Gewalt gegen Kinder: Zahlen und Zweifel

Die Ministerien legen Zahlen vor und schieben Zweifel nach, wenn es um Gewalt gegen Minderjährige während des Lockdowns geht. Studien aus Deutschland und Aussagen der Unicef lassen erahnen, dass familiäre Konflikte zugenommen haben.

In Luxemburg wurde während der Ausgangsbeschränkungen heftig über schulische Rückstände, Nachhilfe- und Heimunterricht debattiert. Die CSV-Abgeordnete Nancy Arendt hinterfragte nun kürzlich, wie sich die Ausgangsbeschränkungen auf die Gewalt an Minderjährigen ausgewirkt habe. In einer gemeinsamen Antwort kommunizieren das Justiz- und Bildungsministerium sowie das Ministerium für Innere Sicherheit vor allem eins: Sie haben nur eine vage Vorstellung.

Die Statistiken, die sie vorlegen, zeichnen Vorfälle vom 13. März bis zum 13. Juli auf. Im Vergleich zu 2019 vermitteln die Zahlen den Eindruck, dass die Gewalt an Kindern und Jugendlichen rückläufig ist. Letztes Jahr kam es in dem Zusammmenhang und in dem besagten Zeitraum zu 156 „procès-verbaux“ – 2020 waren es 75. Die Hauptursachen bleiben unverändert: sexuelle Belästigung, Körperverletzung, versuchter Totschlag oder starke Vernächlässigung mit schweren Folgen.

Die Vertreter*innen der Ministerien halten gegen Ende ihres Schreibens fest, dass während der Ausgangsbeschränkungen und bis zum 13. Juli weniger Fälle von Gewalt an Minderjährigen gemeldet wurden als im Vorjahr. Nur einen Abschnitt später räumen sie ein, dass diese Werte bedeutungslos sind. Zum einen hätten die Kinder und Jugendlichen während dieser Zeit weder die Schule noch andere Betreuungsstrukturen, wo jemandem Verletzungen oder Verhaltensstörungen hätten auffallen können, besucht. Zum Anderen würden Opfer sexualisierter und häuslicher Gewalt oft erst Monate oder Jahre nach den Vorfällen offen über den Missbrauch sprechen. Was die Ministerien nicht anmerken, aber auch ein Faktor sein könnte: Die Betroffenen konnten sich je nach Wohnungssituation und Mobilität sicherlich nur beschränkt unbemerkt an Hilfsorganisationen, Vertrauenspersonen oder an die Polizei wenden. Die woxx berichtete bereits über diese Umstände (woxx 1573).

Die COSPY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf dokumentiert die Situation der Minderjährigen in Deutschland. Dort gaben 27 Prozent der 1.040 befragten Minderjährigen und 37 Prozent der 1.586 teilnehmenden Eltern an, sich öfter zu streiten als vor Ausbruch der Krise. Zwar sind familiäre Konflikte nicht per se mit Gewalt gleichzusetzen, doch deuten die Studienergebnisse an, dass die Corona-Krise Einfluss auf familiäre Beziehungen hat. Auch Unicef betonte in einem Schreiben zur Jahreskonferenz im Juli, dass Ausgangsbeschränkungen das Risiko für Minderjährige erhöhe, in ihrem direkten Umfeld oder online zu Gewaltopfern zu werden.

Die Anzeichen dafür, dass die Gewalt an Kindern und Jugendlichen während der letzten Monate zugenommen hat, sind demnach gegeben. Die Statistiken der Ministerien sind angesichts der Umstände nicht repräsentativ und verleiten zu falschen Schlüssen. Dies birgt die Gefahr, dass zu wenig in Hilfsangebote und Anlaufstellen für die Betroffenen investiert wird.


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