Games-Empfehlung: Neo Cab

Wie ist es, sich als eine der letzten menschlichen Taxifahrerinnen im Großstadtdschungel durchzuschlagen? Die Visual Novel „Neo Cab“ bietet einen Einblick in dieses Leben und ist dabei erstaunlich politisch.

Lina schlägt sich als Taxifahrerin durch. Bei jedem Gespräch stellt sich die Frage, ob sie ihre Meinung sagt und damit das Risiko einer schlechten Bewertung durch die Passagier*innen eingeht. (Grafik: Chance Agency)

Lina hat eigentlich genügend Gründe, optimistisch zu sein: Sie ist gerade dabei, aus dem Kaff Cactus Flats in die „automated city“ Los Ojos umzuziehen. Ihre beste Freundin Savy hat sich nach langer Funkstille wieder gemeldet: Die beiden wollen zusammenziehen. Doch nach einem kurzen ersten Treffen verschwindet Savy völlig von der Bildfläche. Linas Optimismus schwindet, denn sie muss einstweilen alleine in der Großstadt zurechtkommen. Immerhin hat sie einen Job, mit dem sie sich eine Zeit lang über Wasser halten kann: Lina ist Taxifahrerin. In der – nicht allzu weit entfernten – Zukunft, in der sie lebt, tut sie das selbstverständlich mithilfe einer Uber-ähnlichen App, der namensgebenden Firma Neo Cab.

Neben ihren Versuchen, mehr über Savys seltsames Verhalten zu erfahren, sammelt Lina Passagier*innen auf, unterhält sich mit ihnen und versucht, genügend Geld zu verdienen, um am Ende des Tages einen Schlafplatz in einem Kapselhotel zu haben. Schnell erfährt sie jedoch, dass ihr Lebensunterhalt auf dem Spiel steht: Der Technologiekonzern Capra, der in Los Ojos so gut wie jede Infrastruktur, von Werbeanzeigen über autonome Taxis bis hin zur Polizei, betreibt, will menschliche Autofahrer*innen verbieten. Nachdem eine berühmte Balletttänzerin bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, könnte die Abstimmung über das entsprechende Gesetz zugunsten des Konzerns ausgehen: Die autonomen Capra-Taxis hätten dann das Monopol und Lina wäre arbeitslos.

Das Taxifahrer*innen-Dilemma

Neo Cab ist eine sogenannte Visual Novel, also ein Spiel, bei dem die Handlung an vorderster Stelle steht und die Spieler*innen wenig Möglichkeiten haben, einzugreifen. So steuert man Linas Taxi nicht selbst, sondern wählt lediglich aus, welche*r Passagier*in als nächstes abgeholt werden soll oder an welcher Ladestation die Batterie aufgeladen wird. Am wichtigsten sind jedoch die Gespräche mit den Passagier*innen. Die Charaktere, die in Linas Taxi steigen, sind äußerst vielfältig: Von der wütenden Teenagerin über den*die verletzte Fahrradaktivist*in bis hin zur Quantenstatistikerin gibt es kaum eine Personengruppe, die nicht herumgefahren werden muss. Diese Diversität, die für eine Großstadt sehr natürlich wirkt, fällt positiv auf.

Die Gespräche mit ihnen zu navigieren, ist nicht so leicht, wie es wirkt. Am Ende jeder Fahrt wird Lina bewertet, und wenn ihre Durchschnittsbewertung zu weit absinkt, verliert sie ihren Job. Sie trägt außerdem ein Gadget, das ihren emotionalen Zustand auf ein Armband und eine Handyapp überträgt. Dadurch ist den Spieler*innen, aber auch den Passagier*innen stets bewusst, wie die Diskussionen Lina emotional beeinflussen. Je nachdem, in welchem Gemütszustand sie sich befindet, sind manche Dialogoptionen nicht möglich. Selbst wenn wir als Spieler*innen wissen, dass es besser wäre, sich zurückzuhalten: Wenn Lina wütend ist, kann sie das nicht.

Für eine Visual Novel ist die Grafik durchaus überzeugend, auch wenn sich manche der abgebildeten Straßenzüge schnell sehr ähneln. Dadurch, dass sich der Blickwinkel während jeder Fahrt mehrmals ändert, wirkt das Spiel dynamisch und wird nicht langweilig. Das Sounddesign ist etwas spärlich, was bei dem großen Fokus auf die Handlung jedoch kein großer Negativpunkt ist.

Gig-Arbeiter*innen der Zukunft, vereinigt euch!

Neo Cab ist nicht das erste Spiel, das in einer hochtechnisierten (Cyberpunk-)Dystopie spielt, in der ein Konzern so gut wie jeden Bereich des Lebens durchdrungen hat. Einzigartig ist es dadurch, dass die Protagonistin keine waffenschwingende Heldin ist, sondern unter prekären Bedingungen Taxi fährt. Immer wieder kommen Themen wie die Solidarität unter „Gig-Arbeiter*innen“ oder Aktivismus für sanfte Mobilität auf. Während echte Uber-Fahrer*innen bis zu 30 Fahrten in einer Schicht absolvieren, sind es im Spiel lediglich drei – alles andere hätte den Umfang des Spieles, das von dem kleinen Indie-Studio Chance Agency entwickelt wurde, gesprengt.

Trotzdem zeigt Neo Cab auf, wie sich die sogenannte „Gig-Economy“ auf ihre Arbeiter*innen auswirkt. Durch die vermeintliche Selbstständigkeit der Arbeiter*innen können Konzerne heute schon Taxifahrten oder Lieferdienste sehr günstig anbieten, da sie arbeitsrechtliche Bestimmungen umgehen können. Dadurch, dass die Geschichte in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft spielt, kann sie zudem noch überspitzt darstellen, was uns möglicherweise alle erwartet, wenn wir die Internetgiganten unreguliert gewähren lassen.

Neo Cab ist ein eher kurzes Spiel, das sich in etwa vier Stunden durchspielen lässt. Da die Story jedoch nicht komplett linear verläuft, lässt sich Linas Geschichte durchaus mehrmals wiederholen, ohne dass sie langweilig wird. Wer keinen Action-Titel erwartet und mit einer komplexen, aber kurzen Geschichte umgehen kann, wird nicht enttäuscht.

Für PC, Mac und die Switch. 
Auf Steam, Apple Arcade und im 
Switch-Store, ca. 12,50 Euro.

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