SICHERHEIT: Ablenkungsmanöver

Liegt es an den Junkies, wenn es im Bahnhofsviertel mit dem Kommerz bergab geht, wie „SOS Gare“ behauptet? Statt Angstmacherei wäre eine sachliche Analyse des Lebens im größten Viertel der Hauptstadt angebracht.

„Wir werden dafür sorgen, dass die Bürgermeister wo nötig die Polizei mit spezifischen Aufgaben zugunsten der Sicherheit der Bürger beauftragen können.“ Das ist ein Auszug aus dem Wahlprogramm der DP – allerdings nicht dem aktuellen, sondern dem von 1999. Sicherheit war damals eines der Themen, mit denen die DP (erfolgreich) ihre Wahlkampagne führte. Es ist aber auch eines, bei denen sie ihre Wählerschaft enttäuscht hat. Auf jeden Fall nutzen sowohl gutbürgerliche Initiativen à la „SOS Gare“ wie auch der hauptstädtische Geschäftsverband die Gelegenheit, um auf anscheinend zunehmende Sicherheitsprobleme aufmerksam zu machen. Im Bahnhofsviertel, so hieß es diese Woche in der Tagespresse, sei das Problem mittlerweile so groß, dass bereits einige Geschäfte ihre Türen schließen mussten.

Ohne das Phänomen herunterspielen zu wollen, erstaunt doch diejenigen, die täglich durch das Bahnhofsviertel gehen, das Vokabular: „Unzumutbar“ oder „unglaubliche Zustände“, mit solchen Begriffen wird im „Tageblatt“ die Situation beschrieben. Daneben sind Fotos von geschlossenen Ladenlokalen zu sehen. Dass das eine oder andere davon wegen Umbau oder Umzug geschlossen ist, wird verschwiegen. Auch Aussagen wie, nach fünf Uhr gehe man besser nicht mehr vor die Tür, wirken grotesk in einem der am meisten bewohnten und am häufigsten frequentierten Stadtviertel.

Wahr ist, dass das Bahnhofsviertel seit längerer Zeit Probleme hat, von denen die Beschaffungskriminalität sicherlich eines ist. Wenn Bürgermeister Paul Helminger gegenüber RTL-Télévision vor allem auf die Forderung verwies, seine „Pecherten“ auch für repressive Aufgaben einsetzen zu dürfen, so klingt das allerdings stark nach End-of-Pipe-Lösung – beziehungsweise nach einem Ablenkungsmanöver. Es ist Helminger und seinem SchöffInnenrat zu verdanken, dass aus dem Projekt Fixerstube nichts geworden ist. Die Existenz einer solchen Struktur würde nämlich Junkies erlauben, ihren Stoff unter hygienischen Bedingungen zu spritzen, statt in Parkanlagen oder auf dem Bahnhofsgelände. Sie würde auch helfen – wenn endlich ein Programm zur kontrollierten Heroinabgabe durchgeführt würde -, Drogendealerei abzuschwächen. Die Fixerstube war übrigens von Gesundheitsminister Carlo Wagner (ebenfalls DP) bereits konkret geplant worden, und die Heroinabgabe war angekündigt. Doch die politisch Verantwortlichen der Stadt stellten sich quer.

Ein weiteres Problem der Bahnhofsgegend eignet sich weniger für reißerische Darstellungen, ist aber genauso reell. Das zweite Einkaufsviertel der Hauptstadt ist mit ähnlichen Umstrukturierungen konfrontiert, wie sie bereits in der Oberstadt auftraten: Ladenketten kaufen Familienunternehmen auf, Publikumsmagneten fehlen, KundInnen wandern zu den Supermärkten im Umland ab. Mit dem Unterschied, dass die Kaufkraft der Menschen geringer ist und der Immobilienmarkt weniger profitträchtig. Ein City-Manager hätte hier alle Hände voll zu tun, um das Viertel von seinem angeschlagenen Image zu befreien. Dabei bietet das „Garer Quartier“ nicht nur Risiken, sondern auch enorme Potenziale. Im Gegensatz zum klinisch toten Stadtzentrum lässt es sich hier nämlich noch an einem Ort wohnen, arbeiten und einkaufen. Noch.


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