärer werdenden Wärmepumpen als Klimaanlagen und dem dadurch rapide ansteigenden Elektrizitätsbedarf im globalen Norden. Dantecs Warnung, dass „andere kommen“ und unsolidarische Varianten der Adaptation umsetzen, war nicht von ungefähr.


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