Fridays for Future: Dilemma eines Lehrers

„Fragen Sie mich als Lehrer oder als Privatperson?“ Diese Frage offenbart brutal die Schizophrenie der heutigen Gesellschaft, in der Werte und Ideale als grobe Richtlinie betrachtet werden, die es jedoch je nach Kontext neu auszutarieren gilt. Und diese Antwort müssen Lehrer*innen geben, wenn sie von Eltern oder Schüler*innen gefragt werden, wie sie zu den „Fridays-for-Future“-Demonstrationen stehen.

Foto: Pixabay

Ich habe auf das gymnasiale Lehramt studiert, weil es mir ein Anliegen war und ist, junge Menschen dazu zu befähigen, als aktive Teilhaber einer demokratischen Gesellschaft sich begründet und fundiert Meinungen zu bilden und für diese offensiv einzutreten. Dies sollte oberstes Bildungsziel unseres gesamten Bildungssystems sein. So steht es zumindest geschrieben.

In der Realität sieht dies oft anders aus. Tausende Schülerinnen und Schüler demonstrieren jeden Freitag für eine neue Klimapolitik. Mehr. Letztlich demonstrieren sie für eine neue Gesellschaft, eine Gesellschaft jenseits des irrationalen und letztlich fatalen Glaubens an ewiges Wachstum und Expansion – ungeachtet aller natürlichen Grenzen.

Und die Schulen? Sie sind durch die Politik der Landesregierungen angehalten, dieses Verhalten zu sanktionieren – und letztlich zu kriminalisieren. Schulschwänzer. Für solche sind unentschuldigte Fehlstunden oder Bußgeldbescheide die Antwort aus dem Bildungswesen. Die Antwort auf soziales, gesellschaftliches und politisches Engagement in einer Frage, die selbst die Bundeskanzlerin unlängst zur „Menschheitsfrage“ erklärte.

Gefangen in einem nicht mehr zu leugnendem System innerer Widersprüche ziehen sich Bildungsinstitutionen notgedrungen auf den Status ausführender, untergeordneter Behörden zurück. Dienstanweisung ist Dienstanweisung. Und der unterliegen Lehrer wie Schulleiter. Das ist nun einmal systemimmanente Logik. Es ist nur eine Randnotiz, dass es ebenso die CDU-Kanzlerin war, die anlässlich Gedenkfeiern bezüglich der Grenzöffnungen in Ungarn 1989 vor einigen Monaten in der ARD mit den Worten zitiert wurde, wie bewundernswert jene Beamten gewesen seien, die „Menschlichkeit vor Dienstanweisung“ gesetzt hätten. Ein Schelm, wer diese Aussage als Aufruf zum zivilen Ungehorsam deutet.

Was aber nun können wir klimaschutzengagierten und demonstrationswilligen Jugendlichen sagen, ohne uns illoyal unserem Dienstherren gegenüber zu äußern? Diese Jugendlichen leisten Widerstand. Manche haben es indes auch (noch) nicht verstanden. Wer mit PET-Flaschen in der Hand für Klimaschutz demonstriert und anschließend bei McDonalds isst, der ist von einer tieferen Erkenntnis noch weit entfernt. Doch er hat vielleicht ein richtiges Gefühl, handelt jedoch ebenso schizophren, wie der Lehrer mit eingangs zitierter Antwort oder der SUV-Fahrer, der im Bio-Laden „nachhaltig“ einkauft.

Widerstand gegen ein ihrer Meinung nach überkommenes System, das sich selbst abzuschaffen droht, ist das Anliegen der intellektuell führenden Vertreter dieser neuen Klimaschutzbewegung. Widerstand gegen ein System Menschheit der (post-)industriellen Gesellschaft, das sich selbst abzuschaffen droht. Widerstand bricht qua Definition Regeln. Ein übrigens im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankertes Grundrecht. Es gehört Mut dazu, dies zu tun – es bedarf des Tragens der Konsequenzen. Ist also quasi höchstes Bildungsziel.

Schule sollte sich freuen, wenn der Bildungserfolg ihrer Tätigkeit auch in der Teilnahme an solchen „illegitimen“ Aktionen wie der „Fridays-for-Future“-Bewegung sichtbar wird. Lange galt die Jugend als unpolitisch und lethargisch. Und bekam hierfür gesellschaftlich-verbale Prügel. Nun für das Gegenteil.

Es ist rein analytisch übrigens ein Fakt, dass es nicht systemkonformes, unterwürfiges Verhalten war, dass die wichtigen und bedeutsamen Umbrüche der deutschen Gesellschaft(en) seit 1945 ermöglicht hat: Weder der spätere Außenminister Joschka Fischer in den 1970er-Jahren noch die Bürgerrechtler der DDR ein Jahrzehnt später haben sich von der Universität oder dem Arbeitgeber freistellen lassen, um in mühsamer Arbeit eine in ihren Augen gerechtere Gesellschaft zu erkämpfen. Sie wurden kriminalisiert – und teils dadurch radikalisiert. Das Urteil der Geschichtswissenschaft ist jedoch in Bezug auf ihr gesellschaftliches Wirken in der Regel deutlich differenzierter als das der jeweils aktuell herrschenden politischen Klasse.

Das kann ein Lehrer wohl als Mensch ebenso feststellen wie als Beamter.

Martin Behrens, geboren 1984 im Rheinischen Braunkohlerevier, studierte Geschichte und Anglistik in Deutschland und Polen. Der ehemalige Journalist und freie Mitarbeiter der woxx arbeitet inzwischen als Mitglied der Kollegialen Schulleitung und Lehrer für Geschichte, Gesellschaftslehre und Englisch an einer niedersächsischen Gesamtschule.


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