Mit neuem Album im Gepäck tritt die US-Metalband Inter Arma kommenden April beim Roadburn Festival an. Bandmitglied T.J. Childers über Authentizität in der Performance, Ähnlichkeiten mit Cormac McCarthy und weshalb ihn sein Vater zum Schlagzeugspiel verdonnert hat.
Die Metalband „Inter Arma“ aus Richmond im US-Bundesstaat Virginia ist weniger eine Musikgruppe als ein umfassendes klangliches Erlebnis. Ein Phänomen, das sich über eine Einordnung in die verschiedenen Stilarten des Heavy Metal nicht beschreiben lässt. Was auf den Konzerten dieser Band passiert, hat jemand in der Kommentarspalte zu einem der zahlreichen Livemitschnitte der Band, die im Internet zu finden sind, so formuliert: „Jedes Mal, wenn ich sie live sehe, gibt es jemand, der vor der Bühne in einen absoluten Schock verfällt, wenn T.J. loslegt, und sich dann zu einem Freund umdreht, weil er sicher gehen will, dass der diesen unglaublichen Scheiß auch wirklich mitbekommt, der da oben gerade passiert.“
T.J., der dabei so hervorgehoben wird, ist der Schlagzeuger der Band. Er ist nicht nur Pulsgeber, sondern auch der Hauptsongwriter des 2006 gegründeten Quintetts. „Ich denke während eines Auftritts nicht allzu viel nach“, sagt T.J. Childers über den Moment, wenn er „loslegt“ und über das, was bei den Konzerten von Inter Arma auf der Bühne geschieht. „An einem guten Abend, wenn alles passt, das Publikum gut ist und auch der Sound stimmt, dann ist es beinahe so, als ob ich gar nicht anwesend bin. Ich denke an gar nichts mehr, ich spiele einfach nur“, so der 41-Jährige im Interview mit der woxx.
Solche guten Abende scheint es nach Meinung der Fans öfter zu geben, die Band wird gerade auch für die von ihr geschaffene Intensität geliebt. „Ehrlich gesagt ist es eine Performance“, so Childers, „aber das bedeutet nicht notwendig, dass ich dem Publikum etwas vorspiele. Ich möchte einfach so viel wie möglich Energie und Emotionen in das stecken, was wir spielen.“ Dass er sich dabei jedes Mal völlig verausgabt, gehört dazu.
Alles zu geben entspringt für ihn vor allem dem Willen, den eigenen Kompositionen gerecht zu werden. Und den Fans. „Wer möchte schon eine Band sehen, die einfach nur auf der Bühne rumsteht und den Song herunterspielt“, sagt Childers. So gehen konsequentes Proben und viel Vorbereitung dem voraus, was während der Auftritte die Energie dann überschießen lässt.
Es ist eine düstere, trostlose Atmosphäre, die dabei heraufbeschworen wird, eine, die für die Hörer*innen auch von Unbehagen begleitet ist. Inter Arma wollen ihr Publikum nicht einlullen, sondern herausfordern. Würde man ihn zwingen, den Sound der Band in einem Wort zusammenzufassen, dann wähle er „Dissonanz“, hat T.J. Childers einmal gesagt. Das hervorgerufene Gefühl entspringt nicht zuletzt der oft trockenen, komplexen Rhythmik, die er selbst mit seinem Schlagzeug vorgibt. Die Gitarren sekundieren dies mit ihren auf Anhieb meist wenig eingängigen, in der Tat dissonanten Riffs.
Aus all dem entwickelt sich eine fesselnde, schwer beschreibbare, brodelnde Magie. Gut ließ sich das während eines Konzert der Band auf dem Desert Fest 2019 in Antwerpen beobachten: Die eine Hälfte des Publikums stand wie gebannt und teils auch etwas fassungslos angesichts dessen, was ihnen da geboten wurde; die andere Hälfte verlor sich wild headbangend in der von der Band erzeugten sonoren Transzendenz.
Damals hatte die Band mit „Sulphur English“ soeben ihre vierte LP veröffentlicht. „Sie packt die Hörer*innen beim Kragen und prügelt während der ganzen Spieldauer auf sie ein“, beschreibt der Schlagzeuger drastisch die Wirkung der Platte. Das kommende Album sei im Vergleich dazu nicht annähernd so aggressiv. „Es gibt mehr Licht und Schatten und definitiv viel mehr Melodie darin“, wobei das keine bewusste Entscheidung gewesen sei. „Wir haben lediglich versucht, die Songs nicht mehr so mäandern zu lassen wie zuvor.“
Ein Inter Arma-Song dauert typischerweise zwischen sieben und zwölf Minuten. Viel Zeit, um durch Klanglandschaften zu wandern und auch mal innezuhalten. Die Stücke der neuen Platte sind wesentlich kürzer. „Es ist ja nicht so, als ob wir jetzt dreiminütige Popsongs schreiben würden“, sagt T.J. Childers dazu, „dass könnten wir wahrscheinlich nicht mal, wenn wir es wollten. Aber unser Songwriting war dieses Mal prägnanter und konziser.”
Hat man deshalb den Albumtitel „New Heaven“ gewählt? „Um ganz ehrlich zu sein, war das zunächst ein Scherz, aber dann hat er seine eigene Bedeutung bekommen. Denn wir haben tatsächlich das Gefühl, dass dies ein neues Kapitel ist. Natürlich trifft das auf jede neue Platte zu, aber diese scheint noch ein bisschen mehr anders zu sein, selbst nach unseren Maßstäben. Es ist mehr Inter Arma, aber auch weniger Inter Arma, falls das überhaupt einen Sinn ergibt“, fasst der Schlagzeuger den Wandel zusammen.
„Man sollte hier und da ein wenig Würze und Akzent reinbringen, ansonsten aber die Gitarren glänzen lassen“, sagt T.J. Childers über die Rolle des Schlagzeugs in der Band.
Bleibt abzuwarten, wie die Fans reagieren, wenn das neue Werk am 26. April in die Läden kommt und auf den verschiedenen Plattformen zu hören ist. Die Grundstimmung, die man mit der Musik von Inter Arma verbindet, bleibt jedenfalls auf dem neuen Album erhalten: Auch dieses ist eine zornige Klage gegen die Conditio humana, die sich allerdings nicht wie Jona an Gott wendet, weil es den ohnehin nicht gibt. Eine Klage, die ohne jede Hoffnung vorgetragen wird, keinerlei Trost kennt, außer jenem, den Skandal, welchen das Leben und das mit ihm verbundene Leid bedeuten, wenigstens offen auszusprechen. Ein Skandal, der im Sterben seinen Höhepunkt findet, aber bereits mit der Geburt seinen unerhörten Anfang nimmt.
Die Stimmung, die Inter Arma mit ihrer Musik erzeugt, erinnert manchmal an den US-amerikanischen Autor Cormac McCarthy. Auch er hat den Skandal des Lebens kurz vor seinem Tod in dem Roman „Der Passagier“ noch einmal in einem Schlüsseldialog auf den Punkt gebracht. Darin führt eine Protagonistin, eine ältere Frau, das Weinen von Kleinkindern darauf zurück, dass sie unglücklich sind. Niemand hat sie gefragt, ob sie auf der Welt sein wollen: „Ich denke, es liegt vor allem daran, dass es ihnen hier einfach nicht gefällt.“ – „Vielleicht wissen sie, was auf sie zukommt“, entgegnet ihre Gesprächspartnerin: „Ich würde vermuten, dass der Grund, warum Kleinkinder nicht noch entsetzter sind, wenn sie in die Welt geworfen werden, einfach darin liegt, dass ihre Fähigkeit zu Entsetzen, Angst und Empörung noch nicht so weit entwickelt ist.“
„Ich bin ein großer Fan von Cormac McCarthy“, sagt T.J. Childers, der eine Verbindung zwischen dem Autor und der eigenen Musik erkennt. „Es gibt immer Parallelen; zumindest in der Kunst, zu der ich mich hingezogen fühle: es steckt immer eine Düsterkeit darin.“
Es ist jedoch nicht nur die Stimmung, in der Childers gewisse Ähnlichkeiten mit den Arbeiten McCarthys erkennt. Er sieht sie auch in der minimalistischen Sprache, die der Autor verwendet, in dessen Art, Dialoge zu schreiben. „Jemand sagte mal, er entwerfe eine absolut typische Art zu sprechen, und doch redet eigentlich niemand wirklich so. Es wirkt fast wie eine antiquierte Sprache, und ich glaube, vom musikalischen Standpunkt aus gesehen trifft das auch auf Inter Arma zu. Unsere Musik ist irgendwie antiquiert, weil unsere Platten nicht wirklich wie moderne Metal-Platten klingen.“ Obwohl die Musik von Inter Arma so komplex und sperrig wirkt, sieht T.J. Childers darin nämlich „eher eine Art Rock’n’Roll der alten Schule“ – „und für mich sind das sowieso die am besten klingenden Platten überhaupt“.
Eine Einordnung, die absolut Sinn macht, auch wenn das aufgrund der Sperrigkeit der Band zunächst überraschend wirken mag. Es gibt jedoch Stücke, in denen man die Einflüsse offenlegt. Eines davon ist „The Long Road Home“ auf dem 2013 erschienen Album „Sky Burial“. Der Albumtitel bezieht sich auf eine vor allem in Tibet praktizierte Bestattungspraxis, in der Leichname an einen meist höher gelegenen Ort verbracht und den Geiern zum Verzehr dargeboten werden, aus spirituellen, aber auch ganz pragmatischen Gründen, weil die Erde für ein Grab viel zu hart gefroren ist. Das Albumcover zeigt eine solche Stätte. Farblich ist es in eisigem blaugrau gehalten. Der betreffende Song jedoch beginnt als minutenlang sich aufbauendes, von warmen Orgelklängen begleitetes, extrem grooviges, blues- inspiriertes Stück. Inter Arma legt hier ihre Wurzeln frei, ehe das Lied nach mehr als sieben Minuten in ein von T.J. Childers’ Blastbeats angetriebenes eiskaltes Black-Metal-Inferno kippt. Sänger Mike Paparo, von dem bis zu diesem Moment noch kein Ton zu hören war, keift seinen Text ins Mikro, mit der stoischen Verzweiflung von jemandem, der lange schon nicht mehr an Erlösung glaubt:
Auf diesem Gipfel werde ich meinen Tod vortäuschen Um den Clan der Aasfresser herbeizurufen Ich rufe euch an, oh üble Bestien Bitte kommt herab auf mich Denn ich bin bereit, die große Kluft zu überqueren In die verborgene Leere Verdunkelt den Himmel und ich schließe meine Augen, Ich werde meine Augen schließen Ich fürchte dieses düstere Schicksal nicht.*
„Sie sind meist nicht politisch, sie sind definitiv eher persönlich“, sagt Childers über Paparos Texte, der in Interviews seinen Kampf mit Depressionen immer wieder offen anspricht. „Es geht aber auch viel um die Umstände menschlicher Existenz im Allgemeinen, dem Umgang mit Traurigkeit und damit, wie beschissen die Welt ist, dem Bemühen, einfach durch den Tag zu kommen und trotzdem ein funktionierender Mensch zu sein und zu versuchen, sich ein gewisses Maß an Glück zu bewahren.“ Der Sänger ist für alle Texte der Band verantwortlich und lässt sich dabei von den entstehenden Stücken inspirieren. Auch die anderen Bandmitglieder steuern Ideen bei, das Gros des Songwriting übernimmt aber der Drummer selbst.
Bereits mit drei Jahren begann er Schlagzeug zu spielen, Mitglied einer Band wurde er schon im Alter von sieben. „Eigentlich wollte ich Gitarre spielen, aber mein Vater brauchte einen Schlagzeuger für seine Coverband, also hat er mich ans Drumkit gesetzt. Ich bin froh, dass er das getan hat“, sagt er über den Beginn seiner Karriere. Zwar weiß er inzwischen auch mit der Gitarre umzugehen, aber „während der ersten zehn Jahre spielte ich nur Schlagzeug, und ausschließlich Coverversionen“. AC/DC, Led Zeppelin, ZZ Top, Lynyrd Skynyrd – beim Spielen ihrer Songs habe er viel gelernt. Vor allem, darauf zu achten, dass das Schlagzeug nie zu sehr im Mittelpunkt steht.
„Man sollte hier und da ein wenig Würze und Akzent reinbringen, ansonsten aber die Gitarren glänzen lassen“, sagt er über den Status seines Instruments in der Band. „Natürlich denke ich mir manchmal ein paar verrückte Schlagzeugrhythmen aus. Den Song „The Children the Bombs Overlooked“ auf „New Heaven“ habe ich ganz um die Drumpatterns herum geschrieben. Aber in den meisten Fällen ist es für mich wichtig, für den Song zu spielen und eine solide Grundlage für das Gitarrenriff zu entwickeln. Denn auch wenn ich Schlagzeuger bin, höre ich, beispielsweise bei AC/DC, doch nicht in erster Linie auf den Drumbeat. Der ist natürlich auch cool, aber ich bin wegen des Gitarrenriffs da.“
Ideen für neue Kompositionen bekommt er eigentlich zu jeder Zeit. Mal auf dem Weg zur Arbeit, mal wenn er am Wochenende verkatert aufwacht und ein wenig Gitarre spielt. Wenn er keine andere Möglichkeit hat, singt er die Gitarren- oder Gesangsmelodie, die er gerade im Kopf hat, leise vor sich hin und nimmt sie mit dem Smartphone auf.
Das Resultat dieser Ideen weiß auch auf „New Heaven“ wieder zu überzeugen. Vom das Album eröffnenden Titeltrack mit seinen Tech-Death-Metal-Anmutungen über das kriegerisch-treibende Follow-Up „Violet Seizures“ und das wütend-grollende Gekessel von „Desolations Harp“ (Harfe der Verwüstung) gelangt man zu den episch-verlorenen Gitarrenriffs von „Endless Grey“, um mit „Gardens in the Dark“ bei einem Dark Wave-gestimmten Song zu landen. „The Children the Bombs Overlooked“ ist, wie von Childers versprochen, gänzlich durch seine aufregenden Drumpatterns akzentuiert – man kann sich vorstellen, wie es aussehen wird, wenn er diesen Track live zum Besten gibt. Ein weiterer epischer Höhepunkt wird mit „Concrete Cliffs“ erreicht; hier wird der Horizont so weit wie in McCarthys Prärieromanen und für den nachfolgenden finalen „Forest Service Road Blues“ bereit gemacht, dem neben Blues- auch Country-Farben in die Struktur gewoben sind:
„It gets colder quicker now, Up on that old mountain’s brow, The sun don’t shine like it used to. But it always comes down.“
Die Abfolge der Songs wirkt sehr durchkomponiert und ist kein Zufall, wie T.J. Childers bestätigt. „Heutzutage ist alles so auf Single-Releases angelegt, und selbst die Songs werden immer kürzer. Aber all die Platten, die ich liebe – wenn ich zum Beispiel „Ride the Lightning“ von Metallica auflege – höre ich mir komplett an. Ich werde mir nicht nur „For Whom the Bell Tolls“ anhören. Deshalb habe ich auch Inter Arma immer als eine Album-Band betrachtet. Die Reihenfolge der Songs ist also definitiv gewollt.“ Eine Platte müsse auch „Hügel und Täler“ haben, meint der Schlagzeuger.
Das alles lebt immer auch von Paparos Texten. Manche davon würden angesichts ihrer lyrischen Qualität ohne musikalische Begleitung auch als Gedichte funktionieren. So greift bei Inter Arma alles ineinander und macht die Band auch deshalb nach wie vor zu etwas besonderem. Live kann man das kommenden Monat im niederländischen Tilburg auf dem Roadburn Festival erleben, wo Inter Arma das neue Album in Gänze spielen wird und sich laut Childers eine „fucking party“ davon erwartet. Im September begibt sich die Band dann auf eine ausgedehnte Europa-Tour.