2018 trat der Kulturentwicklungsplan in Kraft. Was ist der Stand zur Halbzeit? Die Zwischenbilanz des Kulturministeriums und der Dachverbände.

Das luxemburgische Kulturministerium: Wie schreitet hinter verschlossenen Türen die Umsetzung des Kulturentwicklungsplans voran und was sagt das Ministerium zu rezenten Polemiken im Kulturbereich? (Copyright: GilPe, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)
Geschlossene Kulturinstitutionen während der Corona-Pandemie, ein durchwachsenes „Esch2022“, Polemiken um das alternative Kunstzentrum Bâtiment4 in Esch: In Sachen Kulturpolitik gab es in den letzten Jahren und Monaten einige Herausforderungen. Nebenbei wurde an der Umsetzung des nationalen Kulturentwicklungsplans (Kep) gearbeitet, der 2018 unter dem damaligen Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Guy Arendt (DP), verabschiedet wurde. Letzte Woche zog die amtierende Kulturministerin Sam Tanson (Déi Gréng) eine Zwischenbilanz.
Bisher wurden 60 Prozent des Keps umgesetzt. Die Liste der abgeschlossenen Forderungen ist dementsprechend lang und kleinteilig, doch hier einige rezente Entwicklungen: Im Juni 2022 wurde eine „Charte de déontologie“ eingeführt, die unter anderem den Umgang mit Kulturschaffenden definiert, etwa ihre angemessene Bezahlung nach Vorgaben aus dem Sektor oder die Berücksichtigung der Chancengleichheit. Mehr als 126 Kultureinrichtungen haben diese laut Ministerium bis dato unterzeichnet. Ende 2022 wurden darüber hinaus die Richtlinien zum Erhalt von Unterstützungsgeldern angepasst und der Sonderurlaub „congé culturel“ nach seiner Abschaffung 2014 in veränderter Form wieder eingeführt. Die woxx berichtete ausführlich über die entsprechende Debatte in der Abgeordnetenkammer. Letztere ernannte die Museen Casino und Mudam, das Théâtre national du Luxembourg sowie die Rotondes und das Choreografiezentrum Trois C-L am vergangenen Donnerstag außerdem zu öffentlichen Institutionen. Das verhilft den Strukturen nach Angaben des Ministeriums zu einer sicheren legalen Grundlage, einer „gestion adaptée au regard de leurs missions de service public“ und einer staatlichen Mitfinanzierung.
Stichwort Finanzen: Das Kulturbudget ist im Vergleich zur vorangehenden Legislaturperiode um 26 Prozent gestiegen und beträgt dieses Jahr 183 Millionen Euro – macht damit aber immer noch weniger als ein Prozent der Staatsfinanzen aus. Nichtsdestotrotz schloss das Kulturministerium 2023 mehr Abkommen mit Kulturakteur*innen ab als noch 2018: Damals unterhielt es 49 Konventionen, dieses Jahr sind es 126 in Höhe von 74,8 Millionen Euro (Stand: 3. Juli 2023). Davon betreffen vier öffentliche Institutionen, zehn Gemeinden und 112 Kulturverbände.
Eine der Konventionen ist die mit frEsch, einer Kulturorganisation der Gemeinde Esch. Diese sorgte zuletzt durch intransparente Finanzen und den fragwürdigen Umgang mit Kulturschaffenden aus dem Bâtiment4, das frEsch mitverwaltet, für Schlagzeilen. Das Kulturministerium stellt frEsch dieses Jahr eine halbe Million für den Unterhalt des Bridderhaus und der Konschthal zur Verfügung. Eine detaillierte Jahresbilanz der Organisation liegt im Handels- und Firmenregister bis heute nicht vor.
„Das Kulturministerium behält die Situation im Auge, greift aber nicht in die internen Konflikte zwischen der Gemeinde Esch und den Verbänden ein.“
Auf die Polemik in Esch angesprochen schreibt das Kulturministerium der woxx: „Das Kulturministerium behält die Situation im Auge, greift aber nicht in die internen Konflikte zwischen der Gemeinde Esch und den Verbänden ein.“ Wer wacht also darüber, dass die Gelder des Ministeriums dort ankommen, wo sie sollen? Mitarbeiter*innen des Ministeriums, die jeweils die Dossiers betreuen, die in ihren Kompetenzbereich fallen. „Das reicht von der Nachverfolgung reglementierender Prozeduren, der Kontrolle der Budgets, der Bilanzen und Berichte, bis hin zum regelmäßigen Austausch vor Ort oder im Gespräch mit dem Ministerium“, präzisiert das Kulturministerium.
Die Konvention mit frEsch sei auf ein Jahr ausgelegt, Ende 2023 werde sie wahrscheinlich durch einen „pacte culturel“ – eine Forderung aus dem Kep – ersetzt. Damit wäre Esch die erste Gemeinde, die einen entsprechenden Pakt mit dem Ministerium schließt. „Es geht darum die einzelnen Abkommen mit der Gemeinde (Konservatorium, Theater, Konschthal und Bridderhaus) mittels einer einzigen Konvention zu bündeln und sowohl die Missionen des Ministeriums als auch die der Gemeinde zu klären“, so das Kulturministerium.
Allgemein scheinen die Forderungen, die kommunale Kulturpolitik betreffen, keine Priorität bei der Umsetzung des Kep zu sein: Bisher haben beispielsweise nur die Gemeinden Esch (2017) und Differdingen (2018) kommunale Kulturentwicklungspläne publiziert, Gespräche mit der Kulturabteilung der Stadt Luxemburg fanden 2020 statt. Das, obwohl Gemeinden und interkommunale Syndikate im Kep (Empfehlung 39) explizit dazu ermutigt werden und die Minett-Region letztes Jahr immerhin die europäische Kulturhauptstadt stellte.

Foto: Swedish Presidency of the Council of the EU, CC BY-NC-ND 2.0
Das Kulturministerium verweist auf die Autonomie der Gemeinden: „Die Gemeinden können sich im Bereich Kultur so aufstellen, wie sie das für richtig halten.“ Nicht für jede Gemeinde eigne sich ein entsprechender Plan, nicht alle verfügten über dieselben finanziellen Mittel. „In Esch sehen wir jedoch, was für einen Unterschied es macht, wenn eine Gemeinde einen strategischen Kulturentwicklungsplan verfolgt“, schreibt das Kulturministerium. Der Escher Kulturentwicklungsplan „Connexions II“ gibt die Strategie bis 2027 vor und wurde zuletzt im Oktober 2022 überarbeitet.
Was die finanziellen Mittel angeht, hält der Kep selbst einen Lösungsansatz (Empfehlung 61) bereit, der jedoch nur zu zehn Prozent umgesetzt wurde: die Einrichtung eines Fonds zur regionalen Kulturentwicklung. „Es gibt keinen festen Zeitplan, wann welche Empfehlung umgesetzt werden soll oder muss – der Kep erstreckt sich über zehn Jahre“, rechtfertigt das Kulturministerium dies auf Nachfrage der woxx. „Es gibt in diesem Zusammenhang dennoch Fortschritte: Das Kulturministerium hat eine „ligne budgétaire“, um Gemeinden finanziell beim Bau von Kulturinfrastrukturen unter die Arme zu greifen.“ Dies sei kürzlich auf der Website des Ministeriums kommuniziert worden. Über diesen Weg flossen 2022 über 9 Millionen Euro in die Gemeindekassen.
Momentan arbeite das Ministerium auch an Fünfjahresplänen für die kommunale Kulturförderung, nach Vorbild des „plan quinquennal des infrastructures touristiques“. Im Kulturpodcast der woxx forderte Maxime Bender, Direktor des Trifolion Echternach und Präsident des regionalen Kulturverbands „Réseau“, im Mai genau das: Bender bedauerte im Gespräch über kommunale Kulturpolitik, dass es aufgrund jährlich verhandelter Konventionen an Planungssicherheit fehle, die besonders den Arbeitsalltag kleiner, regionaler Strukturen erschwere.
Das Kulturministerium räumt in Bezug auf die vergleichsweise schleppenden Fortschritte in Sachen kommunale Kulturpolitik schließlich ein: „Die Kulturschaffenden waren von der Pandemie am stärksten betroffen und deswegen hat das Ministerium beschlossen, den Fokus auf die Empfehlungen zum Künstlerstatut, der Professionalisierung und der Strukturierung des Sektors zu legen und deren Umsetzung zu priorisieren.“
So nannte Sam Tanson den engen Austausch mit den Kulturschaffenden im Zuge der Zwischenbilanz eine der größten Errungenschaften der letzten Jahre. Kulturelle Dachverbände wie die Theater Federatioun, die Associa- tion des artistes plasticiens du Luxembourg (AAPL) und die Association luxembourgeoise des professionnels du spectacle vivant (Aspro) bestätigen dies der woxx gegenüber und offenbaren, viele ihrer Forderungen seien seit 2018 umgesetzt worden.
Die Theater Federatioun nennt die meisten Beispiele, darunter die Aufstockung des Personals in kleinen Theatern, die Einführung einer „aide structurante“ für Theaterkompanien oder die Anpassung des „régime fiscal“ für die Künstler*innen sowie für die Produktionsstätten und Kultureinrichtungen. Seit 2020 gilt für den Sektor der Bühnenkunst eine niedrige TVA von drei Prozent für die Künstler*innen und die betroffenen Strukturen, was die Theater Federatioun begrüßt. Genauso wie die Tatsache, dass es inzwischen über dreißig Konventionen zwischen dem Kulturministerium und Theatern gebe: 2018 beliefen sich die Abkommen auf 11,5 Millionen, 2023 auf 13,8 Millionen Euro.
Trotzdem bedauert die Theater Federatioun, dass dem Theatersektor 2021 beispielsweise nur 6,28 Prozent der staatlichen Beihilfen und Subventionen des Kulturministeriums zukamen, dem Tanzsektor sogar lediglich 1,22 Prozent. „Les structures ont besoin de plus de moyens financiers pour embaucher de nouveaux salariés – et éviter ainsi un certain épuisement des équipes, comme cela est ressenti dans plusieurs structures –, pour mieux rémunérer leurs équipes, pour mieux rémunérer les artistes et les intermittents du spectacle“, schreibt sie.
Ein erster Schritt wäre die automatische Anpassung der Konventionen an den Index, sowohl vonseiten des Kulturministeriums als auch vonseiten der Gemeinden. Eine Forderung, die auch Maxime Bender im Kultur- podcast stellte, vor allem im Hinblick auf die Energiekrise. Das Kulturministerium entgegnet darauf: „Die Konventionen werden regelmäßig erhöht; zwischen 2022 und 2023 global betrachtet um 12,65 Prozent. Doch jede unterstützte Struktur ist anders: Die einen müssen ein Haus verwalten und haben dadurch schwankende Energiekosten; die anderen verfügen über mehr Personal.“ Die Erhöhungen würden deswegen individuell an die Strukturen angepasst.
„Un long chemin reste à faire pour que les productions inclusives fassent partie intégrante du paysage culturel luxembourgeois“
Positiv wertet die Theater Federatioun, dass seit 2018 viele Organisationen und Verbände gegründet worden sind. Das treibe die Strukturierung des Sektors voran, sorge für bereichernde Versammlungen. Der Bereich der Bühnenkunst habe gemeinsam mit anderen Akteur*innen wichtige Themen angehen können, wie den Umgang mit den Lockdowns im Rahmen der Corona-Pandemie und die Wiedereröffnung der Kultureinrichtungen, aber auch Fragen nach der Ressourcenverwendung. Diese beschäftigt auch die Aspro, die sich dafür Weiterbildungen und eine Ansprechperson beim Kulturministerium wünscht. Die Theater Federatioun arbeitet zurzeit nachhaltige Konzepte aus, wie einen nationalen Fundus für Theatermaterialien. Auf der Agenda des Verbands stehen weitere gesellschaftsrelevante Themen, so auch der Machtmissbrauch im Kultursektor. Dazu fand im November 2022 die Debatte „Unmute Power Abuse“ der Theater Federatioun, des Trois C-L und der Abtei Neumünster statt.
All dies sind Punkte, zu denen im Kep selbst nichts steht. Nur in der Charta für die Kultureinrichtungen tauchen Themen wie Ressourcenschonung und Gleichstellung auf. „Das Ministerium interessiert sich und setzt sich für alle Themen ein, die von der Kulturszene an es herangetragen werden“, versucht das Kulturministerium die Lücken zu erklären. „Momentan arbeiten wir mit dem Justizministerium an einer einheitlichen Herangehensweise, was die Anlaufstelle für Betroffene von Missbrauch in der Szene betrifft.“ Der Bedarf für eine solche Stelle wurde während der Konferenz „Unmute Power Abuse“ deutlich.
Die Verbände nennen viele weitere Baustellen, eine davon erkennt auch das Kulturministerium: das Publikum. Zwar ermögliche der Kulturpass, der 2010 eingeführt wurde, Besucher*innen ohne oder mit niedrigem Einkommen den Zugang zu Kultur, doch beweise die Studie „Le public des musées en 2020“, dass Geld allein nicht über den Kulturgenuss entscheide. Die woxx analysierte die Studien- ergebnisse nach ihrer Veröffentlichung und hob hervor, dass Arbeiter*innen beispielsweise tendenziell eher regionale Kultureinrichtungen besuchen. Die Dachverbände sorgen sich ebenso um Inklusion und Diversität, aber auch um die Anzahl der Besucher*innen allgemein. So schreibt die Theater Federatioun, die Hallen seien längst nicht mehr so voll, wie noch vor den Ausgangssperren im Zuge der Corona-Pandemie.
Die Aspro geht einen Schritt weiter und meint: „La diversité et lʼinclusion au niveau des publics seront tout aussi important quʼau niveau des artistes. Un long chemin reste à faire pour que les productions inclusives fassent partie intégrante du paysage culturel luxembourgeois et que les artistes avec besoins spécifiques aient leur place sur nos scènes de spectacle professionnelles.“ Zwar gibt es in dem Kontext einzelne Initiativen, wie das landesweite Netzwerk „Mosaik Kultur Inklusiv“ für mehr Inklusion in der Kultur, doch stellen diese nach wie vor Ausnahmen dar.
Was in den verbleibenden fünf Jahren Prioritäten bei der Umsetzung des Kep sein werden, entscheidet nicht zuletzt der Ausgang der Parlamentswahlen im Oktober. Das Kulturministerium unter der Leitung von Sam Tanson ist hingegen überzeugt, dass ein politischer Wechsel den Kultursektor nur bedingt trifft, denn: „Wir haben in dieser Legislaturperiode viel daran gearbeitet, unsere Häuser zu stabilisieren und zu professionalisieren.“
3 Zahlen zur Kulturpolitik
126 Konventionen unterhält das Kulturministerium momentan
74,8 Millionen Euro werden so an Kulturakteur*innen ausgeschüttet
183 Millionen Euro beträgt das Kulturbudget 2023, also weniger als ein Prozent der gesamten Staatsfinanzen
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