Peter Webber zeigt in „Girl with a Pearl Earring“, wie ein Kunstwerk entsteht. Die britisch-luxemburgische Koproduktion überzeugt als atmosphärisch dichtes Sittengemälde mit hervorragenden SchauspielerInnen.

Ein Hauch von Berührung. Vermeer weiht die Magd in die Geheimnisse der Camera obscura ein.
Als Griet zum ersten Mal in das Atelier ihres neuen Herrn geführt wird, betritt die junge Frau eine magische Welt voller Geheimnisse. Ihre Eltern hatten sie zur Familie des Malers Jan Vermeer geschickt, um dort zu arbeiten. Während sich Vermeer ganz seiner Malerei widmet, leitet seine Schwiegermutter die finanziellen Geschicke des Hauses. Sie ist es auch, die den reichen Kunstmäzen van Rujven einlädt, um neue Aufträge für den Maler zu ergattern.
Schon bei der ersten Begegnung Griets mit Vermeer in Peter Webbers Film „Girl with a Pearl Earring“ spüren die beiden eine Art Seelenverwandtschaft. Er ist begeistert von ihrem Sinn für Licht und Schatten und macht die Magd zu seiner Assistentin. Fortan bereitet sie seine Farben vor. Als van Rujven ein Porträt der jungen Frau in Auftrag gibt, steht sie Vermeer sogar Modell. Doch dann sieht seine Frau das fertige Kunstwerk. Von Eifersucht getrieben, zwingt sie Griet, das Haus zu verlassen.
Die Reflexion künstlerischen Schaffens gehört zu den wohl größten Herausforderungen für einen Filmregisseur. Die Spurensuche nach dem Geheimnis von Genie und Schaffenskraft scheiterte jedoch oft an den Unzulänglichkeiten von Drehbuch, Regie und dem Spiel der Darsteller. Eine „Innenansicht“ eines Künstlers gelang leider nur wenigen Regisseuren.
Häufig entstand am Ende nicht mehr als gefälliges Ausstattungskino. Klaus Maria Brandauer tat sich 1999 keinen Gefallen, als er durch Charles Mattons holprigen Historienfilm „Rembrandt“ chargierte. Nur mäßig erfolgreich versuchte sich auch Ed Harris ein Jahr später als Schauspieler und Regisseur an Jackson Pollock. Die Kreativität des abstrakten Expressionisten in Filmsprache zu übersetzen, gelang ihm nicht.
Umso mehr hatte der französische Regie-Berserker Maurice Pialat es 1992 verstanden, die letzten beiden Monate im Leben Vincent Van Goghs mit faszinierenden Bildern im impressionistischen Stil zu schildern. Eine ganz eigene Bildsprache entwickelte Carlos Saura in „Goya“ (1999). Der Film ist eine Reise in die Bilderwelt des spanischen Malers, meisterlich dargestellt von der Schauspiellegende Francisco „Paco“ Rabal. Bislang unübertroffen ist jedoch Jacques Rivettes „La belle noiseuse“ 1991 nach Balzacs Erzählung „Le Chef d’oeuvre
inconnu“.
Auch in „Girl with a Pearl Earring“ steht das künstlerische Schaffen im Mittelpunkt. Und wie bei Rivette dient eine literarische Vorlage als Ausgangspunkt: das gleichnamige Buch der amerikanischen Schriftstellerin Tracy Chevalier. Webber folgt der fiktiven, aber genau recherchierten Geschichte über den Entstehungsprozess eines der berühmtesten Vermeer-Bilder. Die Ohrringe von Vermeers Frau, die Griet von der Schwiegermutter überreicht bekommt, dienen dabei als symbolisches Leitmotiv im Sinne der literaturwissenschaftlichen Falkentheorie und verdeutlichen damit den novellistischen Charakter der Geschichte.
Obwohl „Girl with a Pearl Earring“ phasenweise unter der bedeutungsvollen musikalischen Untermalung leidet, ist es dem Regisseur gelungen, das Milieu der niederländischen Stadt Delft detailliert und atmosphärisch einzufangen. Mit wenigen Mitteln beschreibt er das Umfeld der Geschichte sowie die ökonomischen Zwänge in einer von merkantilen Prinzipien geprägten Gesellschaft. In der Marktszene scheint das 17. Jahrhundert förmlich wieder aufzuleben.
Der von Delux koproduzierte Film besticht nicht zuletzt durch die überzeugenden Leistungen der SchauspielerInnen,
allen voran die bereits aus „Lost in Translation“ bekannte Scarlett Johansson. Auch Colin Firth glückt die Darstellung Vermeers, indem er die Rolle zurückhaltend spielt. Wenn der Maler die junge Magd leicht berührt, dann aber in seinem Annäherungsversuch wieder innehält, spürt man förmlich, wie es zwischen den beiden knistert.