Die Künstlerin Laia Abril präsentiert in der Abtei Neimënster ihre Ausstellung „On Rape“: eine beeindruckende Dokumentation sexualisierter Gewalt.
Vor zwei Wochen stand der exklusive Besuch der Ausstellung „On Rape“ in der Abtei Neimënster auf der Tagesordnung der Staatsvisite der deutschen First Lady Elke Büdenbender. Zusammen mit Großherzogin Maria Teresa, Schauspielerin Vicky Krieps und Kulturministerin Sam Tanson traf sie auf die spanische Künstlerin Laia Abril, die in Luxemburg-Stadt das zweite Kapitel ihres Langzeitprojekts „A History of Misogyny“ ausstellt. An die Ehrengästinnen erinnert einen Tag vor der offiziellen Vernissage am 13. Juli aber nichts mehr: Beim Rundgang der woxx stapeln sich auf einem kleinen Beistelltisch in den „Salles voûtées“ die Utensilien zweier Arbeiter, die gerade die letzten Wandtexte anbringen.
Ainhoa Achutegui, Direktorin der Abtei Neimënster, führt die woxx an diesem Tag durch die Ausstellungshallen. Im ersten Raum ginge es um sexualisierte Gewalt in Institutionen: Sie zeigt auf große Fotos von Kleidungsstücken. Diese stehen für die Machtstrukturen hinter den Vorfällen, die in kurzen Texten über den Fotos erläutert werden. Es sind Geschichten über Vergewaltigungen im Kloster, beim Militär, in der Ehe, im Sport oder auch im Bildungsbereich. Warum Laia Abril bei den Institutionen beginnt, hat einen spezifischen Grund: 2016 vergewaltigte eine Gruppe Männer eine damals achtzehnjährige Frau im spanischen Pamplona mehrfach. Trotz belastender Videoaufnahmen der Tat, wurden sie zu milden Haftstrafen verurteilt und ihr Verbrechen nicht als Vergewaltigung geahndet. Ein Fall, der in Spanien für Aufstände sorgte und auch Laia Abril beschäftigte.
„Alle haben hier versagt: die Polizei, die Justiz, die Medien“, so die Künstlerin später gegenüber der woxx. Sie habe sich damals dafür entschieden, in „On Rape“ das Schlaglicht auf die Institutionen zu werfen, statt auf die Überlebenden sexualisierter Gewalt als solche. Die Kleidungsstücke sollen dem Publikum das Gefühl vermitteln, den Betroffenen in den Ausstellungshallen zu begegnen, ihnen gegenüberzustehen, ohne ihre Gesichter zu erkennen. Auch weil es hier nicht um Einzelfälle gehe, sondern um ein generationsübergreifendes Problem: die Rape Culture, die seit Jahrhunderten und in verschiedensten Kulturkreisen existiert.
Der Begriff beschreibt eine Gesellschaft, in der unterschiedliche Formen sexualisierter Gewalt verbreitet sind und weitgehend geduldet werden. Die Verantwortung für entsprechende Vorfälle wird oft den angegriffenen Personen, meist Frauen, zugeschrieben: Ihre Kleidung war zu provokant, ihr Verhalten leichtsinnig, ihre Ablehnung nicht klar genug formuliert. Die Übergriffe werden so verharmlost, die Betroffenen herabgewürdigt und zum Sexobjekt degradiert.
„Wenn wir Wörter ausradieren, löschen wir Existenzen aus. Wenn wir Existenzen auslöschen, verlieren wir jede Chance, Missstände zu beheben.“
Wer weiter durch die „Salles voûtées“ voranschreitet, stößt auf eine Vielzahl von Gegenständen und Erzählungen, die der Rape Culture eigen sind. Achutegui liest beim Rundgang mit der woxx die Wandtexte mit, stöhnt zwischendurch entsetzt auf, auch wenn sie die Exponate bereits kennt. An einer Wand prangt eines der berühmten, sexistischen Zitate („Grab ’em by the pussy. You can do anything“) von Donald Trump, dem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten; an anderer Stelle sind Aussagen von der Justiz zu lesen, die sexualisierte Gewalt bagatellisieren.
Daneben gibt es kuriose Objekte zu entdecken, die einem das Ausmaß der Vergewaltigungskultur vor Augen führen. So stellt Abril das Foto eines Keuschheitsgürtels aus, bei dem sich Historiker*innen bis heute uneins sind, ob er in der Vergangenheit als Prävention von Vergewaltigungen, als Garantie der sexuellen Abstinenz oder aus anderen Gründen getragen wurde. Unweit davon, hängt ein Bild eines Rape-aXe, 2005 von der Südafrikanerin Sonette Ehlers entwickelt. Die Hülse wird in die Vagina eingeführt, kommt es zur Penetration bohren sich Widerhaken in den Penis und verursachen starke Schmerzen. Die Entfernung der Widerhaken bedarf eines medizinischen Eingriffs. Dies soll die Identifizierung von Straffälligen erleichtern und schützt noch dazu vor Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten. Eines der letzten Exponate ist ein vermeintlich „erotisches“ Videospiel, bei dem ein männlicher Angreifer eine indigene Frau vergewaltigen muss …
Der Ausstellung sowie dem Projekt „A History of Misogyny“ allgemein, geht jahrelange Recherche voraus, die Abril auf mehreren Ebenen herausforderte. „Während meiner Recherchen zu Vergewaltigung und im Austausch mit den Überlebenden, bin ich natürlich oft auf Wut, Frustration und Angst gestoßen“, sagt sie. Die Schau solle jedoch über diese Gefühle hinausgehen und die Diskussion über Rape Culture auf ein anderes Level heben. Gleichzeitig sei ihr wichtig, die Überlebenden nicht als Opfer darzustellen, sie nicht zu bevormunden. „Das war die größte Herausforderung überhaupt“, gesteht sie, „dieses Gleichgewicht zu halten.“
Ainhoa Achutegui nennt „On Rape“ am Ende der Besichtigung eine der wichtigsten Ausstellungen im Kulturzentrum, doch diese Unterstützung erfährt Abril nicht überall. „A History of Misogyny“ ist in drei Kapitel unterteilt: „On Abortion“, „On Rape“ und „On Mass Hysteria“. Während Abril das Kapitel „On Abortion“ zu Zeiten des Referendums zum Schwangerschaftsabbruch in Irland präsentieren durfte, zögern die Kulturinstitutionen beim Thema Vergewaltigung scheinbar stärker. Oft seien Abrils explizite Titel ein Problem. Hier kennt die Künstlerin allerdings keinen Kompromiss: „Die Worte auszusprechen, ist genauso wichtig, wie die Ausstellung zu zeigen.“ Besonders im Hinblick auf den allgemeinen Rechtsruck, der derzeit weltweit zu beobachten sei. „Wenn wir Wörter ausradieren, löschen wir Existenzen aus“, betont Abril. „Wenn wir Existenzen auslöschen, verlieren wir jede Chance, Missstände zu beheben.“
Die woxx hält gegen und thematisiert Rape Culture im Juli und August im Kulturpodcast „Um Canapé mat der woxx“. Fernab des Trubels auf dem Gelände der Abtei, spricht Laia Abril im Kulturpodcast über den künstlerischen Umgang mit Rape Culture. Sie verrät in der Folge auch, warum der Journalismus dabei Fluch und Segen zugleich ist. Im August diskutiert Ainhoa Achutegui über die Verantwortung der Kulturinstitutionen: Wie können Veranstalter*innen sexualisierte Übergriffe auf ihrem Gelände verhindern? Wie sollten sie mit gewalttätigen Künstler*innen umgehen? In diesem Rahmen kommen Debatten über die Vergewaltigungen während des Woodstock Festivals 1999 auf, aber auch die Vorwürfe gegen Till Lindemann, Frontsänger von Rammstein. Mehrere Frauen beschuldigen ihn unter anderem, sie auf After-Shows gefügig gemacht zu haben, um sie dann zu missbrauchen. Die Folge mit Laia Abril ist bereits auf woxx.lu unter dem Button „woxx Podcasts“ und auf gängigen Streamingplattformen zu finden, die mit Achutegui wird am 22. August publiziert.