Die Grevio analysiert in ihrem ersten Bericht über Luxemburg die hiesige Anwendung der Istanbul-Konvention. Das Urteil ist durchwachsen.

Die Expert*innengruppe Grevio des Europarates stellt Luxemburg ein mittelmäßiges Zeugnis bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention aus. (Copyright: Pixabay)
Im Juli 2018 verabschiedete die luxemburgische Abgeordnetenkammer den Gesetzesentwurf zur Annahme der Istanbul-Konvention, jetzt steht die Umsetzung auf dem Prüfstand: Die Expert*innengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Grevio) legte diese Woche ihren ersten Länderbericht zur Situation in Luxemburg vor. Bei der Istanbul-Konvention von 2011 handelt es sich um das erste verbindliche Übereinkommen auf internationaler Ebene, das Gewalt gegen Frauen und Mädchen bekämpfen soll. Die unabhängige Gruppe Grevio, 2014 ins Leben gerufen, überwacht die Anwendung durch die Staaten.
In Bezug auf Luxemburg stellt Grevio fest, dass es keine klare Definition von Gewalt gegen Frauen gibt. In der Tat sind Frauenmorde beispielsweise nicht gesondert im Strafgesetzbuch verankert oder werden als solche erhoben. Diese Umstände strich 2021 auch das European Institute for Gender Equality (Eige) in einem Länderbericht zu Femiziden in Luxemburg hervor. Grevio geht in seinem Bericht weiter und bemängelt: In Luxemburg werde nur der häuslichen Gewalt, nicht aber anderen Gewaltformen, die in der Istanbul-Konvention aufgelistet sind, ausreichend Beachtung geschenkt. Zwar hätte Luxemburg einige davon kriminalisiert, wie die Zwangsheirat oder die Genitalverstümmlung, doch reiche dies nicht aus.
Dringende Änderung nötig
Einerseits fehle es der Politik allgemein an einer genderspezfischen Perspektive, andererseits seien zahlreiche Ansprechpartner*innen, etwa Magistrat*innen, unzureichend hierfür sensibilisiert. Der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt verlange eine ganzheitliche und interdisziplinäre Herangehensweise aller Beteiligten. Darunter würden auch Präventions- und Schutzmaßnahmen sowie öffentliche Initiativen zur Bekämpfung aller Gewaltformen gegen Frauen fallen. „L’approche des autorités luxembourgeoises ne permet pas de cibler de manière distincte la violence fondée sur le genre à l’encontre des femmes et risque de l’invisibiliser“, schlussfolgert die Grevio.
Sie bezeichnet es als dringende Notwendigkeit, die Datenerhebung zu den Gewaltformen, die in der Istanbul-Konvention verankert sind, zu verbessern – vor allem im Bereich der Justiz. Dies ermögliche, die Wirksamkeit strafrechtlicher Maßnahmen im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt zu analysieren und aufzudecken, inwiefern es einer Anpassung bedürfe. Die Forderung nach mehr geschlechtsspezfischen Daten und aussagekräftigen Zahlen der Justiz werden in Luxemburg regelmäßig von feministischen Organisationen an die Regierung herangetragen, bisher ohne Erfolg.
Allgemein fordert die Grevio, dass die Strafverfolgungsbehörden in Luxemburg wirksame Instrumente zur Risikobewertung erhalten. So sei beispielsweise weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft eine Einheit auf häusliche Gewalt oder andere Formen von Gewalt gegen Frauen spezialisiert. Solche Einheiten müssen laut Grevio unbedingt eingeführt werden, um den Schutz von Betroffenen zu verbessern.
Für die Grevio sind auch die juristischen Entscheidungen, die im Hinblick auf das Sorgerecht getroffen werden, Grund zur Sorge. „Le Grevio est préoccupé par le manque de régulation imposant de prendre en considération les situations de violence domestique“, schreibt die Gruppe, „et le fait qu’en pratique, la possibilité de limiter les droits parentaux de l’auteur de violence dans les contextes de violence domestique ne semble être que peu employée par les tribunaux.“ Die Schutzmaßnahmen für weibliche Betroffene häuslicher Gewalt seien zudem lückenhaft, besonders nach Ablauf der temporären Wegweisung der Täter*innen. Es sei wichtig, weibliche Gewaltopfer bei der Wohnungsvergabe zu priorisieren, ihre finanzielle Unabhängigkeit zu fördern und das Angebot von Notunterkünften weiter auszubauen.
Dies sind einige von vielen Punkten, die die Grevio in ihrem Bericht thematisiert. Und so kommt das Dokument wenige Monate vor den Parlamentswahlen im Oktober genau richtig: Er bietet genug Stoff für einen neuen Koalitionsvertrag, in dem Gender-Fragen groß geschrieben werden