Studie zu Museumsbesuchen: „Hinterfragt euch“

Wer besucht in Luxemburg Museen? Aus welchen Gründen tun andere es nicht? Und was unternehmen Museumsleiter*innen gegen soziale Barrieren? Eine Analyse der kürzlich veröffentlichten Studie „Le public des musées en 2020“.

Ist die gehobene Mittelschicht allein in den Museen? Das legen die Studienergebnisse des Liser nahe. (© Pixabay)

„Besonders erfreulich ist (…), dass die Kolonialismus-Ausstellung (…) viele Besucher anzieht, die nicht altluxemburgischer Abstammung sind“, schreibt Michel Pauly, Historiker, in einem Artikel über Politik im Museum im Juli-Heft des Magazins Forum. Gemeint ist die Schau „Le passé colonial du Luxembourg“ des Nationalmuseums für Geschichte und Kunst. Was Pauly anmerkt, scheint jedoch kein Einzelfall zu sein: Das offenbart die Studie „Le public des musées en 2020“, die das Forschungsinstitut Liser und das Kulturministerium, das die Studie im Zuge der Umsetzung des Kulturentwicklungsplans in Auftrag gab, letzte Woche vorstellte.

Im Juni 2021 riefen die beiden Instanzen ausgewählte Bewohner*innen Luxemburgs per Post dazu auf, sich an einer Online-Befragung zu Museumsbesuchen zu beteiligen. Unter Museum wird in der Studie jede Institution verstanden, die Dauer- oder Wechselausstellungen zeigt. Das sind, nach Erhebungen von 2009 und 2016, bis zu 80 Einrichtungen. 1.995 digitale Fragebögen kamen zurück.

Die Zahlen sprechen für sich: 74 Prozent der EU-Bürger*innen, die weder die luxemburgische noch die portugiesische Nationalität besitzen, besuchen die Museen, wohingegen nur 58 Prozent der Luxemburger*innen und 43 Prozent der Portugies*innen sich in die Ausstellungshäuser wagen. Bei den Museumsbesucher*innen handelt es sich vornehmlich um Menschen, die selbst oder deren Eltern mindestens ein Hochschulstudium absolviert haben.

Das überrascht Guy Thewes, Vize-
präsident vom International Council of Museums (Icom) Luxembourg, nicht. „Es gibt soziale Barrieren“, hält er im Gespräch mit der woxx fest. „Das ist keine neue Erkenntnis, aber es ist wichtig, das nochmal zu betonen.“ In den luxemburgischen Museen gibt es seines Wissens bis dato dennoch keine Beauftragten für Diversität, wie es beispielsweise in Deutschland immer öfter der Fall ist. Hierzulande würden in der Regel die Abteilungen für Kulturvermittlung diesen Part übernehmen – und diese könnten ruhig noch stärker besetzt werden, so Thewes. „Es ist eine Umverteilung nötig: Die Abteilungen, die mit dem Publikum interagieren, werden immer wichtiger“, sagt er. „Die Machtverhältnisse in den Museen verschieben sich.“ Noch dazu seien inzwischen andere Bewerbungsprofile relevant als früher. „Ist es die klassisch ausgebildete Kulturhistorikerin, die partizipative und inklusive Projekte in Stadtvierteln durchführt?“, fragt Thewes. „Das fällt schon fast unter Sozialarbeit. Bei solchen Projekten sind andere Kompetenzen gefragt.“

Unabhängige Künstler*innenkol-
lektive, wie zum Beispiel Richtung22 oder Cueva, um nur zwei zu nennen, setzen den institutionellen Angeboten etwas entgegen. Ihre Projekte und Ausstellungen sind meist frei zugänglich und greifen mal mehr, mal weniger subtil Themen auf, die nicht nur Kulturliebhaber*innen bewegen. Das trägt aktiv zur Demokratisierung der Kulturvermittlung bei. Thewes hält solche Bestrebungen für wichtig und nimmt sie nicht als Konkurrenz wahr. Er überlegt im Austausch mit der woxx gar laut, Kollektiven und Vereinigungen Ausstellungsflächen in Museen für vereinzelte Projekte zur Verfügung zu stellen.

Wo stehen Museen im Leben der Besucher*innen und welche Rolle spielt das Publikum 
für die Häuser? (© Lisett Kruusimäe)

Akademiker*innen in 
der Stadt, Arbeiter*innen auf dem Land

Was auffällt: Die soziale Kluft zwischen den Besucher*innen macht sich vor allem in den hauptstädtischen Museen bemerkbar. An einer Stelle der Studie heißt es, dass Arbeiter*innen, Handwerker*innen und Landwirt*innen besonders die Museen ihrer Region besuchen. Außerdem sind luxemburgische und portugiesische Bürger*innen stärker unter den Besucher*innen regionaler Museen vertreten.

Warum allgemein jedoch noch nicht einmal die Hälfte der portugiesischen Befragten ins Museum geht, ahnt Thewes und erkennt die eigene Verantwortung: „Wir sprechen diese Gruppe unzureichend an. Wir verstecken uns noch zu sehr hinter unseren eigenen vier Wänden: Wir müssen stärker auf die Menschen zugehen.“ Er führt ein Beispiel aus Frankfurt an: Das Historische Museum rief dort 2010 das Stadtlabor ins Leben und organisierte bis 2017 Ausstellungen an untypischen Orten, wie etwa in einem Freibad oder in einem stillgelegten Autohaus. Die Stadtbewohner*innen wurden durch begleitende Projekte eingebunden. Thewes räumt ein, dass zumindest das Luxembourg City Museum – er leitet das Museum – in diesem Bereich noch einen weiten Weg vor sich hat: „Wir haben bisher nur punktuell solche Aktionen durchgeführt und waren für ein, zwei Tage an einem anderen Ort als im Museum präsent – doch in zwei Tagen baut man keine Bindung zu einem neuen Publikum auf.“

Die Angebote der regionalen Museen nennt er niederschwellig, leichter zugänglich, als die der Häuser in der Hauptstadt. „Das Programm der hauptstädtischen Museen ist elitär oder wird zumindest von den Nicht-Besuchern als solches wahrgenommen, das muss man zugeben“, sagt er. Trotzdem gehören sie zu den meistbesuchten Häusern. 70 Prozent der Museumsgänger*innen besuchen Museen in Luxemburg-Stadt, nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen besucht auch regionale Museen. Sind diese also dem Tode geweiht? Das verneint Thewes: „Die Museen in Luxemburg-Stadt sind große Infrastrukturen mit mehr Mitteln – regionale Museen sind oft kleine Häuser, die von Freiwilligen gegründet wurden und geführt werden, um ein kulturelles Erbe aufrechtzuerhalten. Natürlich müssen sie sich professionalisieren: Es müssen Synergien geschaffen werden, denn nicht jede kleine Struktur hat die Kapazitäten, um allen Ansprüchen, die an Museen gestellt werden, gerecht zu werden.“

Dafür wurde Icom Luxembourg vor wenigen Jahren umstrukturiert: Es gibt inzwischen eine Koordinationsbeauftragte, Laura Zaccaria, und es wird an Weiterbildungsangeboten sowie an der Vernetzung gearbeitet. Auch für Monique Borsenberger und Nathalie Lorentz, Leiterinnen der Studie, sagen die Ergebnisse kein Ende der regionalen Museen voraus: „Luxembourg-Ville regroupe les musées nationaux et les plus grandes institutions muséales du pays. Situées dans la capitale, ces infrastructures bénéficient aussi d’une plus grande notoriété, il est donc attendu qu’elles soient davantage fréquentées et plus souvent visitées que les musées régionaux.“ Darüber hinaus seien vor allem Kunst- und Geschichtsmuseen beliebt, unabhängig von ihrem Standort.

Sowohl die Studienleiterinnen als auch der Vizepräsident der Icom Luxembourg bewerten die Resultate der Studie allgemein positiv. 2009 besuchten 50 Prozent der Befragten die Ausstellungshäuser, 2020 waren es 60 Prozent. Die luxemburgischen Museen schneiden im internationalen Vergleich gut ab, wie Borsenberger und Lorentz im E-Mail-Verkehr mit der woxx hervorheben: „Cette proportion est bien supérieure à la moyenne UE qui s’établissait à 50 pour cent en 2017. Toujours en 2017, le Luxembourg se situait en septième position des pays membres concernant la fréquentation des musées, à égalité avec le Royaume-Uni (61 pour cent) et devant ses voisins allemand (56 pour cent), belge (51 pour cent) ou français (49 pour cent).“

CC BY Robert Glod NC-ND 2.0

„Vielleicht gibt es in hundert Jahren keine Museen mehr“

Thewes gibt sich damit aber nicht zufrieden, denn die Studie vermittle den Museumsleiter*innen ganz klar: „Eure Zahlen sind gut, aber ihr erreicht große Teile der Bevölkerung nicht. Hinterfragt euch. Strengt euch an. Findet Wege, um ein anderes Publikum anzusprechen.“ Manchmal sei es wichtiger, Menschen überhaupt zum ersten Mal ins Museum zu locken, als Blockbuster-Ausstellungen mit über 30.000 Besucher*innen verbuchen zu können.

Aus der Studie geht in der Tat hervor, dass die Menschen, die über den gesteckten Zeitraum nicht ins Museum gingen, nichts an der Qualität des Angebots auszusetzen haben – sie haben Museen als kulturelles Angebot oder Freizeitaktivität nur nicht auf dem Schirm. 73 Prozent der Befragten, die nicht ins Museum gehen, nannten als Grund: „Ich habe nie die Gewohnheit gehabt, ins Museum zu gehen.“ Weitere Gründe waren unzureichende Kenntnis über das Angebot; zu wenig Zeit und nicht zuletzt das Gefühl, Museen seien „nicht ihre Welt“. Die wenigsten führen zu hohe Kosten als Grund an, gleichzeitig kennt sich nur ein kleiner Teil aller Befragten mit den Preisen und Reduzierungen aus. Auch interessant: 35 Prozent der Studienteilnehmer*innen, die nicht ins Museum gehen, glauben, dass eine bessere Kommunikation vonseiten der Häuser sie zu einem Besuch ermutigen könnte, während 32 Prozent der Meinung sind, dass nichts im Besonderen sie dazu bewegen könnte. Für Thewes sind diese Angaben wichtig, denn sie ermöglichen es, eigene Strategien und Konzepte zu überdenken.

Am Ende stellt sich deshalb eine grundsätzliche Frage: Was für eine Rolle spielen Museen überhaupt noch für die Gesamtbevölkerung? Michel Pauly unterstreicht in seinem Artikel, dass Museen „zweifellos ein Raum der gesellschaftlichen, also politischen Debatte“ sind. Er zählt mehrere Beispiele aus der Vergangenheit und Gegenwart auf, erwähnt unter anderem die Historikerin Marie-Paule Jungblut, die in den 2000er-Jahren mit ihren Ausstellungen im heutigen Luxembourg City Museum für Kontroversen sorgte.

„Sollen Museen nur ein kulturelles Erbe bewahren und Sammlungen aufbauen oder erfüllen sie einen sozialen Auftrag? Eine Diskussion, die auch auf internationaler Ebene geführt wird“, sagt Thewes. Er verweist in dem Zuge unter anderem auf eine Debatte innerhalb der Icom: 2019 kam es bei der internationalen Konferenz der Icom in Kyoto zur Diskussion über eine neue Definition des Museums. Diese sollte einen stärkeren Fokus auf den sozialen Charakter von Museen legen und hervorheben, dass Museen „democratising, inclusive and polyphonic spaces for critical dialogue about the pasts and the futures“ sind. Die Mitglieder wurden sich nicht einig, der Vorschlag wurde verworfen. Als Guy Thewes über die Rolle und die Zukunft von Museen spricht, schließt er ein weiteres Szenario nicht aus: „Ich bin Historiker und ich weiß: Alles kommt und geht. Vielleicht gibt es in hundert Jahren keine Museen mehr, sondern andere Orte der Kulturvermittlung.“

Die gesamte Studie „Le public des 
musées en 2020“ kann auf der 
Internetseite des Kulturministeriums kostenlos heruntergeladen werden.

„Das Programm der hauptstädtischen Museen ist elitär“


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