LGBTIQA-Rechte: Transfeindlichkeit als Trend

Trans Menschen erfahren in den letzten Jahren besonders viel Hass. Der geht vor allem von Rechtsextremen aus, aber auch andere politische Strömungen sind anfällig für diese menschenverachtende Ideologie. Die woxx hat einige besonders häufig vorkommende Argumente analysiert.

Immer öfters geraten die Rechte von trans Menschen ins Visier von Rechtsextremen. Mit Demonstrationen wehren sie sich. (Foto: CC BY-SA 2.0 Ted Eytan)

Ob auf Social Media, in Kolumnen oder in Interviews: In den letzten Jahren sind auch in Luxemburg vermehrt transfeindliche Wortmeldungen zu lesen und zu hören. Dabei wird oft die Methode des „Gish-Galopps“ angewendet, bei der eine Flut aus Halbwahrheiten, unsinnigen oder falschen Annahmen und Vorwürfen verwendet wird, um den Gegner*innen in der Diskussion die Entkräftung dieser vermeintlichen Argumente zu erschweren. Oder, wie es Steve Bannon, rechtsextremer Berater des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, etwas geblümter ausdrückte: „flooding the zone with shit.“

Sehr häufig werden sich Diskussionen um die Rechte von trans Menschen um vermeintliche biologische Fakten drehen. Das betrifft vor allem nicht-binäre Menschen, deren geschlechtliche Identität sich nicht oder nicht ganz mit den binären Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ beschreiben lässt. Zum Teil geht es aber auch darum, dass z.B. trans Frauen „in Wahrheit biologische Männer“ seien. Die Realität ist wesentlich komplizierter: In der Biologie ist es anerkannter Fakt, dass die Ausprägungen von Geschlecht wie etwa Chromosomen, Hormone oder auch Genitalien sich auf einem Spektrum ansiedeln. Durch Hormonersatztherapien und Operationen lassen sich viele dieser Merkmale verändern.

Im Grunde ist es jedoch eher müßig, diese Diskussionen zu führen: Es geht um Menschen, die einen Leidensdruck haben, der sich ohne großen Aufwand mindern lässt. Dazu gehört, gewünschte Namen und Pronomen zu verwenden sowie der Zugang zu medizinischer Transition. Niemand würde auf die Idee kommen, einer kurzsichtigen Person die Brille mit dem Argument, sie solle sich gefälligst ihren biologischen Grundlagen beugen, zu verwehren. Im Gegenteil: Der Tyrannei der Gegebenheiten der Biologie zu entkommen, ist ein Grundpfeiler menschlicher Zivilisationen.

In diesem Zusammenhang äußern manche Transfeind*innen auch den Verdacht, trans Menschen ginge es ja „nur“ um ihre Gefühle, ihre geschlechtliche Identität habe nichts mit der materiellen Wahrheit ihrer Körper zu tun. Oft wird auch mehr oder minder offen die Unterstellung in den Raum gestellt, es handele sich um „Einbildung“. Nach dieser Logik könnte man auch zum Beispiel Depressionen oder Homosexualität einfach so vom Tisch wischen, immerhin handelt es sich dabei ja auch „nur um Gefühle“.

Kürzlich behauptete der ADR-Abgeordnete Tom Weidig auf RTL, es gebe „eine Pandemie“ von trans Menschen, insbesondere unter Jugendlichen. Junge Frauen oder Mädchen würden „verwirrt“ werden und sich dann geschlechtsangleichenden Maßnahmen unterziehen. Weidig ist ein Meister der „flooding the zone with shit“-Taktik, denn in dieser kurzen Aussage stecken sehr viele Falschannahmen, die zu entkräften einige Zeilen in Anspruch nehmen wird.

Wann kommt die dritte Option?

Mehr Sichtbarkeit und mehr Informationen darüber, was trans Menschen sind, führt dazu, dass mehr von ihnen begreifen, was mit ihnen los ist, und dies möglicherweise auch früher. Ähnliche Phänomene gab es auch mit dem Erstarken der LGBTIQA-Bewegung in den 1960er- und 1970er-Jahren und beispielsweise mit verschiedenen Neurodivergenzen wie beispielsweise ADHS. Es dürfte 2024 auch mehr Linkshänder*innen geben als beispielsweise noch vor 50 Jahren – weil sie nicht mehr von klein an gezwungen werden, mit der „richtigen“ Hand zu schreiben.

Seit 2018 ist es in Luxemburg relativ unkompliziert möglich, Vornamen und Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Man muss dazu beweisen, dass man unter dem gewünschten Namen und Geschlecht bekannt ist – wie man das tut, ist offen. Bis Ende 2023 gab es insgesamt 203 Anträge dafür, bisher wurden 142 von Erwachsenen und 31 von Minderjährigen genehmigt. Abgelehnt wurden bisher keine Anträge, einige wurden jedoch zurückgezogen oder geschlossen, weil auf Fragen des Ministeriums keine Rückmeldung mehr kam, so eine Sprecherin des Justizministeriums gegenüber der woxx. Fälle, bei denen nur Geschlechtseintrag und nicht der Vorname geändert wurde, gebe es zwar, sie seien jedoch sehr selten. Eine offizielle Liste mit „genehmigten“ Vornamen gibt es übrigens nicht, „die Entscheidung unterliegt der Justizministerin“.

An einer sogenannten „dritten Option“ für den Geschlechtseintrag arbeitet das Ministerium seit mehreren Jahren, auch der Koalitionsvertrag zwischen CSV und DP sieht ihn vor. Aktuell trage man Informationen aus anderen Ländern zusammen, so die Sprecherin des Justizministeriums gegenüber der woxx: „Es ist nicht möglich, Angaben über den Zeitplan oder den Inhalt des geplanten Gesetzes zu machen.“ Am 22. November 2022 war die „neutrale Option“ bereits Thema im Parlament: Die damalige Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) antwortete auf eine Frage von Dan Biancalana (LSAP) und verwies auf die schwierigen Arbeiten, gab jedoch an, ein entsprechendes Gesetz im ersten Trimester 2023 auf den Instanzenweg bringen zu wollen.

Weidigs Behauptung, viele junge trans Menschen seien nicht trans, sondern „verwirrt worden“, ist nicht originär seine Idee. Der Mythos der „sozialen Ansteckung“ existiert seit einigen Jahren und wird von Transfeind*innen unter dem Schlagwort „rapid-onset gender dysphoria“ verbreitet. Die Studie, auf die sie sich dabei beziehen, befragte nur Eltern von trans Kindern, die sich in transfeindlichen Internetforen vernetzten. Sie wurde von dem wissenschaftlichen Journal, in dem sie veröffentlicht wurde, wegen dieser methodischen Schwächen zurückgezogen. Eine Studie, die Betroffene selbst befragt hat, ist zu dem Schluss gekommen, dass es keine Hinweise für die Existenz von „rapid-onset gender dysphoria“ gibt, einige der angenommenen Faktoren sogar eine Korrelation in die entgegengesetzte Richtung zeigen. Für den oft behaupteten Zusammenhang zwischen Onlinebekanntschaften und trans Jugendlichen konnten keine Hinweise gefunden werden.

Keine Pandemie

Die Biologin Julia Serano, selbst eine trans Frau, wies im Mai in einem Artikel darauf hin, dass eine „Pandemie“ von Jugendlichen, die sich für trans halten, es jedoch nicht sind, Auswirkungen haben müsse, die wissenschaftlich beobachtbar sind: geschlechtsbestätigende Gesundheitsversorgung müsse weniger effektiv werden. Neuste Studien zeigen jedoch keinen solchen Effekt. Im Gegenteil gibt es laut der Biologin viele Studien, die zeigen, dass trans Kinder und Jugendliche durch Zugang zu geschlechtsbestätigenden medizinischen Maßnahmen ein glücklicheres Leben führen. Es besteht ein wissenschaftlicher Konsens über diese Frage. „Dieser Konsens verschwindet nicht automatisch, nur weil einige Personen weiterhin ‚Fragen haben‘ oder ‚Bedenken äußern‘“, so Serano.

In ihrem Artikel beschreibt sie auch, wie die Standard-Behandlung für trans Kinder und Jugendliche aussieht: Bevor diese in die Pubertät kommen, bekommen sie ein Medikament, das als Pubertätsblocker funktioniert. Mit 16 Jahren können sie dann eventuell eine Hormonbehandlung mit Testosteron oder Estrogen bekommen. Es ist jederzeit möglich, Pubertätsblocker abzusetzen, die Pubertät setzt dann halt später ein. Es gibt alledings tatsächlich keine doppelblinden Studien zu Pubertätsblockern. Das hat gute Gründe: Zum einen wäre die Behandlung mit einem Placebo so gut wie unmöglich, da die (ausbleibenden) Effekte für Patient*innen und Ärzt*innen schnell sichtbar würden. Andererseits wäre ein solches Vorgehen zutiefst unethisch. Serano betont, dass „nichts tun“ heißt, dass trans Kinder eine falsche Pubertät durchlaufen müssen, was ihnen großes seelisches Leid verursacht.

In Luxemburg sind die Hürden für geschlechtsbestätigende Gesundheitsversorgung recht hoch: Damit die Gesundheitskasse (CNS) sie finanziert, muss zuerst ein psychiatrisches Gutachten eingeholt werden. Für eine Hormonersatztherapie ist ein Therapieplan eines*einer Endokrinolog*in vonnöten, für Operationen muss ein*e Psychiater*in die trans Person ein Jahr lang begleiten, außerdem müssen die Ärzt*innen, die die Operation durchführen, einen detaillierten Bericht schreiben. Geschlechtsbestätigende Operationen werden in Luxemburg nicht durchgeführt. Die CNS finanziert keine Maßnahmen, die sie als „rein ästhetisch“ klassifiziert, wie etwa Bartepilationen oder Gesichtsoperationen.

Zumindest für Kinder könnte die Versorgung demnächst besser werden: „Im Dienst ‚Endokrinologie‘ der Kannerklinik gibt es seit 2024 eine ‚Transgender-Ambulanz‘ (service de communications pluridisciplinaires), in der auch ein Kinderpsychiater eingestellt wurde. Wer Bedarf hat, soll im Dienst endokrinologische und psychologische Beratung und Betreuung erhalten können“, heißt es von einer Sprecherin des Gesundheitsministeriums.

Politische Panikmache

Es gibt also keine „Pandemie“ an trans Jugendlichen – was auch die Zahlen aus dem Justizministerium bestätigen – und der Zugang zu geschlechtsbestätigender Gesundheitsversorgung ist in Luxemburg schwierig. Woher kommt also die Aufregung, warum wird das Thema, insbesondere von Rechten, immer wieder aufgewärmt? Sie bedienen sich dabei dem gleichen Narrativ, das bereits in den 1970er-Jahren gegen Homo- und Bisexuelle benutzt wurde: Sie „verführten“ angeblich Kinder. In Luxemburg manifestiert sich dies in Weidigs Angriffen auf die Dragqueen Tata Tom, die Kindern Märchen vorliest und Fragen beantwortet. Sie erhält in direkter Konsequenz von Weidigs Posts auf Social Media Morddrohungen.

Das Narrativ ist falsch, aber sehr wirkmächtig. Trans Menschen, ebenso wie andere Mitglieder der LGBTIQA-Gemeinschaft, stellen allein durch ihre Existenz die gesellschaftliche Geschlechterordnung in Frage. Das sorgt für Unbehagen, das Transfeind*innen und Rechte für ihre politischen Zwecke ausnutzen wollen. In einem kürzlich veröffentlichten Video zeigt die Youtuberin Lily Alexandre auf, wie durch Transfeindlichkeit aus „radikalen Feminist*innen“ Rechtsextreme – oder Menschen, die keinerlei Probleme mit rechtsextremen Positionen haben – wurden. Oft ist es der Hass auf trans Menschen, der als Kit für die Koalitionen aus (ehemaligen) Feminist*innen und Rechtsextremen dient. Die Positionen der Transfeind*innen werden dabei von rechten Parteien kopiert und übernommen, oft auch mit dem Argument, „Frauen schützen“ zu wollen. Alexandre erklärt auch, dass dieser Hass immer öfters in Verschwörungstheorien eingebaut wird. Auch das ein Mittel der Proponenten solcher Theorien, um diese weiterzuverbreiten und anschlussfähiger zu machen.

Das Unbehagen gegenüber queeren Menschen lässt sich von der Rechten leicht aufgreifen, wenn Menschenrechte von Medien als verhandelbar dargestellt werden. Streitgespräche wie kürzlich auf RTL tragen dazu bei, dass eine Position des Hasses als vertretbare „Meinung“ wahrgenommen wird. Rechtsextreme, aber auch Konservative, sehen ihr Weltbild durch queere Menschen bedroht: das konservative Familienbild, die geschlechtliche Rollenverteilung und der „gesunde Volkskörper“. Die ADR, die sich sehr gerne die Argumentationsmuster der US-amerikanischen „alt right“ abschaut, nutzt den Hass auf queere Menschen zur gezielten politischen Agitation. Die CSV scheint sich zu einem offenen, LGBTIQA-freundlichen Luxemburg zu bekennen – es ist zu hoffen, dass das so bleibt und es nicht allein bei Worten bleibt.

 

Zum Weiterbilden!

Hier einige Empfehlungen, um sich eingehender mit dem Thema zu beschäftigen, mit den woxx-Kurzlinks schnell zu erreichen:

I Read the Most Misunderstood Philosopher in the World Youtube-Philosophin Abigail Thorn über Gendertheorie. woxx.eu/genderphilo

Gender-Affirming Care for Trans Youth Is Neither New nor Experimental: A Timeline and Compilation of Studies. Der erwähnte Artikel der Biologin Julia Serano woxx.eu/serano

Maintenace Phase Podcast-Episode zum Thema „Rapid-Onset Gender Dsyphoria“ woxx.eu/rapidpodcast

Méi wéi Sex Podcast-Episode mit einer trans Person aus Luxemburg woxx.eu/mwstrans


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