Theater: Ein Stück Lampedusa

Das Escher Theater zeigt am 9. und am 10. Februar „Abysses“ von Davide Enia, inszeniert von Alexandra Tobelaim: ein dokumentarisches Theaterstück über Schutzsuchende auf Lampedusa und die Familiengeschichte des Autors.

Nächste Woche im Escher Ariston: „Abysses“ mit der Musikerin Claire Vailler und dem Schauspieler Solal Bouloudnine. (COPYRIGHT: Matthieu Edet)

Die Ankunft von Schiffen aus Drittstaaten, auf denen zahlreiche Schutzsuchende auf eine bessere Zukunft in Europa hoffen, kennen die meisten Menschen nur aus den Medien. Nicht so der italienische Autor Davide Enia, der sich 2018 gemeinsam mit seinem Vater auf der sizilianischen Insel Lampedusa befand und somit Augenzeuge davon wurde. Eine Erfahrung, aus der sein Stück „LʼAbisso“ hervorging, welches nächste Woche in französischer Übersetzung von Olivier Favier im Escher Ariston aufgeführt wird. Alexandra Tobelaim, Direktorin des Centre dramatique national transfrontalier de Thionville Grand-Est, führt Regie.

Wer ausschließlich Geschichten von Flüchtlingen erwartet, täuscht sich. Zwar spielen sie in Enias Stück eine wichtige Rolle, doch verarbeitet der Autor darin auch seinen Austausch mit den Inselbewohner*innen sowie Bruchstücke seiner eigenen Familiengeschichte. Enia kehrte nach seinem ersten Besuch der Insel mehrfach dorthin zurück und entwickelte einen Bezug zu allen möglichen Akteur*innen vor Ort. „Jʼai passé beaucoup de temps sur lʼîle à essayer dʼétablir un dialogue avec les témoins directs : les pêcheurs et les garde-côtes, les habitants et les médecins, les bénévoles et les plongeurs“, schrieb er 2023 im Ankündigungstext zur Aufführung seines Stücks im Istituto italiano di cultura in Paris über die Entstehung seines Werks.

In anderen Kommentaren zu seinem Manuskript beschreibt er sowohl die Worte als auch das Schweigen seiner Gesprächspartner*innen als Ausdruck der Geschichtsschreibung. Für ihn seien die Geschehnisse auf Lampedusa ohnehin weit mehr als ein Zusammentreffen der Kulturen und Länder. Sie schlügen gleichzeitig eine Brücke zwischen historischen Perioden; zwischen der Welt, wie wir sie heute kennen, und der, die sie morgen sein könnte. „Tout est déjà en train de changer“, so Enia. „Cela fait déjà plus quʼun quart de siècle que cʼest en train de changer.“

Migrationspolitik auf der Bühne?

Für die Darbietung dieses politisch wie sozial betrachtet komplexen Themas, hat sich der Autor für die Vermischung unterschiedlicher Darstellungsformen entschieden: Er bedient sich verschiedener Sprachen; kombiniert traditionelle Lieder, die Fischer*innen entlang der Route zwischen Afrika und Sizilien singen, mit den Melodien seiner Geburtsstadt Palermo. Und wie interpretiert Alexandra Tobelaim sein Werk?

Sie konzentriert sich auf das Wesentliche: In ihrer Aufführung stehen die Musikerin Claire Vailler und der Schauspieler Solal Bouloudnine im Mittelpunkt. Im Magazin des Escher Theaters, online abrufbar auf theatre.esch.lu, verrät die Regisseurin ihren persönlichen Bezug zu Davide Enias Text. Sie wurde durch Olivier Favier auf „LʼAbisso“ aufmerksam. Tobelaim hatte bereits 2011 ein Stück von Enia inszeniert, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Solal Bouloudnine – und zwar „Italie-Brésil 3 à 2“: Dabei handelt es sich um ein Einpersonenstück über das entscheidende Fußballspiel zwischen Italien und Brasilien bei der Fußballweltmeisterschaft 1982. Als Favier Tobelaim „LʼAbisso“ empfahl, arbeitete er noch an der Übersetzung, die Regisseurin kämpfte sich also zunächst durch die italienische Originalversion. Trotz sprachlicher Hindernisse habe sie der Text sofort eingenommen, so die Regisseurin in ihrem Beitrag für das Magazin. „Davide met des mots sur la complexité de lʼhumain dans ce rapport aux migrants, à cette crise humanitaire qui se déroule sur les plages du Sud de lʼEurope et dans nos villes“, schreibt sie.

Der Text liefere keine Antworten, er gebe dafür aber Einblicke in die Lebensrealität der Menschen, die zu Rettungsaktionen ins Mittelmeer ausrücken. Oder auch in die derjenigen, die die Schutzsuchenden empfangen – sowohl mit offenen Armen als auch mit Widerstand. Die Regisseurin betont, Enias Text sei frei von Urteilen. Es scheint demnach, als habe dort jede Wirklichkeit Platz.

Im Laufe der Erzählung vermischen sich die Geschichten der Schutzsuchenden, der Einheimischen und der Aktivist*innen mit der des Autors, der eine komplizierte Verbindung zu seinem wortkargen Vater pflegt. „Elles sont animées de la même fragilité, toutes deux nourries dʼespoir“, schreibt Tobelaim über die zwischenmenschlichen Beziehungen, die im Theaterstück behandelt werden. Allgemein stehe das Werk im Kontrast zur aktuellen Informationsstrategie, wie Tobelaim sie bezeichnet. Nach dieser werde auf Emotionen gesetzt, statt die Komplexität der Migrationspolitik und ihrer Folgen zu beleuchten. Die Emotionalisierung des Diskurses bringe mit sich, dass sich viele Menschen angesichts grassierender Krisen in Europa ohnmächtig und zur Hinnahme verdammt fühlten. Enia, den Tobelaim einen Poeten nennt, verhelfe der Debatte hingegen zu mehr Menschlichkeit. Das wiederum gebe Hoffnung, schaffe Vertrauen und verhelfe zu mehr Energie.

Ob das Publikum diese Ansicht teilt, wird sich am kommenden Wochenende zeigen, wenn das Stück gleich zwei Tage in Folge aufgeführt wird. Während die Premiere am Freitag ohne Rahmenprogramm auskommt, finden am Samstag zwei begleitende Zusatzveranstaltungen statt: Alexandra Tobelaim führt um 19:30 Uhr in das Stück ein; im Anschluss an die 75-minütige Theateraufführung können die Besucher*innen zudem einem Rundtischgespräch über Migrationsfragen beiwohnen. Eingeladen sind Charlotte Brouxel (Amnesty International Luxembourg), Sérgio Ferreira (Asti) und Ambre Schulz (Passerell). Sowohl das Theaterstück als auch das Rundtischgespräch sind in französischer Sprache.

Abysses, am 9. und am 10. Februar um 20 Uhr im Ariston (9, rue Pierre Claude, Esch-sur-Alzette). Tickets unter theatre.esch.lu.

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