Klimajournalismus: „Wir haben ganz andere Möglichkeiten als ein alteingesessenes Medium“

Seit fünf Jahren liefert das Medienprojekt „nachhaltig.kritisch“ auf Instagram und per Podcast Informationen rund um die Klimakrise. Die woxx hat mit den Journalist*innen Robin Jüngling und Ann-Sophie Henne über Tiefe in einem schnell- lebigen Medium, Finanzierungssorgen und ihr neues Buch gesprochen.

(Illustration: Annika Le Large)

woxx: Warum habt ihr nachhaltig.kritisch gegründet?

Robin Jüngling: Das war 2019 während des Studiums. Wir hatten damals ein Studienprojekt mit dem großen Oberthema Zukunft. Nach verschiedenen Brainstorming-Sessions und Ansätzen, sind wir irgendwann bei einem Instagram-Kanal gelandet. Davor hatten wir ganz andere Ideen: Ich wollte am Anfang ein Spiel produzieren, Ann-Sophie hatte ein ganz anderes Projekt im Sinn. Der Grundansatz war dabei immer der Klimaschutz, oder zumindest wie wir die Natur bewahren können, weil das die Voraussetzung für die Zukunft auf diesem Planeten ist. Nicht nur für den Menschen, sondern auch für Tiere und Pflanzen.

Warum gerade einen Instagram-Kanal?

Jüngling: Wir haben bei Instagram Informationen zu dem Thema vermisst. Wir haben uns angeschaut, was dort unter dem Hashtag Nachhaltigkeit vorkommt. Uns ist dabei schnell klar geworden, dass dieser Hashtag überspitzt gesagt nur aus irgendwelchen „grünen“ Produkten besteht. Also solche, wo einem dann erzählt wird: „Wenn du das kaufst, dann rettest du damit die Welt !“ Aus diesem Informationsmangel heraus ist dann die Idee entstanden, dass wir einfach diese Lücke selber schließen wollten.

Kann Klimajournalismus auf Instagram überhaupt in die nötige Tiefe gehen?

Ann-Sophie Henne: Die zehn Slides, die man auf Instagram zur Verfügung hat, sind eine sehr krasse Begrenzung. Wir kämpfen damit und kürzen unsere Text am Ende immer radikal runter. Zum Glück haben wir auch noch eine Website, auf der wir längere Artikel veröffentlichen können, wenn ein Thema wirklich mal gar nicht für Instagram geeignet ist. Aber ich finde es auch spannend, wie viel man eben doch kürzen kann, ohne dass das Wichtigste verloren geht. Man kann auch bei kurzen Texten in die Tiefe gehen und die Systemebene beleuchten. Die Platzbegrenzung bei Medien ist ja nichts neues, das ist ja auch im Print-Journalismus so, dass man halt nur eine bestimmte Anzahl Zeilen zur Verfügung hat. Vonseiten unserer Community merken wir auf jeden Fall, dass großes Interesse nach tiefgründigen Inhalten besteht, auch wenn man das der Plattform Instagram auf den ersten Blick nicht unbedingt zutraut.

„Das Thema Klima ist sehr komplex, und es verdient es, dass man sich damit länger beschäftigt.“

Jüngling: Im Moment entwickelt sich Instagram eher weg von dieser Tiefe. Also man merkt, dass Inhalte schneller werden und die Zeit, die eine Person mit einem einzelnen Beitrag verbringt, immer kürzer wird. Die Videos sind kurz und alles ist sehr schnelllebig, man springt von einem Inhalt zum nächsten. Wir wollen einen Gegenpol dazu darstellen, und Tiefe reinbringen. Unsere Beiträge kann man nicht in nur einer Minute verstehen, sondern man muss sich hinsetzen, sich den Beitrag durchlesen, um das Thema zu verstehen. Genau das ist unsere Idee: Das Thema Klima ist sehr komplex, und es verdient es, dass man sich damit länger beschäftigt. Deswegen versuchen wir, dieses Format weiterhin aufrechtzuerhalten, auch wenn die Plattform dem eher entgegenstrebt.

Henne: Und manchmal funktioniert es auch nicht. Manche unserer Posts haben auf dem einen Slide zuerst eine kleine Einführung, wo wir die Leute ein wenig in eine falsche Richtung lenken und lösen das dann auf den weiteren Slides auf. An den Kommentaren sehen wir, dass viele nur den einen Slide gelesen haben und denken, sie haben den Beitrag verstanden und können ihn auf der Grundlage kritisieren. Es passiert also auch, dass Leute sich nicht die Zeit nehmen, unsere Beiträge komplett zu lesen. Aber der Großteil, macht das. Das hat uns auch überrascht.

Man wird ja nicht von heute auf morgen Klimajournalist*in, wie war euer Werdegang?

Robin Jüngling, Ann-Sophie Henne und Annika Le Large (v.l.n.r.) machen seit fünf Jahren mit ihrem Projekt nachhaltig.kritisch Klimajournalismus auf Instagram.(Foto: privat)

Jüngling: Bei uns war das ein Prozess. Das merkt man auch daran, wie unsere Inhalte früher aufgearbeitet waren und wie sie das jetzt sind. Damals waren wir im Studium und haben im Laufe der Jahre mit diesem Projekt sehr viel dazugelernt. Nachdem wir uns seit fünf Jahren durchgängig mit dem Thema beschäftigen, merkt man auch gut, dass sich die Themenauswahl sehr gewandelt hat. Am Anfang waren unsere Inhalte oberflächlicher, vielleicht weil wir die Klimakrise noch nicht so ganz durchleuchtet hatten. Um die vielen Facetten zu verstehen, braucht es Zeit. Natürlich muss man als Journalist oder Journalistin die Kompetenzen mitbringen, Themen relativ schnell zu verstehen und aufzuarbeiten. Zu unserem Team gehört zudem eine Illustratorin, die für unsere Beiträge zeichnet, und die hat sich auch sichtbar weiterentwickelt.

Henne: Noch kurz zu unserem Hintergrund: Robin hat schon im Bachelor Journalismus studiert, wir haben uns im Masterstudium „Multimedia und Autorschaft“ kennengelernt. Das ist so etwas wie Onlinejournalismus. Ich habe davor International Business studiert. Mit diesem journalistischen Handwerkzeugs aus dem Studium arbeiten wir natürlich mit mehreren Quellenchecks, nach dem Vier-Augen-Prinzip [Anm. d. Red.: Prinzip, bei dem zwei Menschen eine Entscheidung absegnen müssen] und sprechen auch mit Expertinnen und Experten. In dem Sinne arbeiten wir klassisch journalistisch.

Mit Expert*innen sprecht ihr auch in eurem Podcast. Der wirkt aber etwas inaktiv, sind neue Folgen geplant?

Jüngling: Ja, da geht es auf jeden Fall weiter. Da wir nur zu dritt sind, plus zwei Menschen, die sich um die Website kümmern, sind größere Projekte immer sehr einnehmend. Wir haben gerade eine Kampagne für unsere künftige Finanzierung gestartet, und ein Buch geschrieben. Mit dem sind wir nächste Woche auf der Leipziger Buchmesse und haben deswegen super viele Termine. So ein Podcast braucht etwas Planung. Wir sprechen darin mit Expertinnen und Experten, und nutzen diese Interviews meistens auch als Recherche-Interview, damit wir die Informationen ebenfalls für unsere Beiträge nutzen können. Wir versuchen mit dem Podcast, ein ganz anderes Publikum zu erreichen als bei Instagram. Denn: Beiträge auf Instagram zu lesen oder einen Podcast zu hören sind verschiedene Arten, Inhalte zu konsumieren, die unterschiedliche Menschen ansprechen.

Macht ihr etwas besser als traditionelle Medien?

Henne: Ich würde sagen, wir machen es anders. Man muss auch dazu sagen: Wir haben natürlich als Projekt, das sich nur mit dem Klimawandel beschäftigt, ganz andere Möglichkeiten, als ein alteingesessenes Medium, das ja in dieser Ressort-Logik denken muss. Dort gibt es dann Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Lokales, und Klimawandel landet dann eben oft in diesem Wissenschaftsressort, wo es einfach nicht ausschließlich hingehört, weil es ein Querschnittsthema ist. Im Gegensatz zu traditionellen Medien können wir an einem Tag ein psychologisches Thema behandeln, am nächsten Tag Energie und in der Woche darauf Wirtschaft und das alles auf den Klimawandel beziehen. Da sind wir einfach freier und das macht uns für Menschen, die sich über die Klima- und Klimagerechtigkeitskrise informieren wollen, vielleicht interessanter. Ich weiß aber auch, dass viele Journalistinnen und Journalisten keine Kapazität haben, sich neben ihrem Tagesgeschäft noch in dieses riesige Thema einzulesen. Da muss sich wirklich etwas an den Strukturen der Redaktionen ändern, damit auch im Journalismus der Wandel passiert, den wir brauchen, wenn wir angemessen über das Thema berichten wollen.

„Es muss sich wirklich etwas an den Strukturen der Redaktionen ändern, um damit auch im Journalismus der Wandel passiert, den wir brauchen.“

Ihr versucht seit mehreren Monaten, eurer Finanzierungsmodell zu stabilisieren, um von eurem Projekt leben zu können. Warum ist das so schwierig?

Die Illustrationen von Annika Le Large begleiten jeden Instagram-Post von nachhaltig.kritisch. (Illustration: Annika Le Large)

Henne: Es ist das Problem, das jedes Online-Medium hat: Menschen sind einfach daran gewöhnt, Inhalte im Internet umsonst zu konsumieren. Dieses Denken hat sich einfach noch nicht verändert, auch wenn dieser Wandel, glaube ich, gerade anfängt. Auf Instagram potenziert sich das, denn dort ist ja wirklich alles umsonst. Wenn jemand als Influencer Reichweite hat, dann finanziert sich diese Person über Werbung. Als journalistisches Projekt sind wir im Prozess, herauszufinden, wie wir genug Geld einnehmen können, denn wir haben uns dazu entschlossen, keine Werbung zu schalten. Das liegt einfach an den Gegebenheiten der Plattform. Auf Instagram müssten wir entweder mit unserem Gesicht werben oder die Werbung wie einen Beitrag darstellen. Sponsored posts sind noch kritischer: Da würde ich einen Beitrag über die Lieferkette von Bananen verfassen und zum Schluss kommen „Ja geil, ist alles gar nicht so schlimm, eigentlich sind Bananen immer nachhaltig!“. Klein gedruckt stünde dann noch irgendwo „Dieser Post ist übrigens in Zusammenarbeit mit der Banana Company entstanden“. Da hört Journalismus definitiv auf, das wäre ein Riesenproblem so etwas zu machen.

Wie könnte denn ein besseres Finanzierungsmodell aussehen?

Henne: Einen neuen Weg zu finden ist schwierig, wir versuchen es gerade über die Bezahlplattform Steady . Dort können unsere Leserinnen und Leser uns freiwillig unterstützen, ab drei Euro im Monat. Auf diese Möglichkeit haben wir in den letzten Monaten aktiv aufmerksam gemacht und wirklich viele Abos dazugewonnen.

In letzter Zeit gibt es immer mehr Anfeindungen gegenüber der Klima- bewegung, von verbalen Attacken in den sozialen Netzwerken bis hin zur Gewalt gegen Menschen, die auf der Straße protestieren. Erlebt ihr das auch, zum Beispiel in den Kommentaren?

Jüngling: Die Menschen sind uns gegenüber eher friedlich gesinnt. Ich würde sagen, dass unsere Beiträge, die viele Facetten einer Thematik zeigen, viele Menschen ansprechen. Wir versuchen, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu schreiben, den man manchmal bei anderen Accounts sieht, und der dann auch kritisiert wird. Wir merken trotzdem, dass wir uns in einer Art Filterblase befinden, deswegen erhalten wir relativ wenige Anfeindungen. Wenn unsere Beiträge dann wirklich mal aus dieser Filterblase herausbrechen, kann das schon mal passieren. Wir versuchen ganz bewusst, Menschen zu erreichen, die eine andere Sichtweise haben, um ihnen einen neuen Blickwinkel aufzuzeigen. Wir arbeiten ja mit Fakten und können mit Zahlen sowie Studien argumentieren. Dadurch, dass wir uns den ganzen Tag mit dem Thema beschäftigen, können wir auch ganz gut mit Menschen diskutieren, die vielleicht andere Zahlen oder Studien nennen. Wenn es private Anfeindungen sind, dann stehen wir da drüber oder löschen sie, wenn es zu deftig wird, denn solche Kommentare müssen nicht im Internet stehen.

Henne: Wenn wir jetzt wirklich in einen Shitstorm kommen würden, bei dem hunderte Kommentare kommen, inklusive Drohungen, da weiß ich ehrlich gesagt nicht, wie wir dann damit umgehen würden. Da ist es wahrscheinlich auch schwer, drüber zu stehen.

Jüngling: Unsere Community ist aber auch ein wichtiger Faktor: Wir merken, dass wir viele Diskussionen gar nicht führen müssen, weil schon jemand auf einen Kommentar geantwortet hat. In unserer Community ist eine große Bereitschaft vorhanden, über Nachhaltigkeitsthemen zu diskutieren, was sehr schön ist. Wenn sich jemand danebenbenimmt, „kümmern“ sich andere darum und weisen die Person zurecht.

Ihr habt jetzt ein Buch namens „Miese Krise“ veröffentlicht. Was steht da drin?

Henne: Ja, das ist mega aufregend: Wir haben ein Buch geschrieben, unser erstes. Es ist ein Rundumschlag über die Klimakrise. Es behandelt 49 unterschiedliche Fakten, die mit dem Klimawandel zu tun haben, von den naturwissenschaftlichen Grundlagen bis hin zu den Fragen: Wo stehen wir heute, wo sind wir morgen, wo befinden wir uns am Ende des Jahrhunderts? Welche Gefühle entstehen da? Wie wird über diese Krise kommuniziert? Über welche Mythen sollte man Bescheid wissen? Und letztendlich schreiben wir auch über die Frage, wie der Wandel in den unterschiedlichen Sektoren eingeleitet werden kann – also die ganz kleinen Themen. Wir sind sehr glücklich über die Veröffentlichung, und wir hoffen damit auch eine Zielgruppe zu erreichen, die sich vielleicht noch nicht so stark mit dem Thema auseinandergesetzt hat.

Die Artikel, Podcasts und den Link zum Instagram-Kanal von nachhaltig.kritisch findet sich unter nachhaltigkritisch.de. Das Buch „Miese Krise“ (22 Euro) ist im Katapult Verlag erschienen.

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