KOOPERATIONSPOLITIK: Marathon Man

Vor dem Hintergrund der weltweiten Nahrungsmittelkrise erfuhr der Minister für Kooperationspolitik und humanitäre Hilfe in den vergangenen Wochen einen medialen Hype, der diesen Mittwoch seinen vorläufigen Höhepunkt in der Parlamentsdebatte zum jährlichen Entwicklungshilfebericht fand.

Trotz anderslautender Regierungspropaganda: Die kolumbianischen Militärs sichern auch weiterhin illegal eingerichtete, devisenbringende Ölpalmplantagen. Wie hier am Flussbecken des Curvaradó, halten sie Vertriebene davon ab, auf das ihnen rechtlich zustehende Land zurückzukehren.

Jean-Louis Schiltz konnte sich in diesem Jahr kaum über mangelndes öffentliches Interesse an seiner entwicklungspolitischen Grundsatzrede beklagen. Schon Tage zuvor waren die Medien voll mit Berichten über die seit Monaten andauernde Ernährungskrise in den Ländern des Südens. Die Luxemburger ONG-Szene hatte die hiesige Presse auf Trab gehalten, um eine verstärkte Kohärenz der Zusammenarbeit der Luxemburger Regierung mit den Ländern des Südens anzumahnen.

Anfang April hatte eine ONG-Delegation in der zuständigen parlamentarischen Kommission vorgesprochen und ein Positionspapier unter dem Titel „De la qualité de l’aide à la cohérence des politiques“ eingebracht. Angesichts der Eckwerte der Luxemburger Kooperationspolitik gab es dabei seitens der Zivilgesellschaft nicht wenig Lob an die Adresse des Ministers. Nachdem Luxemburg seit Anfang der 90er Jahre quantitativ einen kontinuierlichen Ausbau der Entwicklungshilfe in Richtung der Länder des Südens betreibt und in näherer Zukunft wohl bis zu einem Prozent seines Nationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufbringen wird, scheint inzwischen auch die Qualität zu stimmen. Dies legt zumindest ein vorläufiger Bericht zur hiesigen Kooperationspolitik der OCDE (Organisation de Coopération et de Développement Economiques – ein Zusammenschluss der reichen Länder der Welt) nahe. Luxemburg habe im Vergleich mit den Ergebnissen einer vorangegangenen Studie aus dem Jahre 2003 „des sérieuses avancées“ gemacht und sei ein Beispiel dafür, wie mit relativ bescheidenen Mitteln ein effizienter Einsatz möglich sei.

Für Jean-Louis Schiltz verhält es sich in der Entwicklungshilfe wie in einem Marathon: Nicht alle haben die gleiche Ausgangsform, nicht alle schaffen es in zwei Stunden. Luxemburg sieht sich in der Rolle der guten Seele, die ihren Partnern auch noch zu später Stunde ein Glas Wasser reicht, um ans Ziel zu gelangen.

Inzwischen macht sich der relativ hohe Aufwand von Luxemburger Seite auch international politisch bezahlt: Zusammen mit EU-Entwicklungskommissar Louis Michel meldete sich der Luxemburger Entwicklungshilfeminister in einem europaweit abgedruckten Gastbeitrag kürzlich zu Wort, um die unbefriedigende Leistung Gesamteuropas und der anderen Industriestaaten zu beklagen: Anfang April hatte die OCDE vorgerechnet, dass die von den Industrieländern geleistete Entwicklungshilfe um 8,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen war. Dass dieser Rückgang für die EU „nur“ bei 5,8 Prozent lag, hatte den Zorn des EU-Kommissars und seines Musterschülers aus Luxemburg kaum abschwächen können.

Angesichts der eingangs erwähnten Vorschusslorbeeren war klar: Sämtliche Fraktionen im Parlament werden die vom Kooperationsministerium geleistete Arbeit positiv bewerten. Eine richtige „Debatte“, so wie sie das Kooperationsgesetz vorsieht, würde also nicht stattfinden. Dennoch hielt sich das gegenseitige Schulterklopfen in diesem Jahr in Grenzen, denn vor dem Hintergrund der weltweiten Nahrungsmittelkrise musste auch der Minister eingestehen: Entwicklungshilfe ist nur ein Teil eines ganzen Gefüges. Luxemburgs entwicklungspolitischer Fußabdruck muss auch in anderen Politikbereichen gemessen werden.

Für Jean-Louis Schiltz verhält es sich in der Entwicklungshilfe wie in einem Marathon: Nicht alle haben die gleiche Ausgangsform, nicht alle schaffen es in zwei Stunden.

Ohne die Intervention der ONG in der außenpolitischen Parlamentskommission direkt zu erwähnen, sah sich Jean-Louis Schiltz veranlasst, die Kohärenz der Luxemburger Politik als Ganzes zu beleuchten. Schon in der vergangenen Woche hatte er anlässlich einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz (siehe woxx 950) Ursachenforschung in Bezug auf die schwelende Ernährungskrise im Süden betrieben und unter anderem die EU-Agrarsubventionen, den vermehrten Einsatz von Agrarkraftstoffen („Biosprit“) und die Folgen der Klimaveränderung als Brandbeschleuniger ausgemacht.

Damit nahm er den ONG zwar ein wenig den Wind aus den Segeln, legitimierte somit aber auch deren Kritikansatz. Nicht zuletzt aufgrund eines Zusammenschlusses von 18 Organisationen (darunter die katholische Kirche), der darauf abzielte, gegen den EU-weit geplanten Pflichtanteil an „Biokraftstoffen“ von zehn Prozent bei Benzin und Diesel bis zum Jahre 2020 vorzugehen, sah sich die gesamte Regierung gefordert (siehe citizen Seite 5). Deren Antwort auf einen offenen Brief der gemeinsamen Initiative kam ungewöhnlich schnell und deutlich: So hat die Regierung am Freitag der vergangenen Woche „geschlossen ihre starken Bedenken in der Frage der Gegenüberstellung von Energiepflanzenanbau und Nahrungsmittelversorgung bekräftigt“, wie der Umweltminister am Tag der Debatte in einem Kommuniqué verlauten ließ. Demnach setzen sich alle Regierungsmitglieder in den kommenden Monaten nicht nur für Nachhaltigkeitskriterien bei der Herstellung von Biotreibstoffen ein, sondern stellen den Sinn einer Beimischung von Biokraftstoffen in Höhe von zehn Prozent auch noch einmal grundsätzlich in Frage.

Hinsichtlich der Agrarsubventionen beteuerte Jean-Louis Schiltz vor dem Parlament, er habe die Zustimmung seines Ministerkollegen Fernand Boden, dass Luxemburg sich auf EU-Ebene für die im Jahre 2005 in Hongkong eingegangene Verpflichtung stark mache, bis 2013 sämtliche Agrar-Exportsubventionen zu streichen.

Trotz dieses offensichtlichen Gleichklangs kamen die ONG allerdings nicht ganz auf ihre Kosten: Die von ihnen eingeklagte größere Kohärenz der Luxemburger Politik wird auch weiterhin – wenn überhaupt – nur stückweise realisiert. Gerade in der Klimadebatte bleiben viele Fragen unbeantwortet. Um das Kyoto-Ziel zu erreichen, sieht sich Luxemburg mangels ausreichender Eigenleistungen gezwungen, auf Kompensationsmaßnahmen außerhalb der eigenen Grenzen auszuweichen.

Unabhängig von der Frage, welchen Umfang solche Maßnahmen überhaupt einnehmen sollten, sorgen sich die entwicklungs- und umweltpolitischen Organisationen vor allem über negative Konsequenzen so mancher „Clean Development Mechanisms“ (CDM) im Süden. Die Finanzierung so genannter Senken etwa, also der Aufforstung weiter Gebiete in den Entwicklungsländern, um damit CO2 zu binden, sollte eigentlich nur ein Prozent des Luxemburger CDM-Portfolios ausmachen, tatsächlich werden aber derzeit zehn Prozent der Luxemburger Mittel für solch fragwürdige Vorhaben aufgewendet. Diese Projekte werden vielfach auf Kosten von Kleinbauern und indigenen Bevölkerungsgruppen realisiert, die dadurch ihrer Existenz beraubt werden.

Die Luxemburger ONG-Szene setzt sich angesichts solcher Fehlentwicklungen für „Klimagerechtigkeit“ ein. Demnach müssen die Verursacher der Treibhausgase selber für deren Reduzierung sorgen. Bei den meisten CDM-Vorhaben zahlen zwar die Reichen, doch die Konsequenzen der Projekte tragen in der Regel die Armen.

Auch der Kooperationsminister macht sich die Vokabel von der Klimagerechtigkeit zu eigen und stimmt mit den ONG überein, dass es nicht die Leidtragenden des Klimawandels, also die ohnehin unter prekären Existenzbedingungen lebenden Bevölkerungsteile im Süden sein dürfen, die den größten Beitrag zur CO2 Reduzierung leisten müssen.

Das Prinzip einer stärkeren Kohärenz beschränkt Jean-Louis Schiltz allerdings auf sein eigenes Ministerium. So sollen zwar die in seinem Hause verfolgten Projekte stärker auf ihre Klimatauglichkeit hin überprüft werden, doch den von den ONG geforderten Schritt, sämtliche von der Regierung und dem Parlament verabschiedeten Gesetze und Verordnungen auf ihre Nachhaltigkeit überprüfen zu lassen, will Schiltz (noch) nicht gehen.

Die Idee einer „commission coopération et cohérences“, wie sie die ONG in der außenpolitischen Kommission des Parlaments vorgebracht hatten, stößt bei Schiltz somit auf wenig Gegenliebe. Es gebe schon neun solcher Gremien, bei denen über Nachhaltigkeit und Kohärenz debattiert würde – so die Antwort von Schiltz auf einen Motions-Vorschlag der Grünen – ein zehntes Gremium würde seiner Meinung nach den Tod jedweder Kohärenz bedeuten.

Die „Assises de la coopération“, die alljährlich im September stattfinden, sollen jetzt das geltende Kooperationsgesetz unter die Lupe nehmen und dabei über die Notwendigkeit eines solchen Gremiums debattieren. Obwohl die RednerInnen sämtlicher Fraktionen den Vorschlag eines Kohärenz-Rates begrüßt hatten, blieb dem Minister die Diskussion darüber diesmal also erspart. In einem Jahr, wenn das Parlament erneut über die Auswirkungen der Luxemburger Politik in den Ländern des Südens diskutiert, wird sich zeigen, ob ein Mehr an Kohärenz auch ohne ein entsprechendes Gremium erreicht werden konnte.


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