„Es fühlt sich für mich immer so an, als würde ich nur einen Teil von mir zeigen.“ – So fasst Vanja den Alltag mit intergeschlechtlicher Identität zusammen. Vor dem deutschen Verfassungsgericht hat Vanja erfolgreich für eine dritte Option bei der Geschlechtereintragung geklagt. Das Interview mit Vanja in der kommenden Printausgabe der woxx.
Eine Revolution war es nicht – aber doch ein wichtiger Schritt: Am 8. November hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass intersexuelle Menschen in Deutschland ab Ende 2018 neben einer männlichen oder weiblichen Angabe nun eine dritte Option für ihre Geschlechtsidentität wählen können. Mit etwas Verspätung widmet sich unsere Berliner Partnerzeitung Jungle World in ihrer morgigen Ausgabe in mehreren Artikeln dem Urteil. Darin hat sich das Gericht die Auffassung zu eigen gemacht, wonach die bisherige Rechtslage, die es lediglich erlaubt, auf eine Geschlechtsangabe zu verzichten, nicht ausreichend ist.
In einem der Beiträge lotet Johanna Jaspersen die gesellschaftliche Bedeutung und mögliche Tragweite des Richterspruchs aus. So kommt beispielsweise die Verfassungsrechtlerin Friederike Wapler zu Wort, die als Bevollmächtigte der klagenden Person Vanja direkt am Verfahren beteiligt war. Die Entscheidung habe das Potenzial, „die ganze verrechtlichte Geschlechterordnung in Deutschland“ neu zu definieren. Wapler hat auch die ebenfalls an der Klage beteiligte Initiative Dritte Option beraten und bezeichnet es als „großartig“, „dass das Gericht uns in allen wesentlichen Punkten bis zum Wortlaut gefolgt ist“. Damit habe die Initiative das bestmögliche Ergebnis erreicht.
Seit einer Änderung im Jahre 2013 kann der Eintrag der geschlechtlichen Identität im Geburtenregister offen bleiben, wenn das Kind weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen ist. Betroffene und Interessenverbände intersexueller Menschen hatten allerdings seitdem kritisiert, „dass ein Weglassen des Eintrags eben keine vollständige Anerkennung des Geschlechts Intersexueller bedeutet“, wie Jaspersen in ihrem „Jungle World“-Artikel rekapituliert. Deshalb argumentiert die Initiative „Dritte Option“, dass das Weglassen „auf unzulässige Weise in jene Grundrechte eingreife, die die geschlechtliche Identität des Menschen schützen“.
Das sah nun auch das Bundesverfassungsgericht in seinen Leitsätzen zum Urteil so: „Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, werden in ihren Grundrechten verletzt, wenn das Personenstandsrecht sie dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt.“
Entweder also müsse eine dritte Bezeichnung neben männlich und weiblich eingeführt werden, oder – „und das wäre ein historischer Wendepunkt im deutschen Recht – es wird generell auf einen personenstandsrechtlichen Eintrag verzichtet“, so Johanna Jaspersen. Welche Folgen die jeweilige Alternative hätte, wird von der Autorin durchdekliniert. Knapp zusammengefasst, käme die dritte Option der Wahrnehmbarkeit und Akzeptanz intergeschlechtlicher Personen zugute, die komplette Streichung des Geschlechtseintrags im Geburtenregister hingegen „würde die derzeitige Bedeutung von Geschlecht im Recht radikal in Frage stellen“. Die Debatte um diese Alternativen korrespondiert auch mit der Diskussion in Luxemburg.
Nie richtig dazugehören
„Auf lange Sicht finde ich es sinnvoll, gar keinen Geschlechtereintrag mehr zu haben. Es sollte offizielle Stellen nicht interessieren, was man für ein Geschlecht hat“, sagt die vor dem Bundesverfassungsgericht klagende intersexuelle Person Vanja im Interview, das die woxx in der Printausgabe von kommendem Freitag präsentiert: „Wenn es eine weitere, positive Option gibt, ist mir wichtig, dass diese möglichst offen gefasst wird, damit sich möglichst viele Menschen damit identifizieren können.“ Vor allem jedoch müsse die „Definitionsmacht der Medizin und der Psychologie“ endlich aufgehoben werden, „so dass die Menschen ihre Identität wählen können“.
Vanja wurde bedroht und tritt daher nur mit einem Vornamen an die Öffentlichkeit. Im Interview erzählt Vanja auch von den eigenen Erfahrungen in Jugend und Pubertät: „Ich habe in der Zeit schon das Gefühl gehabt, nicht so richtig dazuzugehören. Das heißt nicht, dass alles immer total schlimm gewesen ist. Ich habe auch damals meinen Platz gefunden, aber dieser Platz war immer eher am Rand.“
Auch im Alltag als erwachsener Mensch erlebt Vanja die binäre geschlechtliche Codierung der Gesellschaft. „Es ist zum Glück nicht so, dass ich ständig darauf angesprochen werde, ob ich Mann oder Frau bin, aber das war auch schon anders. Gerade sehe ich wegen der Hormone eher unauffällig aus. Ich nehme die Hormone aber auch, weil es mir zum Teil einfach zu anstrengend war, ständig angesprochen zu werden. Es fühlt sich aber für mich immer so an, als würde ich nur einen Teil von mir zeigen.“
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei in dieser Hinsicht ein wichtiger Schritt. Denn die bisherige Option, den Eintrag der Geschlechtsidentität wegzulassen, laufe auf die Behauptung hinaus, „die einen haben eine konkrete Identität und die anderen haben eine Leerstelle. Es gibt eine große Unsichtbarkeit von Intermenschen. Auch im Vergleich zu Transmenschen. Intersexualität muss einfach sichtbar werden.“