Pflegeversicherung
: Reform-Reparatur

Lange hat sich der für die Pflegeversicherung zuständige Minister Romain Schneider gegen Kritik an seiner Gesetzesreform gesperrt. Nun lenkt er ein: Noch vor Mitte Juni will er dem Regierungsrat seine Korrekturen präsentieren.

Nicht Sparen, sondern bestmögliche Betreuung war laut Minister Romain Schneider das vorrangige Ziel der Reform der Pflegeversicherung. (Bildquelle: Pixabay)

„Man muss das Gesetz nicht verändern, sondern es richtig interpretieren.“ So lautete noch bis vor kurzem Roman Schneiders Credo zur seit Januar geltenden Reform des Gesetzes zur Pflegeversicherung, aller massiven Kritik zum Trotz. Inzwischen hat sich der für die Sozialversicherung zuständige Minister dazu durchgerungen, dass aus der richtigen Interpretation manchmal auch die Veränderung folgen muss.

Am Dienstag wurde bei einer gemeinsamen Sitzung des Ministère de la Sécurité sociale mit den Interessenvertretern – den Gewerkschaften für die Versicherten und die im Pflegesektor Beschäftigten, sowie dem Dachverband der Pflegedienstleister (Copas) – eine Überarbeitung der Gesetzesreform vereinbart, die noch vor Mitte Juni dem Conseil de gouvernance vorgelegt werden soll. Über den genauen Inhalt der Änderungsvorschläge haben die Sitzungsteilnehmer allerdings Stillschweigen vereinbart.

„Der Minister will nicht, dass im Augenblick über Details geredet wird, die ja eigentlich auch noch nicht feststehen“, so Netty Klein, Generalsekretärin der Copas. „Aber man kann schon sagen, dass wir uns einig darüber geworden sind, dass Änderungen kommen werden. Romain Schneider will einen Vorschlag machen, mit dem alle einverstanden sind.“

„Es gibt drei Punkte, in denen wir nachbessern wollen“, hatte Romain Schneider der woxx bereits vor dem Treffen am Dienstag gesagt. Details wollte er nicht verraten. Darunter seien jedenfalls auch die umstrittenen „courses-sorties“: „Wenn über ein Règlement grand-ducal etwas geändert werden muss oder sogar gesetzlich, was ich nicht glaube, dann machen wir das, das ist kein Problem.“

Annäherung

Dank der „courses-sorties“ konnten weitgehend selbstständige Menschen beim Einkauf und bei Verwaltungsgängen begleitet werden. Nach Meinung der Copas ist diese Leistung seit der Reform komplett abgeschafft, aus der Sicht des Ministeriums wurde sie mit ihrer Subsumtion unter die „gardes en groupe“ lediglich in eine andere Form der Abrechnung überführt. Hier soll nun für Klarheit gesorgt werden, wie Romain Schneider auch am Montag in einer Sitzung des Sozialversicherungs-Ausschusses des Parlaments angekündigt hat.

„Der Sinn der Reform war immer, der Pflege eine neue Qualität und Ausrichtung zu geben, es geht auf keinen Fall darum, dass wir den Leuten bestimmte Hilfen nicht mehr anbieten“, so der LSAP-Politiker gegenüber der woxx. „Die Hilfen sollen spezifischer und genauer ausgerichtet sein, sodass sie gegen soziale Isolation wirksam sind.“

Auch beim OGBL schweigt man sich aus, welches die beiden anderen zur Revision anstehenden Aspekte der Pflegeversicherung sind, doch Carlos Pereira gibt sich immerhin zuversichtlich: „Wir sind dabei, uns anzunähern und nach Lösungen zu suchen. Der Minister spielt mit und die Copas ebenfalls.“

Es kommt also Bewegung in die Debatte um die Revision der Reform. Das liegt auch daran, dass seit Anfang Mai Zahlenmaterial vorliegt, mittels dem die Umsetzung der neuen Regelungen nun auch in der Praxis beurteilt werden kann.

Rund 700 Fälle mit Neuanträgen zu Pflegeleistungen wurden ausgewertet, die seit Anfang Januar eingegangen sind. 15 davon wolle man sich nun noch einmal genauer ansehen, wie Carlos Pereira sagt. Beispielsweise gebe es bei betreuungsintensiven Fällen noch offene Fragen, wie etwa bei Betroffenen mit Demenz: „Es gibt vielleicht spezielle Bedürfnisse, die vom neuen Leistungskatalog noch nicht abgedeckt werden.“ Das soll in einer „technischen „Arbeitsgruppe“ am kommenden Dienstag analysiert werden, bevor man sich wieder in größerer Runde trifft: „Ende nächster Woche können wir dann genauer sagen, was geändert werden muss und was nicht.“

Es ist also davon auszugehen, dass noch vor Mitte Juni der genaue Umfang der anvisierten Änderungen auch öffentlich bekannt gegeben wird: „Wir werden die Übereinkünfte auf einer gemeinsamen Presskonferenz präsentieren“, kündigt Pereira an.

Offene Fragen

So viel Einigkeit klingt ungewohnt nach vielen Monaten vorausgegangenen Streits. Netty Klein von der Copas hält daher bis auf Weiteres auch an der von ihrer Organisation vorgetragenen Kritik fest: „Ein Hauptproblem sind zum einen nach wie vor die „activités d’appui à l’indépendance“ (AAI), wo sehr viele Betroffene Stunden verloren haben. Es stellt sich heraus, dass in den Alten- und Pflegeheimen 36 Prozent der Pflegebedürftigen im Mittel 30 Prozent dieser Leistungen verlieren. Das macht für den einzelnen Betroffenen im Mittel zehn Stunden pro Woche aus.“ Zum anderen gilt die Sorge den Personen mit Behinderung: „Dort ist der Einbruch furchtbar. Bis zu 55 Prozent aller Betroffenen erleiden Einbußen. Im Durchschnitt erhalten sie zehn Stunden weniger Betreuung als bisher“, so Klein.

Die Copas-Generalsekretärin räumt 
allerdings ein, dass diese Zahlen nicht den neuen Erfahrungen entsprechen, sondern rein theoretisch aus dem Vergleich von alter und neuer Gesetzeslage errechnet sind. Romain Schneider will die Kritik daher auch nicht gelten lassen: „Da frage ich mich dann schon, wie Frau Klein zu diesen Zahlen kommt. Ich habe immer gesagt, man könne die Änderungen gar nicht abgleichen, bevor man nicht eine gewisse Anzahl Daten hat.“

(Foto: Pexels)

Der OGBL hatte zuletzt vor allem auch die Situation der Beschäftigten im Pflegebereich im Blick. Sehr zum Ärger der Gewerkschaften hatte die Copas die Weiterbeschäftigung von 200 Personen allein im Bereich der Altenpflege aufgrund der Reform in Frage gestellt. Auch hier zeigt sich Carlos Pereira zuversichtlich, denn „die Diskussion der Beschäftigungsgarantie hängt mit den anderen Aspekten zusammen“. Man wolle aber wachsam bleiben: „Wenn wir zu einer Übereinkunft kommen, müssen auch die Arbeitsplätze garantiert sein und es kann nicht sein, dass mit Sozialplänen gewinkt wird, um Stellen abzubauen.“

Mit Blick auf den von Minister Schneider vorgesehenen Zeitplan kann es nicht mehr allzu lange dauern, bis man auch den Versicherten Auskunft über die tatsächlichen Auswirkungen der Pflegereform erteilt. Als Betroffene haben sie in der Auseinandersetzung um die „courses-sorties“ bewiesen, dass öffentlicher Druck durchaus wirksam ist, sofern man die Möglichkeit hat, sich entsprechend zu artikulieren. Es bleibt daher abzuwarten, ob die Debatte um die Reform der Pflegeversicherung mit der nun offenbar greifbaren Einigung der verschiedenen Parteien tatsächlich zu Ende ist.

Eines lässt sich allerdings jetzt schon sagen: Ein großer Public-Relations-Erfolg ist Romain Schneiders Projekt weiterhin nicht. Denn selbst wenn nun einige der gröbsten Probleme ausgeräumt werden sollen, die sich im Übergang vom alten ins neue System ergaben: Der sozialistische Minister wird noch immer die Frage zu beantworten haben, was an den seit Januar geltenden Regelungen wirklich einen Fortschritt im Sinne der Versicherten bringt. „Zahlen lügen nicht“, hatte Schneider vergangenen Februar mit Blick auf die angekündigte Evaluation erklärt. Dann werden sie jetzt hoffentlich auch Auskunft darüber geben, ob es bei der Reform tatsächlich nicht in erster Linie ums Sparen gegangen ist.


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