Für Glückskinder herrscht in den Sommermonaten Leichtigkeit. Die ONG Médecins du monde Luxembourg erinnert mit einer Sensibilisierungskampagne jedoch an die Menschen, die in Luxemburg um ihre medizinische Versorgung kämpfen müssen – und das über das ganze Jahr hinweg.
„Certains prennent des coups de soleil“, steht auf einem der Plakate der Organisation Médecins du monde Luxembourg (MdM), „d’autres se prennent des coups.“ Hinter diesem und anderen Wortspielen verbirgt sich eine ernste und beängstigende Mitteilung. Während andere im Sommer Urlaub machen, so das Motto der Kampagne, leiden andere unter ihrem Leben auf der Straße, sind weder sozial- noch krankenversichert (2018: 72 Prozent der Patient*innen von MdM). An sie will MdM mit ihrer Kampagne erinnern. Mit verschiedenen Slogans ruft die Organisation zu Spenden für die Pflege derjenigen auf, die sich in einer prekären Situation befinden und sich keine medizinische Versorgung leisten können.
2018 hat MdM 815 Menschen in Luxemburg behandelt. Es waren vorwiegend obdachlose Männer (81 Prozent). In Esch gab es mit 40 Prozent aller Behandelten die meisten Frauen unter den Betroffenen. Insgesamt lebten die Patient*innen zu 93 Prozent unter der Armutsgrenze und über die Hälfte von ihnen stammte aus Europa. 7,5 Prozent waren luxemburgische Staatsangehörige. Allerdings gaben nur fünf Prozent der Behandelten an, ihr Geburtsland aus gesundheitlichen Gründen verlassen zu haben.
Woran es fehlt
Auf Luxemburgs Straßen herrschen Gewalt und Unsicherheit. Viele Menschen, die bei den Ärzt*innen der MdM vorstellig werden, leiden unter schweren psychischen und psychologischen Verletzungen. Darüber hinaus hat ein Großteil der Patient*innen, so die Pressesprecherin der MdM Brigitte Michaelis, keinen Zugang zu Zahnmedizin. Die Warteliste sei lang. Verwunderlich ist das nicht, geht doch aus dem Jahresbericht der MdM hervor, dass 2018 nur sechs Zahnärzt*innen für die Organisation tätig waren. „De nombreuses personnes ont des bouches dans un état si désastreux“, sagt Michaelis, „qu’elles mettent non seulment leur santé en danger, mais ne peuvent plus se nourrir correctement.“ Auf einem der Kampagnen-Plakate ist einer der besagten Fälle zu sehen. Hierzu sei angemerkt, dass die Zurschaustellung zwar dem guten Zweck dienen soll, aber verstörend voyeuristisch ist. Der gewünschte Effekt – Menschen für das Thema zu sensibilisieren – wäre auch mit einem weniger plakativen Motiv gelungen. Doch das nur am Rande.
Generell reichen Spendenaufrufe allein auf lange Sicht nicht aus, um die Situation der Betroffenen zu verbessern. Es bedarf vielmehr einer grundlegenden Aufarbeitung des Gesundheitssystems durch den Staat. Man kann nur hoffen, dass die zuständigen Instanzen nicht achtlos an den Plakaten vorbeiziehen. MdM hat der Regierung bereits 2017 Verbesserungsvorschläge unterbreitet, um das luxemburgische Gesundheitssystem inklusiver zu gestalten und den universellen Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Die MdM fordert zum Beispiel, dass die Sozialversicherung denen zugute kommt, die dauerhaft in Luxemburg leben – auch ohne Domizilnachweis. Kinder – 2018 wurden 35 vom Team der MdM behandelt – sollen einen allumfassenden Zugang zu medizinischen Grundleistungen haben; die „offices sociaux“ der Gemeinden hingegen mehr Möglichkeiten, um Anfragen bezüglich des „tiers payant social“ schneller zu bearbeiten. Der „tiers payant“ soll grundsätzlich für alle Personen gelten, die schutzbedürftig sind, und einen ambulanten Eingriff benötigen. Niemand solle aus finanzieller Not auf eine medizinische Behandlung verzichten müssen, heißt es vonseiten der MdM.
Den Jahresbericht 2018 sowie weiterführende Informationen zu den Diensten der MdM gibt es unter diesem Link.