Im Kino: Barbie

In ihrem neusten Film stellt Greta Gerwig erneut eine Frau ins Zentrum, die mit gesellschaftlichen Erwartungen hadert. Anders als sonst geht es diesmal jedoch um die Plastikpuppe Barbie.

Gen Z kann mit Barbie herzlich wenig anfangen. (Copyright: Warner Bros)

Als vor ein paar Jahren bekannt wurde, dass Greta Gerwig die Regie eines Films mit dem Titel „Barbie“ übernehmen würde, war das, gelinde gesagt, eine Überraschung. Die US-amerikanische Filmemacherin, Drebuchautorin und Schauspielerin hatte sich bis dahin mit anspruchsvollen Charakterstudien über unangepasste Frauen einen Namen gemacht: Die Protagonistinnen von „Frances Ha“ (2012), „Lady Bird“ (2017) und „Little Women“ (2019) hadern allesamt mit den Erwartungen, die sowohl ihr Umfeld als auch die Gesellschaft an sie stellen. Wie passt „Barbie“ da rein? Tatsächlich wie der Igel zum Taschentuch.

Allein am ersten Wochenende spielte „Barbie“ weltweit 337 Millionen US-Dollar ein. Von solchen Zahlen können viele andere Mainstreamfilmemacher*innen nur träumen. Zumal sich Kinofilme seit einigen Jahren in einer beispiellosen Krise befinden. Was hat „Barbie“, was ähnliche Produktionen nicht haben?

Gründe für das Anschauen von „Barbie“ gibt es wahrscheinlich so viele, wie es Zuschauer*innen gibt. Neugierde, Skepsis oder eine entsprechende Gruppendynamik im eigenen Freundeskreis sind wohl einige davon. An der Fangemeinschaft rund um das im Zentrum stehende Spielzeug dürfte es wohl kaum liegen. Tatsächlich machte Mattel mit seinen Barbiepuppen in den vergangenen Jahren starke Verluste. Umso erstaunlicher, dass viele, die es am ersten Wochenende in ein „Barbie“-Screening zog, bereits im Vorfeld Fan des Films zu sein schienen.

Das, was manche Medien als ‚Marketing Campaign of the Year‘ bezeichnen“, dürfte wesentlich zum erfolgreichen Kinostart beigetragen haben. Eine pinke X-Box und Barbie-Hoodies gehörten ebenso dazu wie ein lebensechtes Barbie-Dreamhouse in Malibu, das auf Airbnb gebucht werden kann. Auch das zum Teil selbstkritische Marketing dürfte für den Erfolg mitverantwortlich sein. „If you love Barbie, this movie is for you. If you hate Barbie, this movie is for you“, heißt es im Trailer. Wer zwischen den Zeilen dieser widersprüchlichen Aussagen liest, erkennt, dass die Macher*innen ihr Publikum ernst nehmen, sich selbst beziehungsweise Barbie dagegen nicht allzu sehr. Es bleibt jedoch nicht bei einer Randbemerkung im Trailer: Der gesamte Film ist zugleich Hommage und Dekonstruktion des Produkts Barbie. Er deutet auf die Absurdität mancher seiner Charakteristiken hin, ohne es aber ins Lächerliche zu ziehen.

Das Barbenheimer-Phänomen

Was das Marketingteam hinter „Barbie“ wohl kaum geplant hatte, was zweifellos aber zum Erfolg des Films beitrug, war der zeitgleiche Kinostart von Christopher Nolans „Oppenheimer“. Auf den ersten Blick scheinen die Filme völlig unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen, es schien demnach höchst unwahrscheinlich, dass sie sich gegenseitig Konkurrenz machen würden. Genauso unwahrscheinlich schien das, was letztlich passierte: Die Filme wurden ergänzend zueinander diskutiert – und zum Teil sogar geschaut. „Barbenheimer“ lautet die Bezeichnung dieses allen Anscheins nach organisch entstandenen Phänomens: Es gibt Barbenheimer-Memes, einen Barbenheimer-Trailer (ein Zusammenschnitt der Trailer beider Filme) und Barbenheimer-T-Shirts. In den sozialen Medien wurden hitzige Debatten darüber geführt, ob man beide Filme am selben Tag sehen sollte, und wenn ja, in welcher Reihenfolge. Selbst die Stars der jeweiligen Filme gaben in Interviews ihre Meinung dazu ab. Es gibt Artikel, die argumentieren, dass „Barbie“ und „Oppenheimer“ sich thematisch gar nicht mal so unähnlich sind. Nichtsdestotrotz hatte ersterer bis Sonntag doppelt so viel eingespielt wie letzterer.

Hommage und Dekonstruktion

Schon der Trailer deutet auf ein äußerst elaboriertes Setdesign hin: Barbiehäuser und -accessoires wurden lebensecht nachgebaut, alles in Rosa natürlich. Der Film ist zudem voll mit visuellen Gags, die die Physikalität der Barbiewelt auf die Schippe nehmen. Wenn Barbie trinkt oder duscht, ist von Wasser keine Spur. Um ihr Haus zu verlassen, braucht sie nicht etwa die Treppen zu benutzen, sie fliegt, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, auf den Fahrersitz ihres Autos. Ihre Beine kann sie dabei natürlich nicht anwinkeln.

Die verschiedenen Barbie- und Ken-Versionen werden in Gerwigs Film von unzähligen Schauspieler*innen gespielt, darunter etwa Issa Rae als Präsidentin-Barbie, Hari Nef als Ärztin-Barbie, Emma Mackey als Physikerin-Barbie und Kate ­McKinnon als sogenannte „Weird Barbie“, einer Barbie also, die beim Spielen verunstaltet wurde. Wer die eben genannten Schauspielerinnen kennt und mag, kann sich sicher sein, der Zielgruppe dieses zutiefst selbstreferenziellen und intertextuellen Films anzugehören.

Im Fokus der Handlung steht die von Margot Robbie verkörperte „Stereotypical Barbie“. Ihr Leben ist perfekt, bis sie eines Tages ein Bewusstsein erlangt und in eine existenzielle Krise gerät. Sie denkt über den Tod nach, muss regelmäßig weinen und ihre Füße werden flach. Um der Ursache dafür auf den Grund zu gehen, reist sie, gemeinsam mit dem von Ryan Gosling gespielten „Stereotypical Ken“, von Barbieland in die richtige Welt. Entsetzt stellt sie fest, dass, anders als sie es bisher gewohnt war, dort nicht Frauen, sondern Männer das Sagen haben. Ken seinerseits ist von diesem neuartigen Konzept namens „Patriarchat“ hellauf begeistert.

Über die Logik mancher Wendungen sollte man am besten nicht zu viel nachdenken. Die eine oder andere Szene ist zudem ein wenig lang geraten. Im Gegensatz zu anderen Filmen über Spielzeug wie etwa Toy Story oder der Lego-Film richtet sich „Barbie“ primär an ein Erwachsenenpublikum. Nicht weil der Film für Kinder ungeeignete Aspekte enthielte, sondern weil unzählige Dialoge und Referenzen Kinder wohl eher zu Nachfragen als zum Lachen anregen werden.

Neben dem detaillierten Setdesign, den hervorragend besetzten Rollen und den unzähligen kulturellen Referenzen sind es vor allem die angeschnittenen Gesellschaftsthemen, die der Diskussion wert sind. Das Autor*innen-Team bestehend aus Greta Gerwig und Noah Baumbach hat sich für den Film viel vorgenommen. Der gesellschaftliche Stellenwert der Barbiepuppe und eines Barbiefilms werden ebenso thematisiert wie der Stellenwert von Frauen innerhalb des Patriarchats. Hinzu kommen immer wieder Seitenhiebe auf Mattel und Warner Bros., der Produktionsfirma des Films. Diese sind zwar durchaus kritisch, aber keineswegs vernichtend.

Film oder Werbung?

Die Frage, die sich aufdrängt: Hat Gerwig ihre Prinzipien über Bord geworfen, um eine zweistündige Werbung für Mattel zu konzipieren? Obwohl der Konzern, der im Jahr 1959 erstmals eine Barbiepuppe auf den Markt brachte, den Film in Auftrag gegeben hat, ist die Antwort darauf vielschichtig.

In erster Linie ist „Barbie“ natürlich pure Vermarktung – in dem Sinne wie alle Filme es sind: Indem sie bestimmte Werte, Ästhetiken, Lebensstile, Körper und Perspektiven favorisieren, werden Hierarchien hergestellt. Ist die Vermarktung, die „Barbie“ betreibt, besonders schlimm, weil es sich dabei um ein kommerzielles Produkt handelt und dieses intellektuelles Eigentum eines Riesenkonzerns ist? Schlimmer als Filme eines Riesenkonzerns wie Disney, bei welchem Filmemachen und Produktvermarktung immer schon Hand in Hand gingen? Diese Fragen mögen die Zuschauer*innen für sich unterschiedlich beantworten.

Dass Gerwig in ihrer Kritik weiter gegangen wäre, wenn sie nicht von Mattel beauftragt worden wäre, dafür gibt es jedenfalls keine Hinweise. In ihren Werken verhandelte Gerwig stets, was es bedeutet, weiblich sozialisiert zu werden. Und sie stellte diese Herausforderung aus einer weißen, cisgeschlechtlichen, heterosexuellen, sozio-ökonomisch gut gestellten Perspektive dar. Intersektionalität war noch nie Gerwigs Stärke. „Barbie“ bildet da keine Ausnahme.

Insgesamt gilt: Wer mit dem alles nichts anfangen kann, gehört vielleicht einfach nicht zur Zielgruppe. Alle anderen dürfte dieser Film großen Spaß bereiten.

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Bewertung der woxx : XXX


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