ERZIEHUNG: Öl ins Feuer

Sah es vor kurzem noch so aus, als könnte ein Kompromiss zwischen Gewerkschaften und Minister Meisch gefunden werden, so hat der Examensboykott von 1.500 LehrerInnen nun Tatsachen geschaffen und zur Verhärtung der Fronten geführt. Macht sich die Basis etwa selbstständig?

Examen oder nicht Examen, das ist die Frage …
(Foto: Jack Hynes / Flickr)

Für eine kurze Zeit konnte man den Eindruck haben, dass es zu einer Einigung zwischen Bildungsminister Claude Meisch und den drei Lehrergewerkschaften SEW, Apess und Féduse kommen könnte. Nach dem Treffen vom 26. November, bei dem der Minister den Gewerkschaften Vorschläge zum Ausgleich der angekündigten Sparmaßnahmen unterbreitet hatte, klangen sowohl die Gewerkschaften als auch der Minister zuversichtlich.

Die Vorschläge Meischs gingen in die richtige Richtung, befand die Apess (Association des professeurs de l’enseignement secondaire et supérieur) in einem Kommuniqué. Auch seitens der Féduse (Fédération des universitaires au service de l’Etat) gab man sich optimistisch. Einzig das Syndikat Erziehung und Wissenschaft (SEW) zeigte sich skeptisch: Die vorgeschlagenen Sparmaßnahmen des Ministers seien kontraproduktiv, seine Kommunikationspolitik sei es ebenfalls, und man werde sich sowohl gegen die Einsparungen als auch die angekündigten Kompensationsmaßnahmen zur Wehr setzen. Die Drohung mit einem Examensboykott der SekundarschullehrerInnen sei aber erst einmal vom Tisch, hieß es trotzdem quer durch die nationale Presselandschaft.

Doch die Basis machte den Gewerkschaften und dem Minister einen Strich durch die Rechnung: Am 15. Dezember teilte das Koordinationsbüro der Lehrerkomitees mit, 1.500 Lehrer aus 28 Schulen hätten ihren Rücktrit aus der Examenskommission erklärt.

„Die Basis hat sich teilweise selbstständig gemacht“

„Die Basis hat sich teilweise selbstständig gemacht“ gibt Daniel Reding, Präsident der Apess, ohne Umschweife zu. „Einige radikale Elemente“ hätten sich durchsetzen können. Allerdings würde die Aktion der Lehrerkomitees jetzt „Öl ins Feuer gießen“ und „über das Ziel hinausschießen“. „Was die Zielsetzung angeht, sind wir uns einig“, stellt Reding klar, „aber das Ziel rechtfertigt nicht die Mittel“. Er für seinen Teil beteilige sich nicht an dem Boykott: „Ich bin ein Engagement eingegangen, als ich eine Abschlussklasse angenommen habe, ein Engagement vor allem gegenüber meinen Schülern. Deswegen habe ich kein Rücktrittsgesuch aus der Prüfungskommission unterschrieben und werde dies auch nicht tun.“

Eine Aussage, die, wenn auch nicht die LehrerInnen, so zumindest die SchülerInnen erfreuen dürfte. Bei der nationalen Schülerkonferenz zeigt man sich nämlich besorgt angesichts des Damoklesschwerts eines Boykotts: „Wir haben zwar einerseits Verständnis für das Anliegen der Lehrer, über deren Köpfe hinweg Entscheidungen getroffen wurden“ erklärt Catia Biel, Vizepräsidentin der Conférence nationale des élèves du Luxembourgeois. „Andererseits geht es uns vor allem um die Examen, auf die sich die Schüler monatelang vorbereiten.“ Es sei nicht in Ordnung, die SchülerInnen „sozusagen als Druckmittel“ zu benutzen, so die Schülerin. Alle Betroffenen müssten sich jetzt endlich an einen Tisch setzen, fordert Biel und fügt hinzu: „Notfalls bietet die Schülerkonferenz ihre Dienste als Mediatorin an.“

Ebenfalls besorgt um die Examen und die SchülerInnen äußert sich das „Ombudskomitee fir d’Rechter vum Kand“: In einer Pressemitteilung erklärt das ORK, es sei das gute Recht der LehrerInnen, gegen die Regierungspläne zu sein. Allerdings bereite die gewählte Aktionsform Sorgen. Auf keinen Fall dürften durch den Konflikt zwischen Regierung und LehrerInnen Vorbereitung und Ablauf der Abschlussexamen in Gefahr gebracht werden. Es sei jetzt an allen Akteuren, dafür zu sorgen, dass die SchülerInnen nicht am Ende die Leidtragenden sind.

Bei der Féduse zeigt man vollstes Verständnis für die Anliegen der SchülerInnen. „Ich gebe den Schülern völlig Recht“ sagt Präsident Camille Weyrich. „Zum Glück sind die Examen noch ziemlich weit entfernt, sodass wir hoffen, dass es bis dahin zu einer Einigung kommt.“ Es sei jetzt an den Gewerkschaften, die „ganze Sache in geregelte Bahnen zu bekommen“. Schließlich gebe es für solche Fälle ein Streikgesetz, und an das wolle man sich halten. „Wir halten die Lehrer dazu an, die Examen wie jedes Jahr mit ihren Schülern vorzubereiten, und hoffen, dass sie dann schlussendlich auch stattfinden können.“

Der Präsident des SEW, Patrick Arendt, sieht das etwas anders: „Wenn Lokführer Druck ausüben wollen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als keine Zugpassagiere mehr zu befördern. Bei Piloten sind es Flugpassagiere, die nicht befördert werden. Lehrer haben kein anderes Druckmittel, als keine Schule zu halten.“ Man habe seitens des SEW nicht vor, sich darüber auszulassen, ob der Examensboykott richtig oder falsch sei. „Das Wichtigste ist, dass wir zusammenhalten und an einem Strang ziehen“, so Arendt. Die Basis habe auf eindrucksvolle Art und Weise gezeigt, wie die Stimmung in den Schulen ist. Für den SEW-Präsidenten liegt der Ball jetzt bei Claude Meisch: „Wenn es zu einer Einigung kommt, werden sich alle freuen, dass die Examen stattfinden können.“

„Notfalls bietet die Schülerkonferenz ihre Dienste als Mediatorin an.“

Die Aussage des Premierministers bei seiner Budgetrede am 15. Oktober, man wolle im Sekundarschulunterricht nur noch die Stunden bezahlen, die auch tatsächlich geleistet werden, hatte heftige Reaktionen ausgelöst. Ein ganzer Berufszweig werde hier verunglimpft und dem Bild der LehrerInnen werde nachhaltig geschadet, ereiferten sich die drei Gewerkschaften.

Kurz darauf folgte dann die konkrete Ankündigung: Da die Examen in aller Regel schon im Mai stattfänden und die LehrerInnen von Abschlussklassen dementsprechend zwischen Mai und Juli keinen Unterricht mehr zu geben hätten, würden diese nicht geleisteten Stunden künftig auch nicht mehr vergütet. Die LehrerInnen sollten dann über das Jahr verteilt zusätzliche Stunden ableisten.

Nach dem Sturm der Entrüstung kommen jetzt konkrete Vorschläge von den Gewerkschaften: Man könne sich zum Beispiel vorstellen, die Abschlussexamen um einige Wochen zu verschieben. Das würde das Problem der bezahlten, aber nicht geleisteten Stunden aus der Welt schaffen und unter dem Strich auch Einsparungen ermöglichen, meint Daniel Reding, Apess. Camille Weyrich unterstützt diesen Vorschlag. Beide verweisen auch auf die Möglichkeit, Abschlussexamen statt wie bislang dreimal künftig nur noch zweimal korrigieren zu lassen. Lägen die Noten der jeweiligen Korrektur zu weit auseinander, könnte ja noch ein dritter Korrektor hinzugezogen werden.

Für Patrick Arendt vom SEW ist es vor allem wichtig, „dass nicht die Leute, die Schule halten, bestraft werden“. Sparpotenzial gäbe es zum Beispiel im administrativen Teil des Erziehungsbereichs, wo in den letzten Jahren ein „enormer Wasserkopf“ aufgebaut worden sei. Geld, das dort eingespart werden könnte, sollte aber dann wiederum für pädagogische Zwecke verwendet werden. „Umschichten“ sei angebracht, denn „es ist nicht sinnvoll, im Erziehungsbereich eine Sparlogik aufzubauen“. Aber dem Ministerium gehe es nahezu ausschließlich darum, die Arbeitszeit der LehrerInnen zu erhöhen, beziehungsweise die Bezahlung zu verringern. „Da sind wir aber nicht bereit, uns auf Kompromisse einzulassen“, betont Arendt.

„Wir haben dem Minister schon im April mitgeteilt, dass wir bereit sind, mit ihm zusammen das ganze Schulsystem unter die Lupe zu nehmen“ betont Féduse-Präsident Weyrich. „Herr Meisch schien im ersten Moment nicht abgeneigt, also haben wir angefangen, uns die nötigen Zahlen und Studien zu besorgen. Dann haben wir jedoch nichts mehr von ihm gehört.“ Bis zu der Ankündigung, künftig nur noch real geleistete Stunden vergüten zu wollen. Man habe bei dem darauffolgenden Gespräch mit dem Minister auch konkrete Sparvorschläge unterbreitet, zum Beispiel den, Abschlussexamen nur noch doppelt korrigieren zu lassen. „Daraufhin wurde uns geantwortet, darüber wolle man nicht weiter sprechen, weil das Sparpotenzial nicht hoch genug sei“ entrüstet sich Camille Weyrich.

„Das Ziel bleibt es, die Stunden zu bezahlen, die geleistet werden“

Beim Erziehungsministerium gibt man sich derweil bedeckt, was Alternativen zu den angekündigten Maßnahmen angeht. Vor dem Treffen mit den Gewerkschaften am 18. Dezember wolle man sich nicht zu deren Vorschlägen äußern. „Das Ziel bleibt es, die Stunden zu bezahlen, die geleistet werden“ betont die Pressestelle. Das, was an Arbeitsleistung erbracht wird, solle aber „à juste valeur“ entlohnt werden. In dem Sinne seien auch die Kompensationsvorschläge des Ministers zu verstehen. Um den SekundarschullehrerInnen entgegenzukommen, hatte Meisch vorgeschlagen, die Vorbereitungszeit für mündliche Examen in die wöchentliche Arbeitszeit einfließen zu lassen sowie die Bezahlung für Korrekturen nach oben hin aufzurunden – Maßnahmen, die laut den Gewerkschaften aber nicht ausreichen, den Zuwachs an Arbeit auszugleichen.

Für das Erziehungsministerium ist jedoch die Idee der Gewerkschaften, die Abschlussexamen zu verschieben, wahrscheinlich keine Lösung, da die SchülerInnen ihre Diplome frühzeitig benötigen, um sich an Universitäten anmelden zu können.

Während Claude Meisch sich am Montag, angesichts der 1.500 eingereichten Rücktrittsgesuche, erstaunt zeigte ob der Einigung, die man doch mit zwei von drei Gewerkschaften erzielt habe, stellt die Apess diese Einigung formell in Abrede. „Es gab keine Einigung, weder schriftlich noch mündlich“ betont Daniel Reding. „Es braucht schon eine gewisse Dreistigkeit, um das zu behaupten“. Man hätte eventuell in einigen Punkten einen Kompromiss finden können, aber nun habe sich der Minister diese Option durch „bewusst gestreute Fehlinformationen“ selber verbaut.

Auch bei der Féduse betont man, dass es zu keinem Zeitpunkt eine Einigung gab: „Man kann noch nicht einmal sagen, dass es danach aussah“ erklärt Camille Weyrich. „Wir haben zum ersten Mal konkrete Zahlen vorgelegt bekommen. Danach haben wir klar gemacht, dass es nun erst mal an unserer Basis sei, sich darüber auszusprechen.“ Der SEW seinerseits hatte schon gleich nach dem Treffen seine Unzufriedenheit mit den von Claude Meisch vorgeschlagenen Kompensationsmöglichkeiten deutlich gemacht. „Wir waren von Anfang an nicht einverstanden mit den Vorschlägen“, stellt Patrick Arendt klar.

„Wenn es zu einer Einigung kommt, werden sich alle freuen, dass die Examen stattfinden können.“

Auch im Erziehungsministerium spricht man jetzt nicht mehr von einer Einigung. Nur an so viel kann man sich erinnern, dass die Apess erklärt habe, mit den Vorschlägen prinzipiell leben zu können, aber vor allen weiteren Schritten noch ihre Basis konsultieren müsse. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Boykottaktion der 1.500 LehrerInnen ja von den Lehrerkomitees und nicht von den Gewerkschaften ausgegangen sei. Bleibt eine Frage: Hätten die Gewerkschaften Meischs Vorschläge auch ohne den Druck der Basis derart vehement abgelehnt?

 

 


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