Das Tool smartwielen.lu erfreut sich großer Beliebtheit. Ein paar Nachbesserungen könnten seine Nützlichkeit aber um ein Vielfaches erhöhen.
„Bereits 190.372 Matchings“ war am Donnerstag groß auf der Startseite von smartwielen.lu zu lesen. Die Anspielung auf die Dating-App Tinder lässt darauf schließen, dass die anvisierte Zielgruppe sowohl jung als auch netzaffin ist. Mit Dating hat smartwielen.lu, einer sogenannten „Voting Advice Application“, die vom Zentrum fir politesch Bildung (ZpB) in Zusammenarbeit mit der Universität Luxemburg entwickelt wurde, allerdings herzlich wenig zu tun.
In einer ersten Phase wurde der spezifisch auf die kommenden Nationalwahlen zugeschnittene Fragenkatalog zusammengestellt. Zu diesem Zweck konnten sowohl Zivilbevölkerung als auch politische Parteien Fragen einreichen, mit „starkem Bezug zur politischen Aktualität in Luxemburg“. Anhand dieser Fragen erstellten das ZpB und die Universität anschließend einen Fragebogen, den zunächst einmal die Parteien und ihre jeweiligen Kandidat*innen beantworten konnten. Seit Mitte September können alle Interessierten die 44 Fragen beantworten, um herauszufinden, mit welchen Parteien beziehungsweise Kandidat*innen sie „matchen“.
Das Tool erfreut sich einer regen Nutzung, kritische Töne hört man selten. Oberflächlich betrachtet ist smartwielen.lu eine demokratiefördernde Maßnahme: Es hilft potenziell, das Risiko, dass Wahlberechtigte aus Überforderung entweder ungültig oder gar nicht wählen, zu verringern.
Dem auf Basis der Antworten berechneten „Matching“ sollte allerdings keine allzu große Bedeutung zugemessen werden. Die 44 Fragen decken zwar eine Reihe von Themenbereichen ab, allerdings nur oberflächlich. Die einzige Frage, die etwa in puncto LGBTIQA+-Rechte gestellt wird, betrifft „die Einrichtung von sicheren Treffpunkten für LGBTIQ+-Personen“. Diese Frage vermag es kaum, Aufschluss darüber zu geben, inwiefern eine Partei homo- oder transfeindliche Positionen vertritt.
Bereits in seiner Konzeption ist smartwielen.lu ein einziges Paradox.
Die Fragen sind die zentrale Schwäche des Tools. Smartwielen.lu soll den Nutzer*innen dabei helfen, sich mit den Positionen der Parteien und Kandidat*innen vertraut zu machen. Die Vorgabe der Positionen, die sie dabei kennenlernen können, wird in der Phase, in der die Fragen von Bürger*innen und Parteien eingereicht werden können, allerdings von einer völlig anderen demografischen und viel politikaffineren Gruppe vorgenommen. Es stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, die im Fragebogen zur Wahl stehenden Themenfelder nach objektiven, wissenschaftlichen Kriterien zu bestimmen. So ließe sich etwa vermeiden, dass, wie es im diesjährigen Fragenkatalog der Fall ist, nur jeweils eine Frage zu Migration, Mobilität, Medien und überhaupt keine zu Gendergerechtigkeit, Inklusion, Medienerziehung, Integration, Klima und Kooperationspolitik gestellt wird.
Bereits in seiner Konzeption ist smartwielen.lu ein einziges Paradox. Es richtet sich primär an Menschen, die sich in der Informationsflut rund um die Nationalwahlen nicht zurechtfinden, oder gar nicht erst damit auseinandersetzen. Gleichzeitig setzen die Entwickler*innen des Tools jedoch voraus, dass der Fragebogen nur als Ausgangsbasis für tiefgründigere Recherchen fungiert. Die Eigeninitiative und Recherchekompetenz, die der Zielgruppe also abgesprochen wird, wird gleichzeitig jedoch vorausgesetzt.
Ein Tool wie smartwielen.lu kann eine individuelle Auseinandersetzung natürlich nie ersetzen, es stellt sich dennoch die Frage, weshalb die Entwickler*innen nicht verstärkt auf Informationsvermittlung innerhalb des Fragebogens setzen. Zwar besteht die Möglichkeit, bei jeder Frage auf den Button „Mehr Informationen“ zu klicken, auf Kontextualisierungen, etwa durch einen historischen Umriss oder Vor- und Nachteile der Maßnahme, hofft man allerdings vergebens.
Nicht zuletzt ist auch die Entscheidung, nicht nur „Matchings“ mit Parteien, sondern mit einzelnen Kandidat*innen herzustellen, mehr als fragwürdig. Was es genau bedeutet, wenn Kandidat*innen nicht die Parteilinie vertreten: Mit dieser Frage werden die Nutzer*innen alleine gelassen. Durch die Art, wie das Tool angelegt ist, regt es zum Panaschieren an, über Vor- und Nachteile dieser Wahlmethode wird jedoch nicht aufgeklärt.
Einen Schaden wird smartwielen.lu wohl kaum anrichten. Ob es Nutzer*innen tatsächlich zu vertiefter Recherche anregt, darüber lässt sich in Abwesenheit entsprechender Studien nur spekulieren. Wer sich mit dem hiesigen Wahlsystem, der Funktionsweise des Parlaments und den ideologischen Ausrichtungen der Parteien auskennt, kommt jedoch nicht umhin sich an den flagranten Schwächen des Tools zu stoßen.