GENTECH: Im Stich gelassen

Die EU macht den Weg für Genfood im Supermarkt frei – gegen den Willen der KonsumentInnen. Luxemburg stimmte gegen die Entscheidung. Greenpeace appelliert daher an die schwarz-blaue Regierung, auf nationaler Ebene Widerstand zu leisten.

„Nein!“, haben europäische VerbraucherInnen gefordert. Rund 80 Prozent der KonsumentInnen wollen keine Gentechnik in ihrem Essen – ihre Stimmen zählten aber nicht. Entscheidungsgewalt hatte letztlich die EU-Kommission. Ihre Antwort zur Frage der Marktöffnung für Genfood war eindeutig Ja. „Sie wollte das Moratorium noch nie“, sagt Martina Holbach, Gentech-Expertin bei Greenpeace-Luxemburg.

1998 hatten Luxemburg, Frankreich, Italien, Dänemark und Griechenland aufgrund mangelnder Gesetzeslage einen Zulassungsstopp für genmanipulierter Organismen (GMO) in der EU ausgesprochen. Doch Brüssel blieb nicht untätig. Man führte eine Freisetzungsrichtlinie, die Kennzeichnungspflicht für Nahrungsmittel sowie eine Richtlinie zur Rückverfolgbarkeit der einzelnen Inhaltsstoffe ein. Die GMO-Blockade sei nun nicht mehr zu halten, so das Argument. Das Moratorium fiel schließlich am 19. Mai, als der genetisch veränderte BT-11- Speisemais der Schweizer Firma Syngenta in der EU als Lebensmittel zugelassen wurde.

Geschlossen stand die Kommission jedoch nicht hinter ihrem Votum. Feststeht: VertreterInnen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Griechenland sprachen sich im Vorfeld gegen die Zulassung des süßen BT-11-Maises in Dosen aus.

Viviane Reding Wackelstimme

Die Luxemburgerin Viviane Reding hat bis zum Tag der Entscheidung geschwiegen. Nach Aussagen ihres Kabinetts habe sie beim Kommissionstreffen aber Zweifel an einer ausreichenden wissenschaftlichen Untersuchung geäußert. Gründe für ihr zögerliches Auftreten werden jedoch nicht genannt. Die EU-Kommissarin war zu einer persönlichen Stellungnahme gegenüber der woxx nicht bereit.

Ausgangspunkt für den Fall des Moratoriums war neben der Position der EU-Kommission ein fehlender Konsens der Mitgliedsstaaten im zuständigen Fachausschuss im Dezember vergangenen Jahres. Danach lag es bei dem Ministerrat, über den Vorschlag der Kommission zu entscheiden.

Die AgrarministerInnen fanden ebenfalls keine qualifizierte Mehrheit. Damit stand fest, dass der Mais für den europäischen Markt freigegeben wird. „Die Kommission ist laut Gesetz verpflichtet ihren eigenen Vorschlag anzunehmen“, erklärt Beate Geminder, Pressesprecherin der EU-Kommission.

Für die Zulassung stimmten AgrarministerInnen aus Irland, den Niederlanden, Finnland, Schweden, Großbritannien und Italien, die sich aber im Ausschuss noch enthalten hatten. Deutschland, Belgien und Spanien enthielten sich. Der Rest stimmte dagegen.

Da sich die deutsche Landwirtschaftsministerin mit dem Wirtschaftsminister nicht einigen konnte, musste sie sich gemäß Koalitionsvertrag der rot-grünen Regierung enthalten. Belgien hält einen Import und die Verarbeitung von genmanipulierten Organismen für unbedenklich, nicht aber den Anbau.

Neue Mitglieder, neue Spannung

Spanien ist das einzige EU-Land, in dem bereits genmanipulierter Mais angebaut wird, und trat bislang für Gentech ein. Greenpeace-Mitarbeiterin Martina Holbach freut die jetzige Kehrtwende, „Die neue Regierung hat mit ihrer Enthaltung ein Signal gesetzt.“

KritikerInnen werfen vor allem Deutschland und Belgien vor, für den Dammbruch verantwortlich zu sein. Ihre Stimmen hatten jedoch keinen Einfluss auf die Entscheidung. Für eine qualifzierte Mehrheit im Ministerrat braucht man 62 von 87 möglichen Stimmen. Selbst mit einem Nein seitens Deutschland, Spanien und Belgien hätte es nur für 52 Stimmen gereicht.

Neue Spannung in die Debatte um Genfood bringen die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten. Bis November wird es eine Übergangsstimmverteilung geben. Im Juni wird die erste Entscheidung im Ministerrat fällig. Die UmweltministerInnen müssen dort über den Import und die Verwendung von NK-603-Mais als Futtermittel abstimmen. „Ungarn, die Slowakei und Slowenien sind gegenüber genmanipulierten Organismen zurückhaltend eingestellt. Polen scheint, was den Import und die Verarbeitung als Futtermittel betrifft, keine Bedenken zu haben“, sagt Martina Holbach.

Von der EU-Kommission werden derzeit neun weitere Anträge auf Zulassung genveränderter Lebensmittel und 24 Anfragen zu Anbaugenehmigungen geprüft.

„Die EU ist schon jetzt keine gentechfreie Zone“, erklärte EU-Verbraucherkommissar David Byrne der deutschen „tageszeitung“. 34 Produkte mit GMO seien bereits auf dem Markt.

Die US-Regierung wirft der EU Protektionismus vor und reichte im Mai vergangenen Jahr Klage bei der Welthandelsorganisation WTO gegen das de facto Moratorium in. Auch das Ja der EU zum Mais änderte nichts an ihrer Haltung. Eine Marktöffnung für ein einziges Gen-Produkt beende das Biotech-Moratorium nicht, so die Begründung.

Zugespitzt hatte sich die Lage der USA und der mit ihr verbundenen Industrie, weil einige afrikanische Länder, eine Nahrungsmittelhilfe in Form von Genmais nicht akzeptierten. „Wenn das kein Beweis ist, dass die VerbraucherInnen kein Genfood wollen“, sagt Christopher Burmann, Mitarbeiter bei Greenpeace-Luxemburg. Die EU lasse ihre Verbraucher im Stich, gefordert seien daher die Regierungen. „Luxemburg hatte vor dem Moratorium den Bt-176 verboten. Jetzt sollen die Politiker den gleichen Mut zeigen – auch auf die Gefahr hin, dass sie sich eine EU-Klage einhandeln.“

So weit will Eugène Berger, Generalsekretär im Umweltministerium es aber nicht kommen lassen. Er vertraut auf das UN-Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit. Es erlaubt dem Empfängerland bei begründetem Zweifel, die Einfuhr von GMO zu verbieten.

Aber auch die KonsumentInnen sind nicht machtlos. Der süße BT-11-Genmais der Schweizer Firma Syngenta wird vorerst nicht in den Supermärkten der EU landen. Die Lebensmittelindustrie will ihn nicht vermarkten. Greenpeace konnte durch seine Öffentlichkeitsarbeit erreichen, dass die französische Supermarktkette Auchan alle Waren mit genveränderten Organismen aus ihren Regalen nahm. Gentech-Expertin Martina Holbach zweifelt dennoch an einem dauerhaften Erfolg: „Wir rechnen schon im nächsten Frühjahr damit, dass auch in Luxemburg die erste Gen-Pflanze angebaut wird.“


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