Tiny Houses: Leben im Schuhkarton

Durch Mustervorschriften können Gemeinden nun leichter sogenannte Tiny Houses in ihre Regelungen aufnehmen. Eine 180-Grad-Wende der Regierung, die nun vorgibt, mit den kleinen Behausungen gegen die Wohnungsnot kämpfen zu können.

Der Energie- und Ressourcenverbrauch von Tiny Houses ist größer als man denkt. (Foto: Thomas Werneken/Unsplash)

„Ich will doch nicht in so einem Schuhkarton wohnen!“, heißt es in Luxemburg oft, wenn über das Wohnen diskutiert wird. Manchmal wird auch der Ausdruck „Kaninchenstall“ verwendet – gemeint sind aber stets Wohnungen in Mietshäusern. Der luxemburgische Traum ist nach wie vor ein freistehendes Einfamilienhaus mit einem großen Garten, aber das ist für kaum jemanden noch leistbar. Da Mehrparteienhäuser in Luxemburg stets als Investition statt als Lebensraum gebaut werden, fühlen sie sich oft tatsächlich an wie ein sehr teurer Schuhkarton.

Am 3. Mai stellte Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) Mustervorschriften vor, mit denen Gemeinden Tiny Houses ganz einfach in ihre bestehenden Regelungen aufnehmen können. Damit soll eine „alternative, nachhaltige und minimalistische Wohnform“ nicht mehr an den städtebaulichen Vorschriften scheitern. Die Präsentation beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Bürokratie, sondern sang auch eine Lobeshymne auf Tiny Houses: Weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, weniger Konsum und mehr Dankbarkeit, sogar eine höhere finanzielle Sicherheit und mehr Zeit für soziales Engagement verspricht die Präsentation der Regierung. Das klingt fast so, als würde man nicht in einen kleinen Wohncontainer ziehen, sondern in einen magischen Pilz, um fortan im Land der Schlümpfe zu wohnen.

Taina Bofferdings Mustervorschriften sind ein klares Wahlkampfmanöver: Die Tiny House Community ist zufrieden und das Gemeindewahlprogramm der LSAP wurde um einen Punkt realistischer. Außerdem klingt „alternative Wohnformen“ immer gut. Aber wie glaubwürdig ist eine Innenministerin, die genau das Gegenteil von dem tut, was sie vor drei Jahren gesagt hat? Gemeinsam mit Henri Kox (Déi Gréng) beantwortete Bofferding im August 2020 eine parlamentarische Anfrage zu Tiny Houses – und argumentierte in eine komplett andere Richtung.

Wie glaubwürdig ist eine Innenministerin, die genau das Gegenteil von dem tut, was sie vor drei Jahren gesagt hat?

Hieß es damals noch, Tiny House-Siedlungen verschwendeten zu viel Platz, nennt Bofferding das heute „zusätzlichen Wohnraum auf Flächen zu schaffen, die sonst brachliegen würden“. Vor drei Jahren sollten die kommunalen Regelungen ohne Tiny Houses eine „möglichst harmonische Entwicklung der Städte und Dörfer sowie eine gute Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger“ garantieren. Die soll sich 2023 durch „eine Vielfalt an Wohntypologien“ und „Erhöhung der sozialen Durchmischung“ verbessern, indem Leichtbauwohnungen erlaubt werden.

Foto: Aysegul Yahsi/Unsplash

Dabei sind die Argumente von 2020 nicht unbedingt falsch gewesen. Baut man auf ein Grundstück ein großes Mehrparteienhaus mit vielen Wohnungen, können dort sicher mehr Menschen leben, als wenn man auf die gleiche Fläche zehn Tiny Houses baut. Die brauchen auch alle einen eigenen Strom- und Wasseranschluss und können durch ihr kleines Volumen nicht so gut gedämmt werden. Obwohl ein „minimalistischer“ Lebensstil sicherlich Ressourcen einspart, weil man weniger Dinge kauft, so verbraucht er auf der anderen Seite wieder vergleichsweise viel Fläche und Energie. Der Traum vom Tiny House bedient viele Fantasien: ein günstiges Eigenheim im Grünen, mehr Freizeit, Achtsamkeit, Gemeinschaft. Doch es werden sich nicht alle Probleme der spätkapitalistischen Gesellschaft in Luft auflösen, nur weil man die Wohnform geändert hat. Sicherlich werden sich einige Menschen finden, die in den Leichtbauhäuschen erfüllt wohnen werden – ob ihr Lebensstil jedoch wirklich so nachhaltig ist, wie sie es sich erhoffen, ist eine andere Frage.

Eine Lösung für die Wohnungsnot in Luxemburg sind Tiny Houses auf jeden Fall nicht. Um günstigen und hochqualitativen Wohnraum zu schaffen, muss die öffentliche Hand selbst ran. Es ist durchaus möglich, in einem „Schuhkarton“ zu wohnen und trotzdem einen grünen Innenhof und Gemeinschaft zu haben, wie hunderte Wohnprojekte überall auf der Welt beweisen. Solche „alternativen“ Wohnformen könnte es auch in Luxemburg geben – es müssten nur ein paar Kommunalpolitiker*innen genügend Mut zusammenbringen.


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