Künstlerresidenz: „Als Musiker musst du weiterspielen“

Das Cube 521 brachte sie zusammen: Vier Jazzmusiker treffen in der Künstlerresidenz „Ermitage“ in Clervaux aufeinander, darunter Sasha Mashin und Makar Novikov aus Russland. Geht es statt Musik also auch um Politik?

Diese vier Jazzmusiker verbringen gemeinsam eine Woche in Clervaux: Sasha Mashin, Pol Belardi, Makar Novikov und Pierre Cocq-Amann (von links nach rechts). (COPYRIGHT: Cube 521)

Der luxemburgische Jazzmusiker und Komponist Pol Belardi hält als Erster sein Gesicht in die Kamera und grüßt; schon bald stoßen drei weitere Musiker dazu: Das Videogespräch zwischen der woxx und den vier Jazzern, die an der einwöchigen Künstlerresidenz „Ermitage“ des Kulturzentrums Cube 521 teilnehmen, beginnt in ausgelassener Stimmung. Belardi (Vibraphone und Klavier), Pierre Cocq-Amann (Saxophon), Sasha Mashin (Schlagzeug) und Makar Novikov (Kontrabass) quetschen sich zum Interview auf ein Sofa. Sie haben gerade die ersten gemeinsamen Probestunden hinter sich, sind zufrieden mit dem Ergebnis. Doch bereits bei der kurzen Vorstellungsrunde wird deutlich, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten der einzelnen Musiker sind.

Sasha Mashin und Makar Novikov stammen aus Russland. Mashin zählt zu den bekanntesten Schlagzeugern der russischen Jazzszene; Novikov zu einem der gefragtesten Kontrabassist*innen der internationalen Jazzwelt. Zwei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sind beide nach Italien geflüchtet und haben dort Asyl beantragt. Vor allem Mashin hält sich nicht mit Kritik an der russischen Regierung zurück. „Was in Russland und der Ukraine passiert, ist inakzeptabel“, sagt er. Der Angriffskrieg sei sinnlos. „Ich halte Russlands Präsidenten und andere Regierungsmitglieder für Kriegsverbrecher und hoffe, dass sie sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssen.“

Mashin holt weiter aus und betont, nicht alle Russ*innen unterstützten Vladimir Putin. Es sei ihm wichtig, das laut und immer wieder auszusprechen. „Die Situation in Russland verschlechtert sich seit 2014 [An.d.R.: Annexion der Krim] und seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine“, beobachtet er. „Die russische Kulturszene steckt in Schwierigkeiten. Wir erleben eine neue Form des Eisernen Vorhangs: Menschen in Russland ist es unmöglich, das Land zu verlassen – und umgekehrt. Es ist schwer, internationale Projekte durchzuführen, zu reisen.“

Novikov und er seien glücklich, es nach Italien geschafft zu haben. Sie seien jetzt nicht nur frei, zu reisen, sondern auch öffentlich ihre Meinung zu teilen. Novikov nickt gelegentlich zustimmend, hält sich sonst jedoch mit Wortmeldungen zurück. „Doch tausende andere großartige Künstler haben dieses Glück nicht“, so Mashin. „Ganz zu schweigen von all den unschuldigen Menschen, die im Zuge des Konflikts auf beiden Seiten getötet werden. Nicht jeder russische Soldat kämpft freiwillig an der Front; doch gegen das Regime vorzugehen, kann dich dein Leben kosten.“

Die anderen Musiker halten nach Mashins Aussagen einen Augenblick inne. Pol Belardi spricht schließlich von einem Gefühl der Ohnmacht gegenüber politischen Konflikten. Er selbst spielte 2018/2019 in der Ukraine, pflegt weiterhin den Kontakt zu Freund*innen vor Ort. „Ich halte mich immer zurück, eine starke Meinung zu politischen Konflikten wie diesem zu äußern, weil ich nie sicher bin, wie objektiv die Informationen sind, die ich erhalte“, sagt er. „Doch es ist hart, Nachrichten von ehemaligen Festivaldirektoren aus der Ukraine zu erhalten, die jetzt eine Militäruniform tragen.“ Künstler*innen bleibe am Ende nur übrig, sich gegenseitig zu unterstützen. Die Ausladung russischer Künstler*innen bei Festivals findet Belardi „furchtbar“, wenn das Motiv allein ihre Herkunft ist. „Aber natürlich ist es heikel, wenn weltberühmte Sängerinnen wie Anna Netrebko sich öffentlich zu Putin bekennen. In dem Fall kann ich nachvollziehen, dass ihr keine Plattform geboten wird.“

„Die russische Kulturszene steckt in Schwierigkeiten. Wir erleben eine neue Form des Eisernen Vorhangs.“

In Luxemburg kam es 2022 in dem Kontext zu einer Polemik: Die Verantwortlichen des Luxembourg City Film Festivals und das Kulturministerium beschlossen unter anderem „Gerda“ von Natalya Kudryashova aus dem offiziellen Wettbewerb auszuschließen. Georges Santer, Präsident des Luxembourg City Film Festivals, argumentierte damals, das russische regierungsnahe Erdgasförderunternehmen Gazprom habe „Gerda“ finanziert. Kudryashovas Sieg könne demnach von der russischen Regierung zu Propaganda instrumentalisiert werden.

Auch wenn Mashin und Novikov noch nie irgendwo ausgeladen wurden, begegnen sie dennoch Hürden aufgrund ihrer Lebenssituation. Während Novikov vor allem über den privaten und professionellen Neuanfang spricht, den die beiden in Italien wagen müssen, thematisiert Mashin die ständige Angst, die regierungskritische Künstler*innen aus Russland begleitet. „Wir müssen uns ständig fragen: Ist es sicher, in dieses Land zu reisen? Denken Sie an die regierungskritische russische Rockband „Bi-2“: Die Mitglieder wurden nach einem Konzert in Phuket verhaftet, weil sie keine gültigen Arbeitsdokumente hatten“, nennt Mashin ein Beispiel. „Die russische Botschaft vor Ort versuchte ihre Rückführung zu erzwingen, obwohl die Bandmitglieder inzwischen alle im Ausland wohnen. Es ist gemeinhin bekannt, dass die russische Regierung auf diese Weise regierungskritische Künstler und Künstlerinnen jagt, auch wenn die längst im Ausland arbeiten.“ Novikov und er fühlten sich zwar momentan in Sicherheit, doch wüssten sie nie, was als Nächstes kommt.

Pol Belardi fügt Mashins Aussagen hinzu: „Politische Konflikte und Terrorangriffe haben einen Einfluss auf die mentale Gesundheit.“ Er selbst sei beispielsweise zutiefst schockiert gewesen, als er im Oktober 2023 von den Angriffen im Rahmen des Psytrance-Festivals „Supernova Sukkot Gathering” in Israel hörte. An dem Tag griff die Hamas Israel an. Auf dem Gelände des Festivals kamen über 300 Menschen ums Leben, vierzig wurden als Geiseln in den Gazastreifen entführt.

Ein weiteres Ereignis, das Belardi prägte, waren die Attentate in Paris im November 2015, unter anderem auf die Konzerthalle Bataclan. „Ich habe zwei, drei Tage später in Paris gespielt: Es fiel mir schwer, auf die Bühne zu steigen und mich zu entspannen“, erinnert Belardi sich. „Ich hielt ständig Ausschau nach Gefahren. Aber als Musiker musst du weiterspielen, sonst gewinnen die Terroristen und erreichen ihr Ziel: Angst säen und die Gesellschaft zerstören.“

Die Musiker sind sich einig, dass die politische Weltlage zweifelsfrei einen Einfluss auf ihre Arbeit, ihre Zusammentreffen hat. In der Residenz des Cube 521 soll es am Ende aber vor allem um eins gehen: die Musik. Die Stimmung der Musiker steigt auch spürbar, als sie im Interview von der Politik zur Musik übergehen. Darauf angesprochen, was sie sich zum Ziel gesetzt haben, antwortet Belardi knapp und grinsend: „Eine gute Show.“ Pierre Cocq-Amann, der weltweit und in den unterschiedlichsten Projekten als Saxophonist aktiv ist, führt das weiter aus: Die Gruppe wolle neue Musik produzieren; jeder habe Ideen mitgebracht. „Residenzen wie diese haben oft den Nachteil, dass daraus einmalige Projekte entstehen“, sagt er. „Wir hoffen jedoch, dass wir weiterhin zusammenarbeiten können und diese Band bestehen bleibt. Wir haben heute nur für ein paar Stunden geprobt und ich bin schon jetzt zuversichtlich, dass wir am Samstag ein tolles Set spielen können.“ An dem Tag, dem 17. Februar um 20 Uhr, findet im Cube 521 das Abschlusskonzert im Rahmen der Residenz statt.

(COPYRIGHT: Suvan Chowdhury/Pexels)

Was das Publikum dann erwartet, wissen die Musiker beim Austausch mit der woxx allerdings noch nicht. Im Vorfeld abgesprochen haben sie sich nicht, heißt es von Cocq-Amann. „Wir wollten uns zuerst treffen und sehen, wohin uns das führt“, sagt er. „Wir sind alle Improvisatoren: Wir ziehen es vor, nicht jeden Schritt durchzuplanen.“ Belardi geht stark davon aus, dass die Instrumente den Ton und Stil angeben, Novikov stimmt ihm zu. „Wir spielen alle mehrere Instrumente, das heißt wir sind flexibel“, meint er. „Wir müssen herausfinden, welche Konstellation am besten passt.“ Erwartet er modernen Jazz, verspricht sich Belardi Swing, Groove, moderne Harmonien und viel Impro – „Jazz Plus“, wie er es nennt.

Auf die Frage, ob die Zusammenarbeit mit solch unterschiedlichen Musikern auf engem Raum auch Nachteile mit sich bringt, geraten die vier Männer kurz ins Stocken, antworten dann aber fast schon einstimmig: Nein. „Wenn du auf Tour bist, hast du normalerweise kaum Zeit, zu proben, Soundchecks durchzuführen oder die Bühne an deine Bedürfnisse anzupassen“, so Cocq-Amann. „Oft bist du schon erschöpft, bevor du auf die Bühne steigst, weil du ständig unter Druck stehst. Es ist demnach angenehm, sich eine ganze Woche auf das Abschlusskonzert vorbereiten zu können.“

Residenzen wie diese gebe es in Luxemburg immer öfter, beobachtet derweil Belardi. „Die Kulturzentren in Luxemburg leisten eine gute Arbeit und haben in den letzten Jahren erkannt, wie wichtig Residenzen sind“, sagt er. „Im Vergleich zum Ausland genießen wir in Luxemburg außerdem den Vorteil, dass sich nur wenige auf einen Platz bewerben.“ Belardi ermutigt deshalb alle Künstler*innen, aber besonders jüngere Musiker*innen, für Residenz-Programme zu kandidieren. „Wir sollten es nicht als Selbstverständlichkeit verstehen, wie viel Arbeit die regionalen Kulturzentren in diese Programme stecken“, unterstreicht Belardi, „und ihre Unterstützung annehmen.“

Artist Rendezvous, am Samstag, dem 17. Februar um 20 Uhr im Cube 521 (1, Driicht, Marnach). Weitere Informationen unter cube521.lu

Die Künstler*innenresidenz „Ermitage“ befindet sich in Clervaux. In jeder Spielzeit legt das Team des Cube 521 den Fokus auf eine andere Kunstrichtung und lädt entsprechend Künstler*innen zur einwöchigen Residenz ein. Je nach Kunstform endet die Residenz mit einer Aufführung oder Ausstellung im Kulturzentrum in Marnach. Die Jazzmusiker, die sich aktuell an der Residenz beteiligen, hat die Leiterin des Kulturzentrums, Christine Keipes, ausgesucht. Hauptkriterien waren für sie das musikalische Talent der Künstler sowie ihre Kompatibilität.


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