Von Piraten und Seelenverkäufern

In den sozialen Medien wird heftig darüber gestritten, dass die Abgeordneten der Piraten mit der ADR eine technische Fraktion bilden. „Das haben die Grünen 1989 genauso gemacht“, lautet ein Rechtfertigungsversuch.

Die Bildung einer „technischen Fraktion“ durch ADR und Piraten – nur eine Neuauflage einer bereits von den Grünen genutzten Strategie? Einige kleine, aber „feine“ Unterschiede gibt es zur Situation vom Herbst 1989. Damals war es in Luxemburg nicht nur der Fall der Berliner Mauer, der Aufsehen erregte. Auch die „Trapebesetzung“ im Abgeordnetenhaus sorgte für einigen Wirbel: Die neun Abgeordneten der „kleinen“ Parteien ohne Fraktionsstatus ADR (4), Gap (2), Glei (2) und KPL (1) organisierten zur Chamber-Rentrée ein Sit-in und versperrten den Kolleg*innen der drei großen „Alt“-Parteien den Zugang zum Plenarsaal.

Zur Strafe wurden die Beteiligten zwar für einige Zeit aus den Plenar- und Ausschusssitzungen ausgeschlossen und ihnen das entsprechende Sitzungsgeld aberkannt. Doch mittelfristig zahlte sich die Aktion für sie aus: Die Mainstreamparteien hatten erkannt, dass sie es mit politischen Bewegungen zu tun hatten, die nicht wie so mache Kleinstparteien früherer Zeiten nach einer Mandatsperiode wieder von der Bildfläche verschwanden oder von einer der Großparteien einverleibt werden konnten.

Ein Weg zu einer besseren Einbeziehung der „non-inscrits“, wie die Fraktionslosen genannt wurden, war die Schaffung des „groupe technique“, der mehr Mitsprache, aber auch mehr Geld versprach. Für manche Mitglieder an der grünen Basis durchaus ein trojanisches Pferd, weil ein Zusammengehen mit der wenige Monate zuvor im Wahlkampf noch heftigst bekämpften Schwesterpartei Glei fast soviel Bauchweh verursachte wie die Kooperation mit dem rechten ADR und/oder der wenig reformbereiten KPL.

Aber der Haufen war bunt genug, dass der Verdacht, hier könne sich gleich und gleich gesellen, erst gar nicht aufkam. Zumindest an der Gap-Basis wurde der Schritt debattiert und für gut befunden, sofern auch die KPL im Boot behalten werde. Eine technische Gruppe ohne ADR wäre mathematisch auch möglich gewesen, von Seiten der Glei aber wohl kaum akzeptiert worden. Der Vorteil: Keine der am Ende vier beteiligten Gruppen konnte den „groupe technique“ alleine sprengen.

Darüber hinaus waren vor der „Trapebesetzung“ die Mittel für Abgeordnete ohne Zugehörigkeit zu einer Fraktion noch weit geringer als heute. Der „groupe technique“ erlaubte es den Grünen, ihren Personalbestand erheblich auszuweiten.

Zwar war die ADR schon immer eine rechte, populistische Klientel-Partei. Sie hatte aber noch keine Figuren vom Schlage Fernand Kartheisers und Roy Redings in ihren Reihen – von potenziell nachrückenden Fred Keups ganz zu schweigen. Bis 1999 war sie vor allem damit beschäftigt, das Pensionsstatut der Staatsbediensteten zu torpedieren.

Doch zurück in die Gegenwart: Die Grünen mögen über das Zusammengehen von Piraten und ADR lamentieren, richtig ärgern dürften sich allerdings déi Lénk. Deren finanzielle Ausstattung und Präsenz  in Gremien und Chamber fällt jetzt hinter die der Piraten zurück – trotz gleicher Anzahl von Mandaten. Mit einer Art technischer Regenbogengruppe gemeinsam mit ADR und Piraten hätte man wohl weniger Probeme gehabt, als allein mit dem ADR zusammenzugehen, wie zu Beginn der vorausgegangenen Legislaturperiode strikt abgelehnt. Nur dieses Mal wurden sie erst gar nicht mehr gefragt, wie Gast Gibéryen betonte.

Spannender als der derzeitige Ärger bei den Grünen oder déi Lénk ist allerdings, was bei den Piraten abgeht, wo manch eine*r von dem umstrittenen Schritt über ein vom ADR verbreitetes Kommuniqué erfahren hat. Unmittelbar nach den Wahlen hatte Parteipräsident Sven Clement dies wegen zu großer politischer Differenzen mit der rechtspopulistischen Partei noch ausgeschlossen (woxx 1498). Das jetzige Vorgehen war intern weder abgesprochen worden, noch trifft es auf einhellige Zustimmung – im Gegenteil. So zeigen sich die der Transparenz verpflichteten Piraten-Abgeordneten hinsichtlich ihres aktuellen parlamentarischen Geschäftsgebarens hier ziemlich zugeknöpft.

Fast mag es scheinen, als hätten die Piraten ihre Seele schon verkauft, noch ehe die erste richtige parlamentarische Schlacht begonnen hat. Der ADR profitiert mit vier Abgeordneten erheblich mehr vom Gruppenstatus als die zwei Piraten. Zumindest diesen Umstand hätten die Piraten sich im Gegenzug unter anderem durch eine paritätische statt bloß proportional gewichtete Besetzung des Vorsitzes vergüten lassen können.

Dass nun ausgerechnet zu Beginn Fernand Kartheiser den Vorsitz hat (weil Gast Gibéryen derzeit als Alterspräsident der Chamber fungiert), ist ein nicht nur symbolischer faux-pas. Die Piraten werden nicht müde, ihre Verbundenheit mit der Zivilgesellschaft zu betonen, doch betätigen sie sich jetzt als Steigbügelhalter eines Abgeordneten, der seine parlamentarische Energie zu einem großen Teil darauf verwendet, Teile genau dieser Zivilgesellschaft zu denunzieren.


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