Online-Ausstellung vom ZKM Karlsruhe: Ein Museum auf der Suche nach der neuen Erdpolitik

Critical Zones oder wie Mensch seine Umwelt verhunzt. Das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe zeigt eine Online-Ausstellung über Wissenschaft und Kunst zur Intensivpatientin Erde.

Die Online-Ausstellung „Critical Zones. Horizonte einer neuen Erdpolitik“ stellt die unterschiedlichsten Facetten und Reaktionen auf den Klimawandel dar. © Frédérique Aït-Touati, Alexandra Arènes, Axelle Grégoire

Udo Lindenberg mag zwar singen „Hinterm Horizont geht’s weiter“, doch ob das auch für die Umwelt gilt, ist unklar. Das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (zkm) geht mit „Critical Zones. Horizonte einer neuen Erdpolitik“ der Frage nach, wie es derzeit vor der Sichtgrenze mit Klimawandel und Umweltzerstörung ausschaut. Die Kurator*innengruppe, darunter der Soziologe und Anthropologe Bruno Latour sowie die Teilnehmer*innen eines Forschungsseminars der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, bringen hierfür Politik, Wissenschaft und Kunst zusammen.

Der Ausstellungstitel an sich verweist nicht nur auf die desaströse Situation der Natur. Der Begriff „critical zone“ kommt aus der Geowissenschaft. Das deutsche Geoforschungszentrum beschreibt die „critical zone“ als „dünne Schicht zwischen der Oberfläche des unverwitterten Gesteins und der Spitze der Vegetation“, die Boden, Grundwasser und Pflanzen umfasst. Das Ausstellungsprojekt möchte eine Kartografie dieser Schichten erstellen, „um eine Debatte hin zu einer neuen Erdpolitik zu lenken“. Die Landkarten, die das zkm erschafft, ermöglichen grundverschiedene Perspektiven auf das Thema: künstlerische, politische, wissenschaftliche.

Manchmal sind sie auch alles auf einmal, wie die Videoarbeit „Cloud Studies“ (2020) von Forensic Architecture. Die Agentur zählt darin keine Schäfchenwolken: Sie dokumentiert den Gebrauch von chemischen Waffen in Krisengebieten und bei Ausschreitungen sowie die Folgen umweltschädlicher Brennstoffe. Die gezeigten Wolken entstehen unter anderem durch den Einsatz von Tränengas, beispielsweise bei den Massenprotesten in Hongkong im Jahr 2019, oder durch Lecke in Erdöl-Anlagen. „Toxische Wolken, initiiert durch die Macht von Staaten und Konzernen, kolonisieren die Luft, die wir atmen, in unterschiedlichem räumlichen und zeitlichen Ausmaß“, schreibt das zkm zum Werk. „Ein Studium dieser zeitgenössischen Wolken erfordert einen anderen Ansatz als die Analyse kinetischer Zusammenstöße, bei denen ‚jeder Kontakt eine Spur hinterlässt‘.“ Der Kurzfilm zeigt die „toxischen Wolken“, liefert die teils komplexen Informationen zu ihrer chemischen Zusammensetzung und Informationen zu den politischen Hintergründen. Der Film regt einmal mehr dazu an, sich mit der (nicht vorhandenen) Ethik der Nutzung chemischer Waffen und fossiler Brennstoffe auseinanderzusetzen.

Andere Ausstellungsbeiträge halten fest, was vielleicht bald Geschichte ist, so etwa die Soundarbeit „Atmospheric Forest“ von Raitis Smits. Sie ist das Ergebnis eines dreijährigen, künstlerischen Forschungsprojekts über den Pfynwald: Ein alpiner Nadelwald, der stark unter Trockenheit leidet. Besucher*innen können mit der Maus über einzelne Soundstationen scrollen und den Waldgeräuschen lauschen. Achtung: Fernweh nach einem Alpenurlaub ist vorprogrammiert. Die experimentelle Karte von Alexandra Arènes und Soheil Haijmirabas „Umkehr Diagram“ greift hingegen nüchtern Daten des Critical Zone Observatory im Wassereinzugsgebiet des Strengbachs, einem Waldgebiet in den Vogesen, auf. In der Online-Ausstellung ist es möglich, sich mittels einer Karte auf Entdeckungsreise durchs Observatorium zu begeben. An blauen Beobachtungsstationen erfahren die Besucher*innen, was an den jeweiligen Standorten gemessen wird. Zahlreiche weitere Exponate beleuchten andere Naturelemente, gehen unterschiedlich an das Thema heran, bieten andere Einblicke in das Thema Klimawandel und Forschung.

Wer will, kann Stunden in der Online-Ausstellung, die das Pendant zur gleichnamigen physischen Ausstellung im zkm ist, verbringen. Nur ist die Website recht chaotisch aufgebaut. Es gibt Kategorien, an denen sich die Besucher*innen orientieren können, die während der Betrachtung jedoch unvermittelt ineinander übergehen oder plötzlich nicht mehr zugänglich sind. Noch dazu ist nirgends eine Werkliste vermerkt oder zumindest nicht so, dass sie sich leicht finden ließe. Schade, denn manche Arbeiten scheinen nach der Betrachtung wie vom Erdboden verschluckt. Ob das zum Konzept gehört? Immerhin warnt das zkm gleich zu Beginn: „Sie sind Teil einer reaktiven Interface-Ebene. Kunstwerke, Archivmaterialien, Texte, Handlungsanweisungen und Ereignisse sind Entitäten – genau wie Sie und Ihre BegleiterInnen, die anderen BesucherInnen. Zusammen reagieren alle Entitäten aufeinander und interagieren miteinander, wodurch ein generativer Raum entsteht, der sich ständig neu zusammensetzt.“

Critical Zones. Horizonte einer neuen Erdpolitik, online und vor Ort im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe bis zum 28. Februar 2021.
Auf dem Youtube-Kanal des zkm gibt es Videos zum ausstellungsbegleitenden Critical Zones – Streaming Festival.


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