Gewalt im Test: Unter dem Radar

Gibt es in meiner Beziehung Anzeichen von Gewalt? Ein kürzlich ins Leben gerufener Online-Fragebogen soll dabei helfen, diese Frage zu beantworten. Das Tool ist allerdings nicht optimal an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst.

Julien Haler/flickr

Mehr als zweimal pro Tag wird die Polizei hierzulande im Schnitt wegen häuslicher Gewalt gerufen. Diese Zahl alarmiert – dabei stellt sie nur die Spitze des Eisbergs dar. Unter dem Radar bleiben Fälle, in denen sich das Opfer nicht als solches wahrnimmt oder sich nicht traut, Hilfe zu holen.

Erstere Kategorie soll nun dank des Tools „relation2test“ kleiner werden. Vom Ministerium für Gleichstellung zwischen Frauen und Männern und der Fondation Maison de la porte ouverte ins Leben gerufen, richtet sich der Test an alle, die überprüfen wollen, ob sie in einer egalitären, gewaltfreien Beziehung leben. Dafür sind rund 25 Fragen zu beantworten, die diverse Themenfelder abdecken. Anschließend erfährt man, ob es Hinweise auf körperliche und psychische Gewalt gibt. Ist dies der Fall, werden Beratungsstellen samt Kontaktdaten aufgelistet.

„Bei der Gewalt geet et oft drëm, déi aner Persoun ze dominéieren, se klengzemaachen, se ze erniddregen an hier wéizedoen“, erkärte Gleichstellungsministerin Taina Bofferding am Montag der Presse gegenüber. Auch wenn dies in den meisten Fällen auf körperliche Gewalt zutreffen mag, so ist die Sachlage bei psychischer Gewalt doch komplexer. Zwar können Einschüchterung, Erniedrigung und Schmerz eine Konsequenz dieser sein, die Intention der Täter*innen war es jedoch nicht notgedrungen. Genau das macht die Identifikation von psychischer Gewalt so schwierig: Wer seine*n Partner*in anschreit, will damit möglicherweise nur sicherstellen, ernst genommen zu werden, ohne sich der negativen Folgen dieses Verhaltens unbedingt bewusst zu sein.

Anders als es Bofferdings Aussage vermuten lässt, beschränkt sich „relation2test“ auf das Wesentliche: das Verhalten („Macht Ihr Partner abfällige Bemerkungen oder spottet über Sie?“) und die Auswirkungen („Gibt es Situationen in denen Sie Angst in Ihrer Beziehung haben?“). Für eine Einschätzung, ob es sich um Gewalt handelt, ist die Frage nach den Beweggründen immerhin irrelevant. Was allerdings fehlt, sind Fragen nach der Häufigkeit bestimmter Verhaltensweisen. Dabei spielt diese eine zentrale Rolle, wenn es etwa um die Identifizierung von Mobbing geht.

Trotz der Nützlichkeit des Tools lässt sich doch bezweifeln, dass es an die Bedürfnisse der Zielgruppe angepasst ist. Den Test dürften vor allem diejenigen ausfüllen, die zwar eine ungesunde Dynamik in ihrer Beziehung vermuten, ohne aber einschätzen zu können, ob es Grund zu ernsthafter Sorge gibt. Subtile Formen von Gewalt beziehungsweise ein latentes Gewaltpotenzial lassen sich mit „relation2test“ kaum identifizieren. Auch wer von dem*er Partner*in bei jedem Konflikt mit Silent Treatment abgestraft wird und das Gefühl hat, seine Bedürfnisse denen des*der anderen stets unterordnen zu müssen, erhält als Ergebnis „Herzlichen Glückwunsch, Ihre Beziehung ist egalitär!“. Das ist nicht nur irreführend, sondern auch gefährlich. Wenn die betroffene Person nämlich so von einer Beratung abgehalten wird, mithilfe derer das sich anbahnende Problem noch im Keim hätte erstickt werden können.

Subtile Gewalt lässt sich mit „relation2test“ wohl kaum identifizieren.

Verbesserungswürdig ist zudem die alleinige Ausrichtung auf die andere Person: Wer den Test ausfüllt, wird nur danach gefragt, ob seine*ihre Partner*in zu körperlicher oder psychischer Gewalt neigt. Ob die ausfüllende Person dies tut, wird nicht erfragt. Auch Menschen, die ihre Beziehungsperson regelmäßig schlagen, wird am Ende versichert, ihre Beziehung sei egalitär und gewaltfrei. Ziel des Tools ist demnach nicht, die Hinterfragung der eigenen Verhaltensmuster.

Der Name „relation2test“ ruft jedenfalls geradezu nach einem Ausbau des Tools. Denkbar wäre ein Fragebogen, mit dem sich alle Beziehungen, etwa auch die mit Freund*innen, Mitbewohner*innen oder Arbeitskolleg*innen, überprüfen. Und wieso nicht auch ein Tool einführen, mit dem Kinder überprüfen können, ob die Erziehungs-, Unterrichts- oder Coachingmethoden ihrer Eltern, Lehrerkräfte oder Trainer*innen als Gewalt einzuordnen sind?


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