Queerness auf dem LuxFilmFest: Reas

„Reas“ von Lola Arias erzählt von einer Gruppe mehrheitlich queerer Häftlinge und verwendet dabei sowohl Theater-, Doku- als auch Musicalkonventionen. Ein gelungenes Experiment?

Die Darsteller*innen in „Reas“ sind allesamt Laien und ehemalige Inhaftierte. (Quelle: Luxbox)

Wer am vergangenen Sonntag dem Pressescreening von Lola Arias’ „Reas“ im Kineopolis Kirchberg beiwohnte, mag sich über dessen Kategorisierung als Dokumentarfilm gewundert haben. Gleich zu Beginn stellt man nämlich fest: Der gängigen Definition einer Doku entspricht dieser Streifen nicht, denn die Darsteller*innen interagieren auf Basis vorgegebener Dialogzeilen. Und dennoch handelt es sich hier um einen der insgesamt sechs Filme, die in der diesjährigen Ausgabe des Luxemburg City Film Festivals im Wettbewerb um die beste Doku gegeneinander antreten.

An Arias Anspruch, der Lebensrealität betroffener Menschen Rechnung zu tragen, besteht kein Zweifel: Der Inhalt des Films basiert nicht nur auf den Erfahrungen ehemaliger Gefängnisinsass*innen, die Darstel- ler*innen waren auch allesamt selbst schon inhaftiert. „Reas“ erzählt ihre Geschichten, greift dabei jedoch auf überhöhende Mittel zurück.

Neben den zu einem Drehbuch verarbeitenden Interviews, sind dies zudem Tanz- und Gesangeinlagen, in die die Figuren immer wieder ausbrechen. Die Lieder, die sie singen, passen zu ihrem Charakter – trans Mann Nacho mag Rock’n’Roll, Yoseli Pop, Paulita wiederum Cumbia –, die Texte spiegeln ihre Gefühlslage wider. Einem klassischen Spannungsaufbau folgt der Film nicht, vielmehr handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Situationen und Interaktionen.

„Reas“ nimmt ein seit 2001 geschlossenes Gefängnis in Buenos Aires zum Schauplatz, um von der Lebensrealität einer Gruppe queerer Häftlinge zu erzählen. Die Figuren treffen sich auf dem Hof zum Fußballspielen, zu Bandproben, arbeiten in der Gefängnisnäherei, schauen fern, flirten, verlieben sich in ineinander, heiraten. Der 82-minütige Film handelt mehr vom Innenleben dieser Menschen, ihren Träumen und Ängsten, als dass es um eine realitätsgetreue Nachbildung ihres Haftalltags geht. Der Fokus liegt auf dem Zusammenhalt der Figuren, die Arias als eine Art „found family“ präsentiert: Die Charaktere helfen sich gegenseitig dabei, eine schwierige Lebensphase zu überstehen. „Reas“ entwirft eine Fantasie, in der das Gefängnis zugleich ein Sinnbild für den Freiheitsentzug ist als auch ein Schutzraum vor der Außenwelt wird. Denn auch wenn dies im Film nicht thematisiert wird: Seit der rechtsextreme Javier Milei im Oktober 2023 zum argentinischen Präsidenten gewählt wurde (woxx 1750), hat sich die Lage für die dort lebenden queeren Menschen um ein Vielfaches verschlechtert.

Statische Kamera und Laien

(Quelle: Luxbox)

Dass Arias bisher vor allem als Theaterregisseurin gearbeitet hat, merkt man ihrem Film übrigens an: In den meisten Szenen führen die Figuren vor einer statischen Kamera ein Gespräch, die vielfältigen Möglichkeiten, die die Filmkunst im Gegensatz zum Theater zu bieten hat, kommen kaum zum Einsatz.

Der Realschauplatz und das Ensemble an Laiendarsteller*innen verleiht dem Film etwas Naturalistisches, die Filmart sowie die Musicaleinlagen wiederum erinnern die Zuschauer*innen ständig daran, dass es sich hier um etwas artifiziell Geschaffenes handelt. Irritationsmomente entstehen auch dann, wenn innerhalb von Szenen die Filmlocation als solche thematisiert wird, oder eine Darstellerin zugibt, ihre Zeilen soeben durcheinandergebracht zu haben.

Das Ergebnis ist ein Film, der mit Sehgewohnheiten bricht und immer wieder überrascht. Im Hinblick auf die Lebensrealität in argentinischen Gefängnissen und deren Umgang mit Frauen und queeren Inhaftierten, kratzt der Film jedoch lediglich an der Oberfläche.

„Reas“ ist an diesem Freitag, dem 8. März um 20:45 Uhr im Utopia in Luxemburg-Stadt zu sehen.

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