KI in der Übersetzung, Teil 1: Mensch vs. Maschine?

Sprachmittler*innen sorgen sich: Die systematische Verwendung von KI im Übersetzungsbereich bringt viele Probleme mit sich. Trotzdem sehen einige Expert*innen keinen Anlass für übermäßigen Pessimismus.

KI wird den*die Humanübersetzer*in in der nächsten Zukunft wohl kaum verdrängen können. (Foto: Pexels)

Es ist wohl eine der spektakulärsten Übersetzungsleistungen aus dem Reich der Fiktion: Im Science-Fiction-Film „Arrival“ (2017) müssen die Linguistin Louise Banks und der Physiker Ian Donnelly die Schriftsprache der als „Heptapoden“ bezeichneten Aliens entschlüsseln, die auf der Erde gelandet sind. Banks gelingt es schließlich, die gewundenen Zeichen zu dekodieren – ein Beispiel überwältigender Translationskunst, die interstellare Kommunikation ermöglicht. Erschiene der Film heute, würde man den Wissenschaftler*innen womöglich dabei zusehen, wie sie mithilfe eines technologisch avancierten Programms die außerirdische Sprache entschlüsseln. Denn spätestens seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 hat sich unsere Wahrnehmung dessen, was Übersetzungsarbeit eigentlich bedeutet, geändert.

Die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) mitsamt ihrer globalen Breitenwirkung haben seismische Wellen ausgelöst, die viele Wirtschaftszweige erzittern lassen – auch aus Angst vor dem, was vielleicht noch kommen mag. Aus den Reihen diverser Branchenbeobachter*innen werden immer wieder Unkenrufe laut, die einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen prognostizieren. Besonders betroffen ist dabei die Sprachindustrie. Mitte Oktober schrieb die Süddeutsche Zeitung: „Keinen Berufsstand bedroht generative KI so unmittelbar wie den des Übersetzers.“ Professionelle Übersetzer*innen widersprechen dieser Behauptung vehement – und doch verbindet viele ein Gefühl des Unbehagens oder gar der Empörung. Sie kritisieren den oft unreflektierten Umgang mit KI-Technologien und befürchten die Verkümmerung des menschlichen Sprachvermögens sowie der Mehrsprachigkeit – immerhin scheinen raffinierte Übersetzungstools und generative KI das Erlernen fremder Sprachen obsolet zu machen.

Viele ungeklärte Fragen

In der 2024 erschienenen Ausgabe „Automatensprache“ der Literaturzeitschrift „Akzente“ rief die deutsche Literaturübersetzerin und Autorin Claudia Hamm dazu auf, der KI nicht sang- und klanglos das Feld zu überlassen: „Sehen wir die Technik als Spiegel unserer selbst, dann fragt sich, warum wir uns derzeit mit Sprache auf Knopfdruck ersetzen und unsere Hirne und Zungen damit stillstellen wollen sollten.“ Die menschliche Arbeit hinter dieser Chatbot-Sprache werde genauso bewusst kaschiert wie der Umstand, dass Nutzer*innen jeden vermeintlich kostenlosen Dienst mit ihren Daten bezahlten.

Die Zeitschriftenausgabe versammelt viele kritische Beiträge zum Einsatz der „Sprachroboter“ – unter anderem auch ein Auszug des „Manifests für menschliche Sprache“, einer Petition, die von mehreren Berufsverbänden von Übersetzer*innen gestartet wurde und auf der Plattform Change.org zu finden ist. Die Verfasser*innen stellen darin mehrere Forderungen. So soll die generative KI reguliert und die Anbieter*innen dazu verpflichtet werden, offenzulegen, welche urheberrechtlich geschützten Texte zum Training der Maschinen genutzt wurden. Die Urheberrechte sollen zudem stärker geschützt werden, KI-Inhalte gekennzeichnet und nur in Absprache mit Verlagen, Autor*innen und Übersetzer*innen generiert werden. Letztlich soll die Förderung der Technik nicht auf dem Rücken von kunstschaffenden Menschen und ihren Werken ausgetragen werden. Die Petent*innen unterstreichen: „Textgenerierende KI-Systeme können menschliche Sprache lediglich simulieren. Sie haben weder Gedanken noch Emotionen oder ästhetisches Empfinden, kennen keine Wahrheit, kein Weltwissen und keine Gründe für Übersetzungsentscheidungen.“

Der Faktor Mensch

Der Verband der Konferenzdolmetscher (VKD) im Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) sah ebenfalls Handlungsbedarf und veröffentlichte im vergangenen September ein Positionspapier zum Einsatz von KI beim Übersetzen von Texten. In ihrem Schreiben gehen die Übersetzer*innen auf einige ungelöste Probleme ein, die durch den vermehrten Gebrauch von KI-Systemen immer dringender werden. Neben den offenen Fragen, welche die Datensicherheit und das Urheberrecht betreffen, nennen sie auch das freie Erfinden („Halluzinieren“) oder Auslassen von Inhalten bei der Produktion von KI-basierten Texten als kritischen Punkt. Und nicht nur das: „Hinzu kommt das Einspeisen von im Internet massiv zunehmenden KI-generierten Texten, die ihrerseits potenziell bereits Fehler enthalten, womit diese im Prozess fortgeschrieben werden bzw. sich potenzieren. Dies hat zur Folge, dass die Qualität fremdsprachiger Texte bei frei zugänglichen Systemen im zeitlichen Verlauf zwangsläufig Qualitätseinbußen erleiden wird.“

„Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen.“

Mögliche Diskriminierung und Manipulation durch einseitig trainierte Maschinen, qualitativ minderwertige Übersetzungen von und in Sprachen, hinter denen keine Wirtschaftsmacht steht oder die kaum verschriftlicht sind, sowie fehlende Haftungsregelungen – auf all diese noch zu bewältigenden Probleme geht das Positionspapier ein. Die Verfasser*innen kommen zum Schluss: „Dem Faktor Mensch kommt in diesem Szenario an vielen Stellen eine nach wie vor entscheidende Rolle zu“.

Hybridisierung des Übersetzens

Der promovierte Translationswissenschaftler, Übersetzer und Dolmetscher Martin Will ist ebenfalls davon überzeugt, dass KI den*die Humanübersetzer*in so bald nicht ersetzen können wird. Als Gast der „Association luxembourgeoise des traducteurs et interprètes“ (ALTI), die ihrerseits keine offizielle Position zum Einsatz von KI vertritt, hielt er Anfang Dezember einen Vortrag über vergangene, aktuelle und zukünftige Translationstechnologien. Mit der woxx sprach er über die Stabilität der Sprachindustrie und die unangefochtene Prädominanz von Humanübersetzungen. Dabei berief er sich auf die aktuellen Daten zur internationalen Sprachdienstleistungsbranche des Marktforschungsunternehmens Nimdzi, nach denen der Sektor Jahr um Jahr ein Wachstum von rund 2,5 Prozent verzeichnet, wobei die maschinelle Übersetzung gerade einmal 5,9 Prozent des Dienstleistungsvolumens ausmacht. „Ich sehe da keine Umwälzung“, sagt Will. „Die maschinelle Übersetzung wird vielleicht stärker verwendet werden, aber sie wird nicht dazu führen, dass der Humanübersetzer verschwindet.“

Und doch verändert moderne Technik den Beruf des*der Übersetzers*in, doch das nicht erst seit der Einführung von KI-Systemen. „Was sicherlich schon seit Jahren der Fall ist und noch zunehmen wird, ist, dass eine Hybridisierung des Übersetzens stattfindet. Der Mensch wird mit der Maschine zusammenarbeiten“, sagt Will, der auch Unternehmen und Institutionen in Sachen KI und Translationstechnologie berät. In bestimmten Marktsegmenten und gerade bei der Übersetzung von fachlichen Texten werde die Maschine einen erheblichen Teil der Arbeit liefern und der Mensch als Kontroll- instanz die Ergebnisse lektorieren. Das sogenannte Post-Editing, also das Lektorieren maschinell übersetzter Inhalte, gehört übrigens schon zum Übersetzer*innenberuf seit der Entwicklung der CAT-Tools („Computer-Assisted Translation Tools“), Softwares mit Übersetzungsspeichern („Translation Memories“), die Übersetzer*innen bei ihrer Arbeit unterstützen. Die ersten CAT-Tools entstanden in den 1990er-Jahren, industriell genutzt werden sie seit 20 Jahren.

Vor- und Nachteile abwägen

Ist jede Sorge hinsichtlich der wachsenden Wichtigkeit von KI im Bereich der Übersetzungen damit unbegründet? Nicht ganz. Dass Übersetzer*innen zunehmend Lektorierungsarbeiten übernähmen, die als weniger komplex und zeitintensiv angesehen würden, führe dazu, dass ein Kostendruck entstehe und Preise verfielen. Das sei für oft freiberuflich tätige Übersetzer*innen, die bereits unter prekären Bedingungen arbeiteten, eine äußerst schwierige Situation. „Aber das ist ein menschliches Problem, kein maschinelles“, unterstreicht Martin Will.

Die Bedenken seiner Arbeits- kolleg*innen könne er nachvollziehen – und doch würde er jede Kritik gegenüber einem*r potenziellen Konkurrenten*in, in diesem Fall KI, kritisch sehen. „Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen“, sagt er. „In der öffentlichen Diskussion, insbesondere beim Übersetzen, gibt es zwei Lager. Das eine Lager sagt, dass wir gegenüber der KI verloren sind. Das andere Lager sagt, dass der Mensch einzigartig ist und die KI nie an uns heranreichen wird.“ Er sehe beide Lager und finde, dass sie über berechtigte Argumente verfügten. Aber: „Ich fände es wichtig, dass wir uns anschauen, welche Vor- und Nachteile es gibt.“

Mensch und Maschine könnten sich in ihren jeweiligen Schwächen und Stärken nämlich durchaus ergänzen. Das Arbeitstempo von KI sei beeindruckend, außerdem könne eine KI sich automatisch um die Formatierung des Textes kümmern – etwas, das den*die Humanübersetzer*in viel Zeit koste. Gleichzeitig sei das Know-how des Menschen dort wichtig, wo die KI versage. „Wenn in einem Text Humor und Mehrdeutigkeit ins Spiel kommen, kulturelle Vielschichtigkeit eine Rolle spielt, klingt die Übersetzung der KI hölzern und nicht flüssig“, meint der Wissenschaftler. Die menschliche Komponente bleibe beim Übersetzen also wesentlich. „Ich glaube nicht, dass der einfache Humanübersetzer von einer Maschine ersetzt werden wird, sondern von einem anderen Humanübersetzer, der sich mit diesen Technologien auskennt und sie einsetzen kann.“

 


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