Ende September siegte die Rechte bei den italienischen Wahlen. EU-Politiker*innen sind besorgt. Was die italienische Gemeinschaft in Luxemburg von den Ergebnissen hält.
Das Handy blinkt auf, die Nachricht einer Bekannten trudelt ein. In der Vorschau werden kotzende Emojis angezeigt, darunter der Satz: „Die Wahlergebnisse pissen mich so an, dass ich nicht darüber reden will. Tut mir leid.“ In den darauffolgenden Tagen erscheinen ähnliche Nachrichten auf dem Bildschirm: Viele der Italiener*innen in Luxemburg wollen sich nicht zu den Wahlen in ihrem Herkunftsland äußern und stehen Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia), der rechtsextremen Wahlsiegerin vom 25. September, kritisch gegenüber. Dabei setzten 23 Prozent der wahlberechtigten Italiener*innen in Luxemburg bei der Wahl der Abgeordnetenkammer und 24 Prozent bei der Wahl des Senats ein Kreuzchen hinter Melonis Partei. Damit belegte sie beide Male den zweiten Platz, hinter dem Partito Democratico (PD). Die Wahlbeteiligung in Luxemburg war, wie auch in Italien, überschaubar: Schritten dort 63,79 Prozent der stimmfähigen Bevölkerung zur Urne, waren es hierzulande nur 35,18 Prozent der 25.725 Wahlberechtigten. Interessanterweise teilen gerade diejenigen, die sich dieses Jahr nicht an den Wahlen beteiligt haben, bereitwilliger ihre Meinung zu den Ergebnissen und ihre Sicht auf Italiens Politik. Die Gründe, aus denen sie nicht gewählt haben, variieren.
„Ich wüsste zurzeit nicht, wen ich wählen soll“
Familie Bianchi* sitzt beim Gespräch mit der woxx über die Wahlergebnisse in Italien an ihrem Küchentisch, irgendwo im Süden Luxemburgs, an der Wand hängt ein Poster mit verschiedenen Pastasorten. Alle drei sind wahlberechtigt, haben die doppelte Staatsangehörigkeit. Gianna* ist vor über 60 Jahren als Kleinkind mit ihrer Familie nach Luxemburg ausgewandert. Ihr Ehemann Giovanni*, ebenfalls gebürtiger Italiener, ist vor 48 Jahren ins Großherzogtum immigriert. Sie haben zwei gemeinsame Kinder, das Älteste ist in Italien geboren, wo das Ehepaar zwischendurch zwei Jahre gelebt hat. Paula*, mit Anfang 30 das jüngste Kind des Ehepaares, hat sich noch nie an den italienischen Wahlen beteiligt. Sie fühlt sich von der italienischen Politik nicht angesprochen, weil sie in Luxemburg lebt, und führt das auch auf das Verhalten ihrer Eltern zurück. „Hättet ihr darauf gepocht, dass ich mich an den italienischen Wahlen beteilige, wäre das vielleicht anders“, sagt sie mit Blick auf ihre Eltern, die ihr gegenübersitzen. Außerdem setze eine Wahlbeteiligung für sie politische Bildung voraus, für die es ihr im Hinblick auf das Geburtsland ihrer Eltern an Interesse fehle. In Luxemburg sei sie zwar nicht parteipolitisch engagiert, informiere sich jedoch vor jeder Wahl über die Parteiprogramme und versuche, eine Partei zu finden, die ihre Werte und Meinungen repräsentiere. „Rechte und faschistische Parteien können niemals meine Werte repräsentieren. Als queere Person verdiene ich in ihren Augen keine Rechte und bin weniger Wert als andere Menschen“, präzisiert sie.
Paulas Eltern hören ihr aufmerksam zu, nicken gelegentlich. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater haben ihren Stimmzettel für die Wahlen in Italien nicht mehr ausgefüllt, seit sie in Luxemburg leben. In Italien haben sich beide an den Gemeindewahlen beteiligt. Während Gianna sich als unpolitisch bezeichnet, führt Giovanni seine Entscheidung, nicht zu wählen, auf andere Ursachen zurück: „Ich wüsste zurzeit nicht, wen ich wählen soll. Die zur Wahl stehenden Politiker sind Menschen, die ich nicht kenne.“ Genauso wie seine Tochter und seine Ehefrau hält er es für sinnvoller, die Politik des Landes mitzugestalten, in dem er lebt. Nicht zuletzt, weil sich dadurch die Situation der Italiener*innen in Luxemburg in den letzten Jahrzehnten verbessert habe. „Als ich 1974 nach Luxemburg ausgewandert bin, war es für Italiener schwer. Wir wurden Bieren genannt, wir haben uns unter Italienern verschiedener Regionen gestritten. Inzwischen sind die Italiener integriert“, erinnert er sich.
Silvia P.*, die seit knapp drei Jahren in Luxemburg lebt, hat derweil vergessen, ihren Stimmzettel rechtzeitig auszufüllen. Sie ärgert sich umso mehr über den Ausgang der Wahlen und fühlt sich nicht durch Giorgia Meloni repräsentiert. Andrea Spigarelli, Mitglied von déi Lénk und 2018 auf der Liste zur luxemburgischen Parlamentswahl, hat seine Wahlberechtigung hingegen vor Jahren freiwillig abgegeben. Spigarelli, Enkelsohn italienischer Migrant*innen, hat seit 2009 nur noch die luxemburgische Nationalität, damals war er Ende zwanzig. Zuvor hatte er sich ab seinem 18. Lebensjahr an jeder italienischen Wahl beteiligt. Er bereut seine Entscheidung angesichts von Giorgia Melonis Sieg nicht. „Als ich die luxemburgische Nationalität angenommen habe, war mir bewusst, dass ich damit meine Wahlberechtigung in Italien verliere. Das hat mich insofern nicht gestört, weil ich mich mit keiner Partei in Italien identifizieren konnte und sich mein Leben in Luxemburg abspielt“, sagt Spigarelli. „Damals hätte ich aber nicht gedacht, dass es einmal so weit kommt, dass die Rechte die italienischen Wahlen gewinnt.“ Er interessiert sich nach wie vor stark für die italienische Politik und verfolgt die Debatten. Hätte er dieses Jahr seine Stimme abgeben können, wäre ihm die Entscheidung nicht leichtgefallen. Ähnlich wie Giovanni Bianchi, hätte auch er nicht gewusst, wen er wählen soll. „Ich denke, ich hätte am Ende lieber den Movimento 5 Stelle statt des PD gestärkt, wobei das früher anders gewesen wäre“, überlegt er laut. „Durch Matteo Renzi ist der PD inzwischen so gespalten, dass von sozialer Politik keine Rede mehr sein kann.“
„Kann es mir nur mit der Unzufriedenheit und der diffusen Wut erklären“
Überrascht ist niemand über Melonis Sieg. Für Spigarelli kündigte sich der Erfolg der Rechten bereits in den letzten Wahlen an, auch wenn Melonis Partei damals noch schwächer war. Matteo Salvini (Lega), von Juni 2018 bis September 2019 unter anderem Innenminister im ersten Kabinett des damaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte (seit 2021 Movimento 5 Stelle), habe in den letzten Jahren Anhänger*innen an Giorgia Meloni verloren.
Cristina Martella, Italienerin, kam vor fünf Jahren aus beruflichen Gründen und aus einer finanziellen Notlage heraus nach Luxemburg, sie teilt Spigarellis Meinung. Anders als die Bianchis oder Spigarelli, hat sie sich an den Wahlen beteiligt. In Italien war sie politisch aktiv, interessiert sich auch hierzulande für Politik und will nächstes Jahr bei den Kommunalwahlen abstimmen. „Ich denke, dass die Wahlergebnisse Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit sind, vor allem der sozial schwachen Gesellschaftsschichten. Italien ist nicht eines Morgens aufgewacht und hat sich den Rechtsextremen zugewandt“, erläutert sie ihre Sicht der Resultate. „Erinnern wir uns daran, dass Giorgia Melonis Partei nie Teil der Regierungsmächte war, sondern sich immer in der Opposition befand. Die Wahlergebnisse stellen meiner Meinung nach eine harte Bestrafung der Regierung der letzten Jahre dar.“
Einen ähnlichen Eindruck hat Giovanni Bianchi, der im Laufe des Gesprächs wiederholt, dass sich seit seinem Weggang aus Italien nichts in seinem Geburtsland zum Guten verändert habe. Er war gemeinsam mit Gianna vor den Wahlen in Italien und erinnert sich an die Klagen von Bekannten, die sich einen Wechsel herbeisehnten. Für Spigarelli geht der Sieg der Rechtsextremen aber auch auf die Rechnung der linken Bewegung in Italien, die an Instabilität und Zerrissenheit kaum zu überbieten sei. Hierzu schrieb Catrin Dingler, freie Journalistin, vor den Wahlen ausführlich für die woxx (woxx 1701). Spigarelli nennt den Kommunisten Enrico Berlinguer (Partito Communista), der 1984 verstorben ist, den letzten „wahrhaft linken Politiker Italiens“. Nach seinem Tod sei die Linke in Italien völlig auseinandergebrochen und ihre Wähler*innen wüssten heute nicht mehr, wer welche Politik verfolge. Sie hätten die Faxen dicke. „Der Kommunismus in Italien war nicht der, den man aus Russland, Kuba oder Nordkorea kennt. Er verfolgte eine soziale Politik, konzentriert auf die Rechte der Arbeiter, auf den Sozialstaat“, sagt Spigarelli. „Heute geht es vor allem um das Ego einzelner Politiker, was zu unzähligen Spaltungen geführt hat. Das ist keine linke, sondern eine liberale Politik, die nichts mehr mit sozialen Werten zu tun hat.“ Anders als die meisten linken Parteien, gebe die Rechte zumindest vor, sich um die Arbeiter*innen und ihre Sorgen zu kümmern. Sie würde ihnen eine Besserung versprechen. „Menschen wollen diese Sicherheit“, schlussfolgert er.
Warum auch Italiener*innen im Ausland, die beispielsweise in Luxemburg andere Lebensumstände haben als im von Krisen geschüttelten Italien, so oft die Rechte gewählt haben, ist den Gesprächspartner*innen der woxx unklar. Silvia P. ringt um eine Antwort, tippt am Ende auf den Einfluss der Angehörigen und Freund*innen aus Italien. Spigarelli ist bewegt, wenn er seine Gedanken dazu teilt, hält sich für naiv, wenn er davon ausgeht, dass gerade Kinder und Enkelkinder von Migrant*innen sich gegen die Rechte entscheiden müssten. „Selbst wenn du dich als zweite, dritte Generation einer italienischen Familie eher als Luxemburger verstehst, hast du trotzdem Eltern oder Großeltern, die lange kämpfen mussten, um in Luxemburg als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden“, führt er den Gedanken weiter aus. „Vielleicht haben sie dir sogar erzählt, dass sie früher beleidigt wurden, dass man sie beschimpft hat.“ Ihm ist unklar, wie man in dem Fall Rechtsextreme wählen kann, statt Verständnis für Migrant*innen aufzubringen.
Auch Martella fällt es schwer, die Wahl der Migrant*innen nachzuvollziehen, vor allem weil die Rechtsextreme in Italien sich für eine strenge Immigrationspolitik stark macht. „Ich kann es mir nur mit der Unzufriedenheit, dem Unwohlsein und der diffusen Wut erklären, die sich auch in den nationalen Ergebnissen niederschlagen“, sucht sie nach Antworten. „Für viele Italiener wird es aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse und stagnierender Löhne immer schwieriger, weiterzukommen, vor allem nach der Pandemie und den Teuerungen durch den Krieg in der Ukraine. Für viele ist die Migration wieder eine Notwendigkeit und nicht nur die Aussicht auf bessere Karrierechancen, wie das in der Vergangenheit schon einmal der Fall war.“
Auf die Frage, ob Italiener*innen im Ausland anders auf die Wahlergebnisse reagieren als jene im Inland, geben Martella und Spigarelli unterschiedliche Antworten. Martella macht keine wesentlichen Differenzen zwischen den Gruppen aus. Die meisten Italiener*innen, die sie frequentiert, seien unabhängig von ihrer Gesinnung eng mit ihrem Herkunftsland verknüpft und aktiv in der Weitervermittlung der italienischen Kultur sowie der Politik. Sie geht davon aus, dass es sich mit älteren Generationen, die seit Jahren in Luxemburg leben, anders verhält. Die bereits erwähnte Haltung der Familie Bianchi gegenüber der italienischen Politik, aber auch Andrea Spigarellis Beobachtungen bestätigen ihre Hypothese.
Seine Bekannten in Italien würden vor allem über ihre Unzufriedenheit mit der Nationalpolitik reden. Sie hätten sich bei der Stimmabgabe auf ihre subjektive Situation konzentriert, die in vielen Fällen prekär sei. Unter Italiener*innen im Ausland oder Menschen mit italienischem Migrationshintergrund fände eine andere Debatte statt. „Hier geht es oft um die Immigrationspolitik und ein subjektives Gefühl der Unsicherheit“, meint Spigarelli. Die italienischen Medien, die in Luxemburg vertreten sind, seien nicht unschuldig an dem negativen Bild, das viele Italiener*innen im Ausland von Italien hätten. „In Luxemburg empfangen wir Rai Uno, Rai Due und Mediaset: Alles Kanäle, die permanent über die Probleme des Landes berichten. In den Fernsehdebatten bemüht sich niemand darum, die Dinge in Perspektive zu setzen oder zur Deeskalation beizutragen“, stellt er fest. „Stattdessen wird Angst geschürt, die Kommunikation ist dramatisch. Ähnlich verhält es sich mit den großen Zeitungen. Im Internet gibt es zwar Alternativen, aber nach denen muss man erst mal suchen.“ Die Rechte habe eine einfache und erfolgreiche Kommunikationsweise, der ehemalige und umstrittene Ministerpräsident Silvio Berlusconi (Forza Italia) spiele inzwischen sogar auf dem sozialen Netzwerk Tiktok den Kasper.
„Sollte es dazu kommen, stehe ich bei den Protesten in der ersten Reihe”
Besonders Martella und Spigarelli sind über die Folgen der Wahlen besorgt. Beide lenken den Blick auf Giorgia Melonis frauen- und queerfeindliche Politik und einen möglichen Angriff auf die Verfassung. Die Politikerin setzt sich gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, die eingetragene Lebenspartnerschaft nicht-heterosexueller Menschen sowie gegen die Adoption durch queere oder homosexuelle Paare ein. Die eingetragene Lebenspartnerschaft steht gleichgeschlechtlichen Paaren seit 2016 offen, Heirat und Adoption hingegen nicht. „Das ist für mich ein großer Schritt zurück“, sagt Spigarelli. Darüber hinaus gilt Meloni als Gegnerin von Schwangerschaftsabbrüchen. Die sind seit Ende der 1970er-Jahre theoretisch innerhalb von 90 Tagen erlaubt. Medienberichten zufolge erschweren Ärzt*innen die Prozesse jedoch zunehmend, besonders in Regionen, in denen rechte Parteien das Sagen haben. Mit Meloni an der Regierungsspitze dürfte sich dieser Umstand kaum verbessern, auch wenn die Politikerin bestreitet, das Recht auf den Schwangerschaftsabbruch anzufechten.
Am Ende ändert der Sieg der Rechten für die Gesprächspartner*innen der woxx aber nichts an ihrem Verhältnis zu Italien – und das hat nichts mit patriotischem Starrsinn zu tun. Paula führt das auf ihr grundsätzliches Desinteresse an dem Land zurück. Sie sei dankbar für ihre italienische Herkunft, habe aber sonst keinen Bezug zu Italien. Außerdem sei die italienische Politik immer schon ein Witz für sie gewesen, die letzte Wahl habe daran nichts geändert. Ihr Vater wünscht den Menschen in Italien derweil, dass sich die Dinge für sie endlich zum Guten wenden. Andrea Spigarelli vertraut auf die Aktivist*innen in Italien: „Ich weiß, dass es in Italien Menschen gibt, die jeden Tag gegen soziale Ungerechtigkeiten ankämpfen, die sich für Migranten und LGBTQ-Rechte stark machen – die kriegt auch die Rechte nicht klein.“ Ähnlich kämpferisch gibt sich Cristina Martella, wenn sie sagt: „Mein Verhältnis zu Italien verändert sich nicht, doch dafür verstärkt sich mein Engagement gegen jede Diskriminierung, Freiheitseinschränkung oder den Angriff auf die Verfassung. Sollte es dazu kommen, stehe ich bei den Protesten in der ersten Reihe.“