Von Moskau nach Luxemburg: „Ich hatte Angst 
um mein Leben“


Jahrelang hat sich die 37-jährige Irina Fedotova in der Russischen Föderation für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen (LGBTI) engagiert. Weil man ihr das Leben zur Hölle gemacht hat, ist sie vergangenen August nach Luxemburg geflohen und hofft nun auf Asyl.

Möchte sich im Exil in Luxemburg für Flüchtlinge engagieren: Die russische LGBTI-Aktivistin Irina Fedotova. Foto: David Angel

Möchte sich im Exil in Luxemburg für Flüchtlinge engagieren: Die russische LGBTI-Aktivistin Irina Fedotova. (Foto: David Angel)

woxx: Warum mussten Sie die Russische Föderation verlassen?


Irina Fedotova: Ich habe während der vergangenen zehn Jahre für meine Rechte als Homosexuelle in Russland gekämpft. Ich war eine der OrganisatorInnen der Moskau Gay-Pride und ich habe wegen meiner sexuellen Orientierung, wegen meines sozialen Geschlechts und der Xenophobie anderer viel Diskriminierung erfahren. Und ich bin vom russischen Staat verfolgt worden.

Wie sind Sie zu einer LGBTI-Aktivistin geworden?


Die Moskauer Gay-Pride ist in den vergangenen zehn Jahren verboten gewesen. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich dagegen etwas unternehmen muss. Also haben wir, unter anderem mein Freund Nikolay Alekseev und ich, die Gay Pride jedes Jahr wieder zu organisieren versucht. Wir haben die Genehmigung der Veranstaltung beantragt, die Parade wurde daraufhin jedoch von der Regierung verboten. Wir sind dann zur Hauptstraße in Moskau, der Twerskaja, gezogen und haben demonstriert. Woraufhin wir regelmäßig von der Polizei geschlagen und verhaftet worden sind.

Wurden Sie nur von der Polizei angefeindet?


Nein, auch viele Menschen in meiner Umgebung und bei der Arbeit haben sich durch meine sexuelle Orientierung und mein Aussehen angegriffen gefühlt. Ich sehe nicht aus, wie eine Frau dem stereotypen Verständnis nach in Russland aussehen sollte, mit meinem Tattoo und so.

„Ich bin es leid, für das Recht zu kämpfen, ich selbst zu sein.“

Wie hat sich die Situation für LGBTI verändert, seit 2013 in der Russischen Föderation das Verbot „homosexueller Propaganda“ in Kraft getreten ist?


Es ist alles noch viel schlimmer geworden. Schwule und Lesben können sich nun im öffentlichen Raum gar nicht mehr treffen – sei es zu Demonstrationen, Kundgebungen oder auch nur zu gemeinsamen öffentlichen Treffen und Veranstaltungen. Das war zuvor im Wesentlichen auch schon so, doch da mussten sich die Behörden immer Gründe einfallen lassen, warum diese oder jene Veranstaltung nicht genehmigt werden kann. Nun beruft man sich einfach auf dieses Gesetz.

Was hat letztlich zu Ihrer Flucht aus Russland geführt?


Im vergangenen Jahr ist Nikolay Alekseev bei der Gay Pride verhaftet worden und wurde von der Polizei zehn Tage lang festgehalten. Man hat ihm einen Finger gebrochen, alles war sehr aggressiv. Auch ich hatte an der Gay Pride teilgenommen, konnte jedoch fliehen. Daraufhin ist die Polizei zur Wohnung meiner Mutter gegangen und hat auch sonst überall nach mir gesucht. Sie haben bei meinen Freunden nach mir gefragt, doch ich hatte mich versteckt. Im August wurde ich dann in Moskau von zwei mir unbekannten Männern angegriffen und zusammengeschlagen. Sie haben mich als „Schwuchtel“ beschimpft. Außerdem hat man mich auf Facebook bedroht. Ich habe auch SMS-Nachrichten bekommen, in denen Sachen standen wie „wir werden dich umbringen, du Schwuchtel, du hast kein Recht zu leben“. Ich habe sehr viele solche Drohungen bekommen. Nachdem ich zusammengeschlagen worden war, ist mir klar geworden, dass ich so nicht weiterleben kann. Ich hatte einfach wirklich Angst um mein Leben, aber auch um das Leben meiner Mutter und meiner Schwester.

Wie haben Sie Ihre Flucht bewerkstelligt?


Zufällig hatte ich ein Schengen-Visum, weil ich ohnehin vorhatte, Luxemburg zu besuchen. Meine Mutter war vor ungefähr zwei Jahren hier gewesen und kam ganz begeistert zurück. Angesichts der Situation habe ich mir dann gesagt: Ich habe das Visum – jetzt gehe ich.

Wie geht es Ihnen in Luxemburg?


Natürlich bin ich zunächst einmal froh, dass ich hier bin, aber ich fühle mich isoliert. Im Flüchtlingsheim, das ja jetzt mein zuhause ist, lebe ich mit Menschen zusammen, die mich nicht akzeptieren oder nicht verstehen, manche hassen mich sogar. Es ist also schwierig, meine Persönlichkeit auszuleben, auch weil ich ja nicht das nötige Einkommen habe, um mal in eine Bar oder in einen Club zu gehen. Das macht es natürlich auch schwer, LGBTI-Leute aus Luxemburg zu treffen. In gewisser Weise bewege ich mich in einem seltsamen Niemandsland zwischen Irak und Syrien.

Das klingt anstrengend.


Ja, und ich bin es wirklich leid, für das Recht zu kämpfen, ich selbst zu sein. In Russland habe ich mein ganzes Leben lang gekämpft. Und als ich in Luxemburg angekommen bin, habe ich gehofft: Das ist Europa, hier werde ich frei sein, hier gibt es Rechte für Homosexuelle, gleichgeschlechtliche Ehe, der Premierminister ist schwul… – aber ganz so einfach geht es eben doch nicht. Ich muss also noch weiterkämpfen.

Was erhoffen Sie sich für Ihre Zukunft?


Ich hoffe auf die Entscheidung über meinen Asylantrag. Ansonsten versuche ich nette Menschen kennenzulernen, mit LuxemburgerInnen in Kontakt zu kommen, das ist wichtig für mich. Ich mag Luxemburg sehr und hoffe, dass hier meine Zukunft liegt. Zurzeit lerne ich vor allem Sprachen, damit ich die Sprachbarriere überwinden kann. Und künftig möchte ich in einer NGO mitarbeiten oder vielleicht sogar eine eigene Hilfsorganisation gründen, die sich auch, aber nicht ausschließlich um LGBTI-Flüchtlinge kümmern soll.


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