Verschwörungsmythen: Von roten Löwen und Schafen

Die Covid-Pandemie hat für eine neue Welle an Verschwörungsmythen gesorgt. Es droht eine Radikalisierungswelle.

Manchmal müssen Corona-Leugner*innen mit antifaschistischem Gegenwind rechnen, so wie hier im November 2020 in Leipzig. (Foto: „le0606 (Antifa) – Systemupgates-Transpi und Antifa-Fahne“ von Gregor Wünsch.CC-BY-SA 2.0, verändert durch die woxx)

„Ich bin Luxemburger und wie der rote Löwe bin ich kein Schaf! Keine Maske, kein Test, keine Impfung, kein 5G, keine neue Weltordnung.“ Ein Schild, das ein Teilnehmer der Demonstration gegen die Anti-Covid-Maßnahmen der Regierung am letzten Wochenende trug, fasst die Haltung vieler Verschwörungsgläubigen zur Pandemie ganz gut zusammen. Als „Schafe“ oder „Schlafschafe“ gelten in diesen Kreisen, alle anderen. Die sind aus ihrer Sicht (noch) nicht „aufgewacht“ und benehmen sich wie Mitglieder einer Schafherde. Die Demonstration war eigentlich von Vertrer*innen aus dem Gastgewerbe organisiert worden, doch unter ihnen waren auch einige Personen, die eindeutig Verschwörungsmythen verfallen sind.

Sieht man sich einschlägige Facebook-Gruppen an, so merkt man schnell, dass die Verschwörungsgläubigen auch in eher harmlosen Gruppen missionieren und ihre Propaganda dort hinterlassen. So wird versucht, den nachvollziehbaren Ärger der Wirt*innen und Gastronom*innen dafür zu nutzen, sie von den Verschwörungsmythen zu überzeugen. Wer ohnehin einen Groll gegen die Covid-Maßnahmen hegt, wird vermutlich eher einem Video Glauben schenken, in dem die Pandemie als Hoax „entlarvt“ wird. „Pseudopandemie, erzwungene Restriktionen, gefälschte PCR-Tests, Maskenzwang, aufgeblasene Todeszahlen, 5G“ steht etwa auf den Bildern, die in die Gruppen gepostet werden. Dazu immer wieder die Botschaft „Wacht auf!“

Der Aufruf, doch endlich aufzuwachen, passt sehr gut zu dem, was Verschwörungsgläubige erleben, wenn sie zum ersten Mal in die Welt dieser Mythen eintreten. Es gleicht dem, was andere Radikalisierte – ob Rechtsextreme oder Sektenmitglieder – berichten: Ein Erweckungserlebnis, das eine*n nicht nur eine vermeintliche Wahrheit erkennen lässt, sondern eine*n auch über die meisten anderen Menschen stellt. Die Alt-Right hat die rote Pille aus dem Film Matrix als Metapher für dieses Gefühl ausgewählt. Im Film hat der Held Neo die Wahl, in der Matrix zu verbleiben oder die Wahrheit zu erkennen. Für Letzteres muss er eine rote Pille schlucken.

Schnitzeljagd statt Recherche

Liest man in den Gruppen von Verschwörungsgläubigen mit oder diskutiert mit ihnen, fällt eine Tatsache besonders auf: Sie geben an, ihre vermeintlichen Fakten selbst „recherchiert“ zu haben. Dazu wird auch immer wieder aufgefordert, oft mit vorgegebenen Schlagwörtern, nach denen gesucht werden soll. So ist in Videos, die Verschwörungsmythen verbreiten, oft zu hören, dass man dem*der Verfasser*in nichts glauben, sondern alles selbst überprüfen sollte. Dahinter versteckt sich mehr als ein generelles Misstrauen gegenüber den Medien oder eine Unkenntnis journalistischer Arbeitsmethoden und Prozesse.

Recherche wird nicht als methodischer Vorgang, der immer mit Quellenkritik einhergeht, aufgefasst, sondern verwandelt sich zu einer wilden Schnitzeljagd quer durch das Internet, bei der jene, die besonders laut, reißerisch und gegen einen vermeintlichen Mainstream argumentieren, Vertrauen geschenkt bekommen. Im August 2020 schrieb der Spielentwickler Adrian Hon einen Blogeintrag, in dem er die QAnon-Verschwörungstheorie mit Alternate Reality Games (ARGs) verglich. ARGs sind Spiele, bei denen viele Menschen gemeinsam Rätsel lösen und Hinweise sammeln, die etwa auf Filmpostern versteckt sind. Oft sind ARGs ein Marketinginstrument für Filme oder neue Produkte. Dadurch, dass die Hinweise überall im Netz und in der Öffentlichkeit gefunden werden können, müssen die Teilnehmer*innen zwangsläufig ein verschwörerisches Denken entwickeln: Alles ist miteinander verbunden, jede noch so spekulative Theorie könnte zur Lösung führen.

Hon schreibt in seinem Beitrag die QAnon-Verschwörungsgläubigen würden die gleichen Mechanismen anwenden. Mit dem großen Unterschied, dass es bei ARGs eine vordefinierte Geschichte und ein Ende gibt, während dies bei Verschwörungsmythen fehlt. Das Erfolgserlebnis, selbst auf die Spur eines großen Rätsels gekommen zu sein und die Puzzleteile zusammenzufügen, dürfte jedoch ähnlich sein. Diese Erfolgserlebnisse, egal wie weit die „Recherche“ von der Realität abweicht, dürften ein zentraler Mechanismus in der Verbreitung von Verschwörungsmythen darstellen.

Ausgrenzung und Blasenbildung

Die Art und Weise, wie verschiedene Medien berichten, begünstigt dies noch. So wird über technische Entwicklungen oft in sehr optimistischen Tönen berichtet, die Grundlagenforschung wie tatsächlich existierende Erfindungen wirken lassen. Gerade in Boulevardmedien wird auf Kontext verzichtet und Spekulationen werden wie Tatsachen formuliert. So ist es wenig verwunderlich, dass manche Menschen glauben, es gäbe Mikrochips, die unbemerkt bei Impfungen eingepflanzt werden könnten.

Ein weiterer Faktor, der dazu führt, dass Verschwörungsgläubige relativ schnell ein geschlossenes Weltbild haben, ist die Gruppenzugehörigkeit. Spricht man krude Theorien an, wird man von seinem Umfeld oft ausgegrenzt. Innerhalb der Gruppe jener, die an Verschwörungsmythen glauben, fühlen sich Betroffene jedoch verstanden und können sich austauschen. In vielen Posts in einschlägigen Gruppen liest man den Frust auf die „Schlafschafe“ heraus. Gemeinsam mit einer einseitigen Mediendiät führt dies schnell dazu, dass die Betroffenen sich in einer Blase bewegen, aus der sie schwer wieder herauskommen.

Karin Weyer von der Anti-Radikalisierungsstelle Respect.lu rät auch deswegen, den Kontakt zu Verschwörungsgläubigen aus dem eigenen Umfeld nicht abzubrechen: „Es ist wichtig, den Drahtseilakt zu versuchen, einerseits den Respekt vor der Person rüberzubringen und andererseits auch klar Position zu beziehen, wenn menschenverachtende Dinge gesagt werden. Was wir tun können, ist die Menschen aus dem Umfeld zu unterstützen, das heißt Gespräche vor- und nachzubereiten und Möglichkeiten zu suchen, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Wir halten das für sinnvoll, den Kontakt nicht abzubrechen, auch wenn das, was einem erzählt wird, abstrus scheint. Ansonsten kann die Person noch tiefer in die Verschwörungsgemeinschaften abdriften.“

Foto: „GoToVan COVID-19 Anti-Lockdown Protest in Vancouver, May 3rd 2020“ von GoToVan, lizensiert unter CC-BY-SA 2.0, verändert von der woxx.

Den Kontakt halten

Respect.lu hatte bisher eher mit „klassischen“ Radikalisierungen zu tun, also mit politischen oder religiösen. Noch haben sich keine Menschen aus dem Umfeld von Corona-Leugner*innen oder Anhänger*innen ähnlicher Verschwörungsmythen gemeldet. Die Initiative sieht sich hier aber durchaus zuständig, hat auch bereits Ende März, kurz nach Beginn des ersten Lockdowns eine entsprechende Pressemitteilung verschickt. „Der Glaube an Verschwörungserzählungen ist ein Brandbeschleuniger für Radikalisierung“, warnt Weyer.

Ein besonders wichtiger Punkt im Umgang mit Verschwörungsgläubigen sei, die Menschen nicht als dumm oder unwissend abzutun, so Weyer: „Über Verschwörungsgläubige wird schnell gesagt, dass sie entweder dumm oder verrückt seien. Das stimmt nicht und es ist wichtig, das festzuhalten. Es kann eigentlich jedem von uns passieren, dass man in so etwas hineinrutscht, wenn man gerade in einer instabilen Situation ist, alleine ist, und so weiter. Es ist leicht, sich von Verschwörungsmythen abzugrenzen und zu denken, ‚Das sind ja nur die anderen.‘ Aber das stimmt nicht und das merken wir auch alle, weil es unsere Familien und Bekannte betrifft.“

Wer Menschen in seinem Umfeld hat, die an Verschwörungserzählungen glauben, sollte diese also nicht wegdrängen, sondern das Gespräch suchen, dabei aber durchaus seine Meinung vertreten. Unsere Gesellschaft wird Lösungen finden müssen, um Corona-Leugner*innen und andere Verschwörungsgläubige wieder in die Realität zu integrieren.


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