BESCHÄFTIGUNGSINITIATIVE: „Für immer hier arbeiten“

Objectif Plein Emploi ist die größte Beschäftigungsinitiative Luxemburgs, aber sie versteht sich nicht als solche. Sie will nicht schwer Vermittelbare in den herkömmlichen Arbeitsmarkt integrieren, sondern ihnen einen festen Arbeitsplatz bieten.

Eine drei Meter lange Rutsche liegt auf dem Schotter eines Spielplatzes in Sanem. Die orange Farbe lässt sich nur noch an den Rändern erahnen, auf der Abfahrtsfläche ist sie längst abgeblättert. Einen Katzensprung entfernt graben drei Männer eine Vertiefung in die Erde. „Die Rutsche war locker. Die Jungs befestigen sie jetzt wieder neu“, sagt Charles. Der Leiter der Equipe d’Environnement überwacht die Arbeit. Seit drei Jahren arbeitet der Luxemburger schon für das Centre d’Iniative et de Gestion Local (CIGL) in Sanem. Es ist eine von 27 lokalen und regionalen Zentren, deren Ressourcen- und Verwaltungszentrum Objectiv Plein Emploi (OPE) ist.

Charles hat Glück. Er hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Aber er ist einer von wenigen. Wenn diejenigen, die nur zwei Jahren beim CIGL angestellt sind, in der Zeit keinen anderen Job finden, müssen sie sich wieder arbeitslos melden. Und dann stehen sie entweder auf der Straße, weil das Amt ihre Akte geschlossen hat. Oder sie werden in die nächste Beschäftigungsinitiative gesteckt.

„Das ist ein Karussell. Man wird von einem zum nächsten gereicht“, sagt Fred. Er hat selbst schon in mehr als einer Beschäftigungsinitiative gearbeitet und ist auch jetzt wieder auf Jobsuche. Für den ehemaligen Gefangenen ist es fast aussichtslos, auf dem überlasteten Arbeitsmarkt einen Platz zu finden. Von Zentren wie dem CIGL in Sanem werden nur diejenigen angestellt, die arbeitslos gemeldet sind. Den Ursachen und Konsequenzen der Arbeitslosigkeit wie Alkohol-, Drogensucht oder Depressionen geht das Arbeitsamt nicht auf den Grund.

Brief an Biltgen

Auch für Boris* ist es schwer. Der gelernte Steinmetz arbeitet schon fast zwei Jahre beim CIGL in Sanem. Er macht seine Arbeit gern. Dass er dort nicht bleiben kann, findet er ungerecht. In einem halben Jahr läuft Boris‘ Vertrag aus. Aber das nimmt der 35-Jährige nicht wortlos hin. Er hat einen Brief an Arbeitsminister François Biltgen geschickt, und alle seine Kollegen haben unterschrieben. „Wir möchten Sie hiermit fragen, ob es denn überhaupt keine Möglichkeit gibt, dass wir als „ganz normale“ Equipe für immer zusammenarbeiten können.“

Auf drei DinA4-Seiten beschreibt der Luxemburger, was er schon alles beim CIGL in Sanem geleistet hat und auch warum, ihn das Arbeitsamt als schwer Vermittelbar eingestuft hat. „Ich bin unqualifiziert“, sagt Boris. Grund: Nach seiner Ausbildung hat er nicht als Steinmetz, sondern als Dachdecker gearbeitet, bis er eines Tages vom Dach fiel. „Zwei Praktika bei Dachdeckern hat er schon angeboten bekommen. Aber Boris hat abgelehnt“, erzählt Beate Sander, OPE-Mitarbeiterin für lokale Entwicklung.

Boris ist ein Mann, der zupackt und am liebsten bei Wind und Wetter draußen ist. Aber er scheint Angst davor zu haben, wieder auf dem Dach zu arbeiten. Nur sagt er das nicht. Ein zweites Handicap: Boris hat keinen Führerschein und sich bislang auch davor gedrückt, diesen zu machen. Warum, weiß Beate Sander nicht. Wie so oft kann sie die Hintergründe nur erahnen: vielleicht Überschuldung.

Zwei Drittel der Angestellten im Netzwerk des OPE verdienen maximal 1.600 Euro. „Das ist nicht normal, dass hier kaum einer mehr verdienen kann“, sagt Charles. Der 54-Jährige weiß wie es ist, wenn man für eine Arbeit miserabel entlohnt wird. Bevor er zum CIGL in Sanem kam, hat er Monate lang bei einem Bauern täglich 3.000 Kühe gefüttert. „Der hat nicht einmal den Mindestlohn gezahlt“, erzählt der Luxemburger.

Charles hat sich seine Arbeit immer selbst gesucht. Beim Arbeitsamt war er nur einmal, um sich seine Arbeitslosigkeit bescheinigen zu lassen. „Ich habe die Jungs vom CIGL auf einer Baustelle gesehen und wollte da mit anpacken“, brummt der Luxemburger, den es selbst im Urlaub zum CIGL zieht.

Arbeiten wie die Instandhaltung von Spielplätzen ist eigentlich Aufgabe von GemeindearbeiterInnen. „Die haben hier einfach zu wenig Leute beschäftigt. Und um den eigenen Service auszubauen, haben sie kein Geld“, erzählt Beate Sander. Der CIGL hat dieses Problem für sie leicht gelöst. Denn für diese ArbeiterInnen zahlt die Gemeinde nur 25 Prozent der Lohnkosten, den Rest übernimmt der Staat. Die OPE-Mitarbeiterin will nichts davon hören, dass die Gemeinden damit die CIGL-MitarbeiterInnen ausbeuten.

Seit fünf Jahren arbeitet Beate Sander für den OPE und koordiniert einen CIGL in Sanem sowie ein Zentrum für die Gemeinden Dippach, Reckange-sur-Mess und Garnich. Viel Lob erntet sie und vor allem die MitarbeiterInnen in den Zentren für ihre Nachbarschaftshilfe – ein Angebot für Menschen ab 60 Jahre, Behinderte und Hilfsbedürftige. Auch diejenigen, die sich einen Gärtner leisten könnten, nehmen diesen sehr günstigen Service in Anspruch.

Daniel mäht an einem großen Haus den Rasen. Der Besitzer will auch noch seine Hecke geschnitten haben. Beate Sander ist skeptisch. „Das hier ist wohl so ein Fall eines schwarzen Schafes. Wir können den Auftrag nur ablehnen, wenn die Arbeit mehr als 16 Stunden im Monat dauert.“ Daniel ist das egal. Der 23-Jährige macht einfach seinen Job. Und den auch nur, weil er muss. „Ich möchte nicht hier bleiben. Zwei Jahre sind lang genug“, sagt er. Was er danach machen will, weiß er noch nicht. Beworben hat er sich auch nicht, ebenso wenig wie ein Fortbildung absolviert. Daniel hat die elfte Klasse nicht geschafft. Bevor er beim CIGL landete, war er zwei Jahre zu Hause. Auch jetzt sagt er nur: „Ich habe Zeit.“

Problemfälle gewohnt

Beate Sander weiß sich bei dem jungen Mann nicht mehr zu helfen. Dabei ist sie Problemfälle gewohnt. „Drei Monate beobachte ich unsere neuen Mitarbeiter, erst dann spreche ich sie langsam auf ihre Probleme an“, sagt die CIGL-Koordinatorin. Drei Menschen haben in den vergangenen fünf Jahren während ihrer Arbeit im CIGL in Sanem erfolgreich einen Alkoholentzug gemacht. Aber viele schaffen es nicht und verlassen das Netzwerk des OPE sogar vor Ablauf des Anstellungsverhältnisses.

„Ich muss davon ausgehen, dass in jedem Zentrum durchschnittlich nur die Hälfte zur Arbeit erscheint. Ein normaler Arbeitgeber kann sich das nicht leisten“, sagt Beate Sander. Gründe für die Abwesenheit der CIGL-MitarbeiterInnen: Sie sind krank gemeldet, machen eine Fortbildung oder werden therapeutisch behandelt.

Angestellte wie Boris möchte der OPE gerne halten. Als Beschäftigungsinitiative kann er das aber nur selten. Denn als solche ist es seine Aufgabe, seine Angestellten auf dem herkömmlichen Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber das macht der OPE wenig und will es auch nicht. „Wir sehen uns zunächst einmal als Arbeitgeber und zwar in einem dritten Arbeitssektor, der Solidarwirtschaft“, sagt Pressesprecher Yves Piron. Die Arbeit, die die Mitarbeiter des OPE-Netzwerkes verrichteten sei gesellschaftlich wertvoll und es bestehe dafür ein Bedarf. Beate Sander hat jede Menge Ideen. Sie träumt davon, ausgestorbene Berufe wie Schuster oder Schmied, mit Hilfe des OPE wiederzubeleben. „Die Bewohner von Sanem hätten auch gerne den Fitnessparcour erneuert.“

Mit seinem Traum von Solidarwirtschaft liegt der OPE ganz auf Linie der EU-Kommission. Die hat bereits 2001 erklärt, dass sich vor allem über lokale Entwicklung, die Arbeitslosigkeit bekämpfen lasse. Nur ist diese EU-Richtlinie wohl eine Empfehlung, die wie so viele Worte der Brüsseler Kommission im weiten Raum der EU verpuffen. Yves Piron sieht das anders: „In Frankreich gab es sogar schon ein Ministerium für Solidarwirtschaft“, sagt er. Der OPE könne über Europa sozusagen durch die Hintertür Druck auf die Luxemburger Regierung ausüben. In seinen Augen hatten das Netzwerk sogar schon Erfolg: „Immerhin steht in der Erklärung der neuen Regierung jetzt das Wort Solidarwirtschaft.“

Yves Piron wünscht sich ein eigenes Ministerium für dieses Ressort. In Luxemburg bleibt das sicher nur ein Traum. Wahrscheinlicher ist, dass zukünftig die Familienministerin sich um schwer Vermittelbare wie Boris kümmern muss – zumindest wenn sie zukünftig unter ein Ressort Solidarwirtschaft fallen. Noch fällt der OPE aber in Biltgens Aufgabengebiet. An ihn ist deshalb auch Boris Bitte gerichtet: „Herr Minister, bitte glauben Sie mir, dass ich ein richtiger Schaffert bin, kein Lidderhaannes, aber ich werde wohl nie wieder eine Arbeit finden, die mich so froh macht wie diese.“

*Name von der Redaktion geändert


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